Politik

Spahn treibt digitale Patienten-Akte voran: Kritik an Einführung einer „unausgereiften“ Version Anfang 2021

Die Bundesregierung treibt die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran. Anfang 2021 wird die elektronische Patientenakte kommen – in einer aus Sicht von Datenschützern unausgereiften Form.
04.07.2020 18:13
Lesezeit: 2 min
Spahn treibt digitale Patienten-Akte voran: Kritik an Einführung einer „unausgereiften“ Version Anfang 2021
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. (Foto: dpa) Foto: Bernd von Jutrczenka

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens soll nach Ansicht der Bundesregierung verstärkt vorangetrieben werden. Und beim zentralen Vorhaben von Minister Jens Spahn (CDU) bleibt nicht mehr viel Zeit: Ab 1. Januar 2021 soll eine elektronische Patientenakte (ePA) als freiwilliges Angebot für alle Versicherten starten. Das steht so schon fest. Der Bundestag hat am Freitag nun auch Regeln zu den Funktionen beschlossen. Dass die beim sensiblen Datenschutz teils erst später greifen sollen, stößt aber auf Kritik von Datenschützern.

Spahn sagte, die E-Akte werde nicht sofort in allen Anwendungen perfekt sein. Man müsse aber „mal anfangen“ und dafür sorgen, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen ankomme. „Es gibt dann Akzeptanz und Zustimmung, wenn es im Alltag die Dinge leichter macht.“ Mehr Tempo soll nach jahrelangem Gezerre um mehr Funktionen für die elektronische Gesundheitskarte ausdrücklich her. Denn schon der Aufbau einer geschützten Datenautobahn des Gesundheitswesens mit Auf- und Abfahrten zu Praxen und Kliniken kam lange nur mühsam voran.

Das Gesetz schreibt nun den Anspruch für Patienten fest, dass E-Akten auch mit Inhalten gefüllt werden - und schrittweise mehr und mehr Funktionen bekommen. Neben Befunden, Arztbriefen und Röntgenbildern sollen so ab 2022 auch der Impfausweis, der Mutterpass, das gelbe Untersuchungsheft für Kinder und das Zahn-Bonusheft gespeichert werden können. Dann sollen Versicherte bei einem Krankenkassenwechsel auch ihre digitalen Daten mitnehmen können. In Kraft treten soll das Gesetz voraussichtlich im Herbst, der Bundesrat muss nicht zustimmen.

Beim Datenschutz gilt: Die Versicherten entscheiden, was in ihrer E-Akte gespeichert wird und was sie wieder löschen wollen. Und sie bestimmen, wer auf Daten zugreifen darf - allerdings noch nicht sofort zum Start Anfang 2021. Zu diesem Zeitpunkt müssen entweder alle Dokumente für jeden verfügbar sein, oder gar keine gespeichert werden.

Erst ab 1. Januar 2022 ist die Möglichkeit vorgesehen, auch für jedes Dokument einzeln festzulegen, welcher Arzt es sehen kann. Dann soll es möglich sein, dass ein Mediziner zwar generell auf die ePA zugreifen darf, aber bestimmte Befunde nicht angezeigt bekommt.

Dass Patienten im ersten Jahr nur alle oder gar keine Daten freigeben können, bringt die Opposition auf die Barrikaden. Linke-Experte Achim Kessler warnte, die „unausgereifte“ E-Akte gefährde die Akzeptanz des ganzen Projekts. „Wozu braucht ein Orthopäde Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch? Wozu eine Augenärztin Informationen über eine Psychotherapie?“ Überhaupt sei die ePA vorerst eine „ungeordnete Sammlung elektronischer Dokumente“. Auch Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) monierte das vorläufige „Alles oder nichts“ bei Datenfreigaben.

