Das chinesische Finanztechnologie-Unternehmen „Ant Financial Services Group“ (kurz: Ant Financial) gab Anfang der Woche bekannt, dass es den möglicherweise größten Börsengang aller Zeiten plant. Er wird allerdings nicht in New York, sondern in Hongkong und Shanghai stattfinden.
Die Betreiber von Ant Financial reagieren mit ihrer Entscheidung offensichtlich auf die Spannungen zwischen den USA und China. Diese haben in den vergangenen Wochen zugenommen und werden sich angesichts der wirtschaftlichen Probleme der USA und der im November anstehenden US-Präsidentschaftswahlen mit Sicherheit weiter verschärfen.
Auch das vor wenigen Wochen in den USA erlassene Gesetz mit dem Namen „Holding Foreign Companies Accountable Act“ („Gesetz über die Rechenschaftspflicht ausländischer Unternehmen“) dürfte bei der Wahl der Börsenplätze eine Rolle gespielt haben. Das Gesetz erlaubt US-Behörden in Zukunft nämlich, ausländische Unternehmen von den US-Börsen zu entfernen, wenn sie sich nicht den US-Standards für Rechnungsprüfungen und Finanzregulierung unterwerfen.
Die Profiteure des Börsengangs sitzen nicht nur in China
Dass der Börsengang gleichzeitig an der „Hongkong Stock Exchange“ und am „Nasdaq Star Market“ der „Shanghai Stock Exchange“ erfolgen soll, wird der Führung der chinesischen Kommunistischen Partei hervorragend ins politische Konzept passen. Zum einen signalisiert der Plan in Zeiten der Unruhe ein deutliches Bekenntnis zum Finanzplatz Hongkong, zum anderen fördert er ein Prestige-Objekt von Präsident Xi Jinping: Er möchte nämlich den erst im Sommer 2019 geschaffenen Nasdaq Star Market zum Pendant der US-amerikanischen Technologiebörse Nasdaq aufbauen, um chinesischen IT-Unternehmen bessere Möglichkeiten für die Kapitalbeschaffung zu schaffen.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass dem US-Dollar als weltweit wichtigster Reservewährung damit ein weiterer Schlag versetzt würde, doch dieser Eindruck täuscht. Hinter dem Börsengang stehen nämlich neben der größten chinesischen Investmentbank „China International Capital Corporation“ die US-Bank-Giganten Citigroup, JPMorgan und Morgan Stanley sowie – in untergeordneter Rolle – auch die Schweizer Großbank Credit Suisse.
Die Wall Street wird also ebenso wie der US-Dollar mit zu den Profiteuren dieses Börsenganges zählen, der allerdings etwas ganz anderes enthüllt – nämlich die Art und Weise, wie die internationale Finanz-Elite und die großen Digital-Konzerne den Konflikt zwischen dem Weißen Haus und der chinesischen Führung grenzübergreifend zum eigenen Vorteil nutzen. Zum besseren Verständnis dieser Entwicklung hier ein kurzer Blick auf die jüngere Geschichte der Digital-Ökonomie in China und ihre Verflechtung mit dem westlichen Ausland.
Der Siegeszug der Digital-Ökonomie in China...
Während die Digitalisierung der USA in den vergangenen zwanzig Jahren durch Konzerne wie Google, Apple, Microsoft, Amazon und Facebook rasant vorangetrieben wurde, hat in China ein ähnlicher Prozess stattgefunden – allerdings in einer Turbo-Version, aber mit ähnlichen Spielern und keinesfalls vom Rest der Welt abgeschottet.
So gibt es deutliche Parallelen zwischen dem Lebenslauf zweier Schlüsselfiguren dieser Entwicklung. Der Amerikaner Jeff Bezos gründete 1994 einen Onlinehandel für Bücher, verwandelte diesen in eine riesige Internetplattform und wurde der reichste Mann der Welt. Der Chinese Jack Ma gründete ebenfalls 1994 – zusammen mit einer Reihe von Partnern – den Onlinehandel Alibaba, der sich zum chinesischen Pendant zu Amazon entwickelte und Ma zu einem der reichsten Menschen seines Landes machte.
