Finanzen

EU-Kommission lässt Rolle der deutschen BaFin im Fall Wirecard prüfen

Die EU-Kommission lässt untersuchen, ob die deutsche Finanzaufsicht BaFin bei der Kontrolle über Wirecard gegen EU-Recht verstoßen hat. Indes will die Bundesregierung der BaFin, die in dem Fall offenbar vollkommen versagt hat, nun auch noch zusätzliche Kompetenzen einräumen.
26.06.2020 10:59
Aktualisiert: 26.06.2020 10:59
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
EU-Kommission lässt Rolle der deutschen BaFin im Fall Wirecard prüfen
Valdis Dombrovskis, EU-Vizepräsident und Kommissar für Wirtschaft und Kapitaldienstleistungen. (Foto: dpa) Foto: Aris Oikonomou

Nach dem Zusammenbruch von Wirecard nimmt der Druck auf die Kontrolleure zu. Die EU-Kommission will prüfen lassen, ob die deutsche Finanzaufsicht BaFin bei der Kontrolle über den Zahlungsdienstleister versagt hat, wie sie am Freitag ankündigte - ein ungewöhnlicher Schritt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) stellte eine schärfere Regulierung der Branche in Aussicht. Und auf den Wirtschaftsprüfer EY, der jahrelang die Bilanzen von Wirecard testiert hatte, rollt eine Klagewelle zu.

"Wir müssen klären, was schiefgelaufen ist," sagte der Vizechef der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, der Financial Times. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA solle feststellen, ob es aufsichtsrechtliche Versäumnisse gegeben habe. Bis Mitte Juli erwarte er eine Antwort von ihr. Dombrovskis könnte die Ergebnisse der Analyse nutzen, um eine formelle Untersuchung einzuleiten und die BaFin verpflichten, der ESMA Informationen zur Verfügung zu stellen. Wenn ein Verstoß festgestellt wird, könnte die BaFin von Brüssel angewiesen werden, ihre Praktiken zu ändern - eine peinliche Situation für eine nationale Aufsichtsbehörde. Zumal Deutschland am kommenden Mittwoch die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete den Bilanzskandal als besorgniserregend. Ziel müsse es jetzt sein, Schaden vom Finanzplatz abzuwenden und Schwächen zu beheben, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag. Die Staatsanwaltschaft München müsse offene Fragen klären. Die zuständigen Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Justiz sollten regulatorische Fragen überprüfen.

Finanzminister Scholz kündigte an, die Strukturen bei der BaFin zu durchleuchten, um mögliche Fehler zu finden. "Die BaFin muss künftig in der Lage sein, Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können", sagte der SPD-Politiker am Donnerstagabend. Die Arbeitsweise der Bonner Behörde müsse überdacht werden. Wirecard sei ein Skandal, der seinesgleichen suche. Das müsse ein Weckruf sein. Kritische Fragen seien an das Wirecard-Management, aber auch die Wirtschaftsprüfer zu richten.

BaFin-Chef Felix Hufeld soll am Mittwoch im Finanzausschuss Rede und Antwort stehen. Er hatte Anfang der Woche eingeräumt, bei Wirecard Fehler gemacht zu haben. Was dort passiert sei, sei eine "Schande" und ein "Desaster" für den ganzen Finanzplatz.

Wirtschaftsprüfer EY unter Druck

Zugleich gerät der längjährige Wirecard-Bilanzprüfer EY immer stärker ins Visier der Kritiker. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) stellte Strafanzeige gegen zwei amtierende und einen ehemaligen Manager von EY. Es gebe Zweifel, dass EY als Abschlussprüfer überhaupt geeignet sei. Die SdK werde daher auf künftigen Hauptversammlungen für die von ihr vertretenen Investoren gegen eine Bestellung von EY zum Abschlussprüfer stimmen. Ein weiterer wichtiger Anleger, der nicht genannt werden wollte, sagte, Konzerne könnten es sich nicht leisten, EY künftig mit Abschlussprüfungen zu beauftragen, da das Vertrauen in die Arbeit des Wirtschafsprüfers erschüttert sei. Laut "Spiegel" will auch der japanische Technologieinvestor Softbank, der zu den Investoren von Wirecard gehört, juristisch gegen EY vorgehen. Von Softbank war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten, EY lehnte einen Kommentar ab.