Alles was digital ist, kann gehackt werden

Ob man erst ab 2022 oder doch schon ab 2021 die Kontrolle über seine digitalisierten Gesundheitsdokumente erhält, sind allerdings Detailfragen. Viel wichtiger ist der Hinweis, dass alles, was in digitalisierter Form existiert, auch entgegen dem Willen des Patienten von Hackern, Geheimdiensten oder staatlichen Institutionen eingesehen und kopiert werden kann.

Spahn warb deshalb auch um Vertrauen in einen Datenschutz „auf höchstem Niveau“. Die Daten kämen auf deutsche Server. Und solche Angebote sollten eben nicht nur Internetkonzerne wie Apple oder Google machen. Für den Schutz verarbeiteter Daten soll laut Gesetz jeder Beteiligte vom Arzt über Kliniken bis zu Apotheken direkt verantwortlich sein. Betreiber innerhalb der Datenautobahn müssten Störungen und Sicherheitsmängel sofort melden - bei Versäumnissen drohen bis zu 300.000 Euro Bußgeld. Versicherte sollen ab 2023 einwilligen können, Daten verschlüsselt der medizinischen Forschung bereitzustellen.

Wie sehr Spahn die Digitalisierung im Gesundheitsbereich vorantreiben will, zeigt sich an den monetären Anreizen (böse Zungen würden von kleinen Bestechungsgeldern sprechen), die Mediziner erhalten sollen, welche mit der ePA arbeiten. Wenn Ärzte und Kliniken diese erstmals mit Dokumenten füllen, bekommen sie zehn Euro. Geplant ist auch eine App, mit der man sich E-Rezepte aufs Smartphone laden und in Apotheken einlösen kann. Alternativ möglich sein soll ein gedruckter Strichcode auf Papier. Das Rezept geht dann trotzdem digital an die Apotheke. Auch Überweisungen zum Facharzt sollen elektronisch übermittelbar werden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Kritik an Brandmauer: Erster Wirtschaftsverband offen für Gespräche mit AfD
26.11.2025

Die Brandmauer-Debatte hat die Wirtschaft erreicht: Der Verband der Familienunternehmer will sich für Gespräche mit der AfD öffnen, um...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Postzentrum Frankfurt: Noch fließt die Paketflut aus China
26.11.2025

Briefe waren gestern, die Luftpost am Frankfurter Flughafen wird von kleinen Warensendungen aus Fernost dominiert. Doch das könnte sich...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-Bankenregulierung: Neue Regelungen setzen Europas Institute unter Druck
26.11.2025

Die europäische Bankenaufsicht ringt derzeit mit der Frage, wie sich Regulierung und Wettbewerbsfähigkeit neu austarieren lassen, ohne...

DWN
Politik
Politik Umfrage: Deutsche gegen militärische Führungsrolle in Europa
25.11.2025

Rente, Bürgergeld, Wehrdienst – bei solchen Themen ist die Stimmung der Bürger gut erforscht. Für die Außenpolitik gilt das hingegen...

DWN
Politik
Politik Lawrow zu Europa: "Ihr hattet eure Chancen, Leute"
25.11.2025

Haben sich die Ukraine und die USA geeinigt? Europa jedenfalls habe seine Chance verspielt, den Ukrainekonflikt politisch zu entschärfen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Biotech-Unternehmen wandern aus: Europa verliert 13 Mrd. Euro an die USA
25.11.2025

Europas Biotech-Branche steht an einem Wendepunkt, weil zentrale Finanzierungsquellen immer seltener im eigenen Markt zu finden sind....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeitsmarkt 2030: Diese Fachkräfte werden in fünf Jahren gebraucht
25.11.2025

Automatisierung, KI und Klimawandel verändern den globalen Arbeitsmarkt rasant. Bis 2030 entstehen Millionen neuer Jobs, doch viele...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Blase: Experten warnen vor wachsenden Risiken am Markt
25.11.2025

Die Finanzmärkte stehen unter spürbarer Spannung, während Anleger die Dynamik rund um künstliche Intelligenz bewerten. Doch weist die...