Wirtschaft

Luftfahrt-Krise: Bisher war es nur ein leichter Gegenwind - jetzt zieht der Sturm auf

Die gesamte-Luftfahrt-Branche ist durch Corona in eine dramatische Krise geraten. DWN-Kolumnist Ernst Wolff zeigt auf: Das Schlimmste steht noch bevor.
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avtor
28.06.2020 12:00
Lesezeit: 5 min
Luftfahrt-Krise: Bisher war es nur ein leichter Gegenwind - jetzt zieht der Sturm auf
Die Luftfahrt-Branche ist dabei, in einen schweren Sturm zu geraten. (Foto: dpa)

Kaum eine andere Branche ist von der Corona-Krise so hart getroffen worden wie die internationale Luftfahrt. Die auf Grund der Pandemie erlassenen Reiseverbote haben den Luftverkehr zeitweilig fast zum Erliegen gebracht und gewaltige Löcher in die Kassen der Airlines gerissen.

Der Dachverband der Fluggesellschaften IATA (International Air Transport Association) rechnet für 2020 mit dem schlimmsten finanziellen Einbruch in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Ersten Schätzungen zufolge wird ein Verlust von 84 Milliarden US-Dollar erwartet. Die Zahl könnte aber noch weit höher ausfallen, denn es sieht momentan nicht nach einer baldigen Normalisierung im Passagierbetrieb aus.

Wegen möglicher neuer Reiseeinschränkungen herrscht ein hohes Maß an Unsicherheit, das keine langfristige Planung zulässt. Zudem scheuen immer noch viele Menschen aus Angst vor Ansteckung davor zurück, ein Flugzeug zu besteigen. Und schließlich werden den Fluglinien Auflagen gemacht, die jederzeit verschärft und damit noch kostspieliger werden könnten.

Der Optimismus ist verflogen

Vor einem halben Jahr hatte die Lage noch ganz anders ausgesehen. In den USA feierte Delta Airlines, die zweitgrößte Fluggesellschaft der Welt, das erfolgreichste Jahr ihrer Geschichte (2019) und zahlte ihren 90.000 Angestellten mit 1,6 Milliarden Dollar die in den USA höchste jemals gewährte Gewinnbeteiligung aus. Und im Dezember veröffentlichten die Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine äußerst optimistische Prognose für die Branche. Sie erwarteten bis 2040 eine Steigerung der Passagierzahlen auf über 9,4 Milliarden und ein Wachstum der Flugzahlen auf 53 Millionen pro Jahr.

Davon ist nun keine Rede mehr. Selbst wenn es zu keinen weiteren Einschränkungen käme und die Reisefreudigkeit der Passagiere kurzfristig wieder auf das frühere Niveau anstiege, wäre frühestens 2022 mit einer Rückkehr in die Gewinnzone zu rechnen. Doch angesichts der gegenwärtigen Entwicklung überwiegt ein lähmender Pessimismus – die gesamte Luftfahrt befindet sich zurzeit im akuten Krisenmodus. Um die Verluste zumindest einzugrenzen, wird in allen Bereichen gespart, gekürzt und gestrichen.

Die Schäden gehen weit über den reinen Luftverkehr hinaus

Die Maßnahmen, die zur Kosteneindämmung getroffen werden, betreffen nicht nur die Fluglinien selbst, sondern auch zahlreiche weitere Geschäftsbereiche und Industrien. Das geringe Passagieraufkommen sorgt nicht nur bei den Zulieferern für riesige Verluste, sondern auch bei den nicht unmittelbar mit dem Flugbetrieb verbundenen Kaufpassagen und Läden in den Flughäfen und trifft darüber hinaus die unterschiedlichsten Branchen.

So musste Swissport Belgium, der größte Abfertiger von Passagierflugzeugen am Brüsseler Airport, ebenso Konkurs anmelden wie seine für die Reinigung des Flughafens zuständige Tochtergesellschaft. Auch der weltweit tätige Autovermieter Hertz ist in die Insolvenz gegangen, weil das Geschäft an den Flughäfen, das sechzig Prozent seines Umsatzes ausmachte, einbrach.

Verheerend sind zudem die Folgen für die Flugzeugbauer und ihr Zuliefergeschäft. Kaum eine größere Fluggesellschaft der Welt bestellt zurzeit neue Maschinen. Dafür aber werden bereits erteilte Aufträge storniert oder zeitlich aufgeschoben. Der größte europäische Flugzeughersteller Airbus lieferte im Mai nur 24 neue Flugzeuge aus und verzeichnete während des gesamten Monats keinen einzigen Neuauftrag – zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten.

Schwerwiegend sind auch die Folgewirkungen auf die Beziehungen zwischen Herstellern und Fluggesellschaften. So droht Airbus denjenigen Airlines, die Aufträge stornieren oder sich weigern, bestellte Flugzeuge anzunehmen, bereits mit juristischen Konsequenzen. Hintergrund dieser ungewöhnlichen Drohung ist der Konflikt mit Qatar Airlines, die sich weigert, die für 2020 und 2021 geplanten Auslieferungen von Airbus und Boeing anzunehmen und die alle weiteren geplanten Liefertermine um acht bis zehn Jahre verschieben will.