EY hatte mehr als ein Jahrzehnt lang die Zahlen von Wirecard geprüft. Erst bei der Durchsicht der 2019er-Bilanz bemerkten sie, dass Bestätigungen zu Konten auf den Philippinen gefälscht waren. Dort sollten 1,9 Milliarden Euro liegen. Am Donnerstag musste Wirecard Insolvenz anmelden, Wirecard-Töchter drohen mit in die Tiefe gerissen zu werden. Die britische Finanzaufsicht FCA untersagte der Wirecard-Tochter Wirecard Card Solutions de facto den Geschäftsbetrieb. EY weist eine Schuld von sich: Bei Wirecard sei ein ausgeklügeltes, weltumspannendes Betrugssystem aufgebaut worden, mit dem Prüfer und Anleger hinters Licht geführt worden seien. Wirecard-Chef Markus Braun trat zurück, der für das Tagesgeschäft verantwortliche Vorstand Jan Marsalek wurde fristlos entlassen.

Gefeuerter Wirecard-Manager Marsalek offenbar in China

Der Österreicher hält sich laut philippinischen Behörden inzwischen in China auf. Er sei am Dienstag in die Philippinen eingereist und habe das Land am Mittwoch über den Flughafen Cebu in Richtung China verlassen, sagte Justizminister Menardo Guevarra. Marsalek muss Insidern zufolge wie Braun mit einer Verhaftung rechnen. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation. Braun hatte sich am Montag gestellt, wurde verhaftet und kam am Dienstagabend gegen die Zahlung von fünf Millionen Euro und weitere Auflagen wieder auf freien Fuß.

Wirecard ist eine der größten Pleiten der Bundesrepublik. Erstmals in der mehr als 30-jährigen Geschichte des Dax kollabierte ein Mitglied des Leitindexes. Auch am Freitag wollten Anleger nur noch raus aus den Aktien - sie rauschten um 50 Prozent in die Tiefe auf 1,82 Euro. Weil die Titel noch immer im Dax gelistet sind, können unter anderem einige Anbieter von Indexfonds (ETFs) nicht aussteigen.

Mehr zum Thema: Hedgefonds machen Milliarden-Gewinn mit Wirecard-Pleite

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Siton Mining: Mining mit BTC, XRP und DOGE.Verdienen Sie 8.600 $ pro Tag an passivem Einkommen

Auf dem volatilen Kryptowährungsmarkt ist die Frage, wie sich die täglichen Renditen digitaler Währungen maximieren lassen, anstatt sie...

DWN
Politik
Politik Draghi-Report: Ohne gemeinsame EU-Schulden verliert Europa gegen alle
18.09.2025

Ein Jahr nach seinem wegweisenden Draghi-Report warnt Mario Draghi vor einer dramatisch verschlechterten Lage der EU. Der ehemalige...

DWN
Finanzen
Finanzen Topmanager erwarten Trendwende bei Börsengängen
17.09.2025

Nach Jahren der Flaute sehen Topmanager eine Trendwende am Markt für Börsengänge. Warum Klarna den Wendepunkt markieren könnte und was...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Solar-Krise: Solarfirma Meyer Burger schließt Standorte - 600 Beschäftigten gekündigt
17.09.2025

Rettung geplatzt: Warum auch Investoren keinen Ausweg für den insolventen Solarmodul-Hersteller Meyer Burger sehen und was jetzt mit den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinesische Waren: Europas Industrie gerät zunehmend unter Druck
17.09.2025

Chinesische Waren fluten Europa. Subventionen aus Peking drücken Preise, während Europas Industrie ins Hintertreffen gerät. Deutschland...

DWN
Politik
Politik AfD stärkste Kraft: AfD zieht in YouGov-Umfrage erstmals an der Union vorbei
17.09.2025

Die AfD zieht in der Sonntagsfrage an der Union vorbei – für die SPD geht es minimal aufwärts. Eine Partei, die bislang nicht im...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft TOP10 Biotech-Unternehmen: Was Anleger jetzt wissen müssen
17.09.2025

Biotech-Unternehmen dominieren mit GLP-1 und Onkologie – doch Zölle, Patente und Studienerfolge entscheiden über Renditen. Wer jetzt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Halbleiterstandort Sachsen: Ansiedlung von TSMC - Silicon Saxony rechnet mit 100.000 neuen Jobs
17.09.2025

Sachsen ist Europas größter Mikroelektronik-Standort mit rund 3.600 Unternehmen und rund 83.000 Mitarbeitern. Auf der Halbleitermesse...

DWN
Politik
Politik Haushaltsdebatte im Bundestag: Erst Schlagabtausch, dann Bratwürste für den Koalitionsfrieden
17.09.2025

Merz gegen Weidel: Zum zweiten Mal treten die beiden in einer Generaldebatte gegeneinander an. Weidel wirft Merz „Symbolpolitik“ und...