Technologie

Nix mit Unabhängigkeit: Amerikaner und Chinesen kontrollieren Hardware für EU-Cloud „Gaia-X“

Das Cloud-Projekt Gaia-X soll die Wirtschaft Europas im IT-Bereich von den USA und China unabhängig machen. Allerdings hat die Cloud eine eklatante Schwachstelle.
19.07.2020 12:32
Lesezeit: 4 min
Nix mit Unabhängigkeit: Amerikaner und Chinesen kontrollieren Hardware für EU-Cloud „Gaia-X“
Hannover: Das Symbol einer Cloud steht am Stand des Unternehmens Continental auf der Hannover Messe. (Foto: dpa) Foto: Hauke-Christian Dittrich

Anfang Juni stellten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und sein französischer Kollege Bruno Le Maire das europäische Daten- und Cloudprojekt „Gaia-X“ vor. Im Zuge des von 22 deutschen und französischen Unternehmen vorangetriebenen Projekts soll eine Plattform geschaffen werden, auf der verschiedene europäische Clouds und Dateninfrastrukturen über Open-Source-Anwendungen und offene Standards miteinander vernetzt werden, um nicht von den dominanten IT-Anbietern aus den USA und China abhängig zu sein.

Ein „Meilenstein“ auch für die europäische Geopolitik

Von Anfang an betonten Altmaier und Le Maire die geostrategische Bedeutung, die Gaia-X für Europa innehat. Mit Gaia-X werde „nichts Geringeres an als ein europäischer Moonshot (großer Wurf) in der Digitalpolitik“ angestrebt, sagte Altmaier Anfang Juni. Le Maire sagte, in der Corona-Krise sei klar geworden, wie wichtig eine sichere IT-Infrastruktur sei, auch für die Telearbeit. Dabei dürfe man nicht von anderen Großmächten abhängig sein. „Wir sind nicht die USA, wir sind nicht China, wir sind europäische Länder mit eigenen Interessen und Werten.“ Der Branchenverband Bitkom nannte die Gründung der Organisation einen „Meilenstein auf dem Weg zu einer europäischen Cloud- und Dateninfrastruktur.“

Cédric Prevost, Director of Trusted Cloud des französischen Telekommunikationskonzerns Orange Business Services, erinnerte daran, dass zuvor Versuche auf Landesebene gescheitert seien, eine souveräne Cloud zu etablieren. „Das muss man in einem sehr großen Maßstab anlegen, so wie das den Hyperscalern aus den USA und China gelungen ist. Der europäische Maßstab die richtige Größenordnung, um dieses Ziel zu erreichen.“

Gaia-X ist nicht zuletzt das Resultat einer steigenden Nachfrage europäischer Firmen nach einer europäischen Dateninfrastruktur, auf die andere Machtzentren wenig oder gar keinen Einfluss haben. Dabei spielen insbesondere Sicherheitsbedenken und der Wunsch nach Schutz vor Industriespionage eine Rolle. Die im Zuge der sogenannten NSA-Affäre gemachte Erfahrung, dass US-Geheimdienste in Europa praktisch alles ausspionieren, was möglich ist, gilt sicherlich als Auslöser für die verbreiteten Sicherheitsbedenken. Aber auch die aus den USA gegen den chinesischen Technologiekonzern Huawei erhobenen Spionagevorwürfe dürften in den Überlegungen europäischer Manager eine Rolle spielen.

Gaias Achillesferse

Die mithilfe von Gaia-X angestrebte Autonomie Europas im IT-Bereich droht jedoch schon von Anbeginn an zu scheitern. Wie das Handelsblatt berichtet, existieren nämlich keine Vorgaben darüber, woher die Hardware (etwa Server und Rechenzentren) stammen soll, auf der Gaia-X abgespielt wird.

Das Problem: der Markt für Hardware im Cloud-Bereich wird von amerikanischen und chinesischen Produzenten dominiert – europäische Anbieter finden sich fast keine. So dominieren den Markt für Server mit großem Vorsprung die US-Konzerne Dell und Hewlett-Packard. Danach folgt die Inspur-Gruppe aus China. Weitere wichtige Anbieter sind das chinesische Unternehmen Lenovo und der US-Konzern IBM.

„Ausrüster von kritischer Infrastruktur, egal ob es um das Mobilfunknetz oder die Cloud geht, müssen vertrauenswürdig sein“, wird Jan-Peter Kleinhans von der Stiftung Neue Verantwortung vom Handelsblatt zitiert. Eine rein technische Überprüfung der Komponenten reiche demnach nicht aus, da bei vielen Bauteilen eine Fernwartung erforderlich sei, bei der ein Betreiber eines Funknetzes oder einer Cloud auf die Zusammenarbeit mit dem (in den meisten Fällen amerikanischen oder chinesischen) Hersteller angewiesen sei. „Dabei besteht die Gefahr, dass das System kompromittiert wird“, sagt Kleinhans.