Mit einer Verbesserung der Situation für die Hersteller ist angesichts des Versuchs der Airlines, sich durch eine Verkleinerung der Flugflotten gesundzuschrumpfen, nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Selbst wenn die Pandemie morgen vorüber wäre, würde es Jahre dauern, bis es zu einer nennenswerten Zahl von Neubestellungen käme. Bei Boeing in den USA hat sich das bereits in der Entlassung von fast 7.000 Mitarbeitern niedergeschlagen.

Eine Katastrophe für die Beschäftigten

Die schlimmsten Auswirkungen der aktuellen Entwicklung zeigen sich zwar nur allmählich, dafür aber mit fast unheimlicher Beständigkeit. Während viele Unternehmen die ersten Monate der Krise noch durch Kurzarbeit überbrücken konnten, wird nach und nach immer deutlicher, dass es für zahlreiche Jobs in absehbarer Zeit keinen Bedarf mehr geben wird. Die IATA hält allein in Europa 3,3 Millionen Arbeitsplätze für gefährdet, 750.000 davon in Spanien und etwa 400.000 in Deutschland.

Aber auch den Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz behalten können, drohen schwierige Zeiten: Wie das am Donnerstag zwischen der Lufthansa und der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO beschlossene Sparpaket zeigt, kommen auf die Angestellten erhebliche finanzielle Einbußen in Form von Lohnverzicht und Streichungen von Zusatzleistungen zu.

Zwar kann durch die Einsparung von fast einer halben Milliarde Euro die betriebsbedingte Kündigung für die 22.000 Kabinenmitarbeiter der Lufthansa vorerst verhindert werden, aber ob damit langfristig Arbeitsplätze gesichert werden, steht in den Sternen. Darüber hinaus könnte die Reduktion der Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung die Grundlage für weitere Probleme legen, die sich für die Betroffenen erst in ferner Zukunft zeigen werden.

Konzentration der Macht in immer weniger Händen

Ein weiterer für das Schicksal der Luftfahrt entscheidender Faktor dürfte die durch die Krise beschleunigte Konzentration des gesamten Gewerbes in immer weniger Händen werden. Weltweit haben bereits mehrere kleinere Gesellschaften Insolvenz angemeldet. Weitere werden mit Sicherheit in den kommenden Monaten folgen, da sich wegen der allgemeinen Unsicherheit kaum Investoren finden lassen, die an die Zukunft der Branche glauben und für sie in die Bresche springen.

Dadurch wird der Weg frei für zahlreiche Übernahmen durch die Marktführer, die ihre Machtstellung auf diese Weise noch weiter ausbauen und damit auch die Preise und die Bedingungen im Falle eines Wiederauflebens der Branche noch besser werden diktieren können.

Aber auch innerhalb der einzelnen Konzerne kommt es zu einer immer größeren Machtkonzentration, die die Unternehmen der Willkür einzelner Teilhaber unterwirft. Das beste Beispiel dafür liefert die Krise der Lufthansa, in der ein Großinvestor in dieser Woche darüber entscheiden durfte, ob das Unternehmen in seiner bisherigen Form weiter bestehen bleibt oder nicht.

Zwar blieb die Zerschlagung des Unternehmens aus, aber nur zu Bedingungen, die der Vorstandschef bereits mit den Worten „Auch schmerzhafte Personalmaßnahmen werden wir umsetzen müssen“ beschrieb.

Die drei großen Fragezeichen

Es sind zurzeit vor allem drei riesige Probleme, die sich immer bedrohlicher vor der gesamten Luftfahrtbranche auftürmen und die fast unlösbar erscheinen.

Problem Nr. 1: Selbst die größten Rettungspakete werden angesichts der schleppenden Entwicklung der Fluggastzahlen schon bald aufgebraucht sein, und es erscheint mehr als fragwürdig, ob die Politik zukünftig unter dem Druck der Öffentlichkeit bereit sein wird, weitere Gelder zur Verfügung zu stellen.

Problem Nr. 2: Auch wenn die Rettungspakete zum Niedrigst- oder Nullzinssatz vergeben werden, müssen sie irgendwann zurückgezahlt werden. Sie erhöhen also die Schuldenlast der Airlines, die ohnehin schon erdrückend ist. Nach Angaben der IATA haben die Regierungen bis heute weltweit staatliche Beihilfen in Höhe von rund 123 Milliarden US-Dollar (112 Milliarden Euro) für Fluggesellschaften zugesagt und deren Gesamtverschuldung damit so stark in die Höhe getrieben, dass die Verschuldung in diesem Jahr 550 Milliarden US-Dollar erreichen und den Schuldenstand des Vorjahres damit um 28 Prozent übertreffen wird.

Problem Nr. 3: Das mit Abstand größte Problem bleibt die Unsicherheit angesichts der weiteren Entwicklung der Covid-19-Pandemie und der dagegen angeordneten Maßnahmen. Sollte es zu weiteren Lockdowns und erneuten weltweiten Reiseverboten wie im März und im April kommen, dürfte die Zukunft der Luftfahrt in der Form, wie wir sie kennen, ein für allemal besiegelt sein.

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