Das Wirtschaftsministerium hat dem Handelsblatt zufolge inzwischen eingeräumt, dass die Frage, wer eigentlich die Hardware bereitstellt, in den Überlegungen bislang eine untergeordnete Rolle gespielt hat.

Warnungen aus dem Bundestag

Einige Parlamentarier haben das Problem erkannt und fordern Nachbesserungen. „Wir müssen bei Gaia-X von vornherein aufpassen, dass wir uns nicht in neue Abhängigkeiten begeben“, zitiert das Handelsblatt einen Digitalexperten der Grünen „Man kann die Frage, wie es um die europäische Hardware-Industrie steht, nicht unabhängig von der Frage diskutieren, wie man eine eigene Cloud-Infrastruktur aufbaut.“ Es sei eine Frage der Souveränität, sich über die Herkunft der greifbaren Komponenten von Gaia-X Gedanken zu machen.

Angestoßen vom Feldzug der US-Regierung gegen Huawei diskutiert die Bundesregierung seit zwei Jahren, ob und welche Sicherheitsbestimmungen es künftig für außereuropäische Anbieter von Software- und Hardwarelösungen gibt. Bundeskanzleramt und Wirtschaftsministerium schließen bislang einen Ausschluss bestimmter Unternehmen – namentlich Huawei – aus. Eine nachvollziehbare Haltung, denn dann müssten in einem solchen Fall auch US-amerikanische Konzerne aus Europas IT-Infrastruktur verbannt werden, deren Rolle bei der Wirtschaftsspionage amerikanischer Dienste in der Vergangenheit zumindest fragwürdig war.

Breites Aktionsbündnis mahnt

Eine breite Allianz aus Wissenschaftlern, IT-Experten und Medienmanagern hat die EU zum Bau einer eigenständigen Digital-Infrastruktur für Europa aufgerufen. Es ist nach Ansicht des Bündnisses „höchste Zeit“ für eine Alternative zu den Internetriesen aus den USA und China. Europa müsse die Hoheit über Daten und digitale Infrastrukturen erlangen, heißt es in einem Appell unter Führung des früheren SAP-Managers Henning Kagermann und des Intendanten des Bayerischen Rundfunks (BR), Ulrich Wilhelm. Ein solches digitales Ökosystem müsse den europäischen Werten wie Offenheit und Vielfalt folgen.

„Wir wollen digitale Souveränität stärken - also die Selbstbestimmung Europas als Rechts- und Wertegemeinschaft und jedes einzelnen Nutzers“, sagte Kagermann laut einer Mitteilung. Die Corona-Krise zeige, wie Digitalisierung das ganze Leben durchdringe, aber auch wie abhängig Europa von Plattformbetreibern außerhalb sei. Dies gefährde die Freiheit und Privatsphäre der Bürger.

Das Bündnis fordert in seinem Grundsatzpapier besonders Deutschland zum Handeln auf, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft hat, sowie auch Frankreich. Zudem appelliert es an das Parlament und die EU-Kommission mit deren Digitalstrategie. Die Herausforderung sei so groß, dass es ohne staatliches Handeln keine Aussicht auf Erfolg gebe.

Der ebenfalls an der Initiative beteiligte Präsident der TU München, Thomas Hofmann, sagte der Süddeutschen Zeitung: „Ob Cloud-Systeme, Suchmaschinen, Kommunikationsdienste: Die digitale Welt ist in US-amerikanischer oder asiatischer Hand.“ Er mahnte: „Ich glaube, es ist dringend Zeit aufzuwachen, sonst verlieren wir in diesem Zukunftsspiel auch noch die zweite Halbzeit.“

BR-Intendant Wilhelm engagiert sich seit längerem für eine solche Infrastruktur. „Wenn Europa jetzt kraftvoll handelt und eine ambitionierte Initiative startet, kann ein öffentlicher digitaler Raum entstehen, der faire Zugangs- und Nutzungsbedingungen bietet, den öffentlichen Diskurs stärkt und die identitätsstiftende Pluralität Europas sicherstellt“, sagte er der Mitteilung zufolge.

Zu den Kosten einer derartigen Initiative machte das Bündnis keine Angaben. In einem dpa-Interview hatte Wilhelm gesagt: Experten gingen zunächst von einem niedrigeren einstelligen Milliardenbetrag aus. „Gemessen an den Riesensummen, die jetzt zur Stabilisierung der Wirtschaft fließen, geht es hier um relativ kleine Beträge.“

Die Initiative sieht sich nicht in Konkurrenz zu bereits bestehenden Initiativen wie Gaia-X, sondern will diese für mehr Schlagkraft bündeln.

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