Ebenso wie Bezos erkannte Ma nicht nur als einer der ersten das ungeheure Potenzial der Digitalisierung, sondern entdeckte im Verlauf des Unternehmensaufbaus immer neue Marktchancen und setzte die eigenen Interessen dabei rücksichtslos und mit eiserner Härte, vor allem aber mit erheblichen Summen ausländischen Geldes durch.
... und die Verflechtung mit westlichem Kapital
2005 nahm Ma das US-Unternehmen Yahoo mit einer 40-prozentigen Beteiligung mit ins Boot. Ende April 2007 brachte er Alibaba in Hongkong an die Börse, beendete die Börsenlistung aber 2012 wieder. 2014 spaltete Ma den Bezahldienst Alipay von Alibaba ab und brachte Alibaba, das er inzwischen zu einem extrem verflochtenen Konglomerat mit Sitz in der Steueroase Cayman Islands gemacht hatte, in New York an die Börse – und zwar mit Hilfe der Großbanken Credit Suisse, der Deutschen Bank, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, Morgan Stanley und Citigroup.
Im Oktober 2014 entstand dann im Rahmen eines Rebrandings aus dem Bezahldienst Alipay das heutige Ant Financial, das 2016 bereits 450 Millionen aktive Nutzer hatte und Transaktionen in Höhe von 9 Billionen US-Dollar abwickelte. Mittlerweile beträgt die Zahl der Nutzer über 900 Millionen, und nach Schätzungen der Credit Suisse werden über 60 Prozent aller Online-Zahlungen in China über Ant Financial abgewickelt.
Aber die Ant Financial Services Group ist keineswegs nur auf chinesischem Boden aktiv. Im September 2016 kaufte man mit „EyeVerify“ ein biometrisches Sicherheitsunternehmen aus den Vereinigten Staaten und im Januar 2017 gab man einen Deal zur Übernahme des US-Unternehmens „MoneyGram International“ für 880 Millionen US-Dollar bekannt.
Zwar wurde dieser Deal 2018 wieder aufgekündigt, weil der Ausschuss für ausländische Investitionen in den USA seine Genehmigung aus Gründen der nationalen Sicherheit verweigerte, doch ließ sich Ant Financial dadurch nicht davon abbringen, sich noch stärker im Ausland zu engagieren. 2019 erwarb man den britischen Geldtransfer-Dienstleister „WorldFirst“ für 700 Millionen US-Dollar. Im Zuge der globalen Entwicklung von Blockchains folgten 2019 eine Beteiligung an einer 10-Millionen-US-Dollar-Finanzierungsrunde für ein israelisches Unternehmen und eine Partnerschaft mit dem Pharmariesen „Bayer Crop Science“, dem Eigentümer von Monsanto. Im März 2020 schließlich beteiligte man sich am schwedischen Payment-Service-Provider „Klarna“k.
Die Digitalbranche denkt und handelt nicht national
All das zeigt, dass es sich bei Ant Financial, dem mit 150 bis 200 Milliarden US-Dollar am höchsten bewerteten Finanztechnologie-Unternehmen der Welt, weder um einen rein chinesischen Konzern handelt, noch dass sein Geschäftsmodell ausschließlich auf China ausgerichtet ist. Ganz im Gegenteil: Ant Financial zählt zu den ganz großen internationalen Digitalplayern und hat mit ihnen allen eines gemein: Man denkt und handelt nicht in nationalen Dimensionen, sondern in internationalen.
Für die kommerzielle Zukunft von Ant Financial ist es daher relativ gleichgültig, ob der Börsengang in China oder in den USA stattfindet. Der Erfolg wird sich ohnehin einstellen, denn der Lauf der weltweiten Digitalisierung und der Weiterentwicklung der Blockchain-Technologie werden nicht an Landesgrenzen aufzuhalten sein.
Dass sich die US-Politik dieser Entwicklung entgegenstellt und ausländischen Konzernen juristische Steine in den Weg legt, aber dennoch nicht in der Lage ist, sie aufzuhalten, zeigt allerdings auch einen sehr gefährlichen Trend unserer Zeit: nämlich die große Ablenkung von den negativen Folgen der Digitalisierung und die Rolle, die die Politik dabei spielt – und das nicht nur in den USA.
Die rasante Entwicklung des Digitalsektors bringt extreme wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen mit sich: Zum einen fördert sie den Personalabbau und begünstigt damit die weltweite zunehmende Arbeitslosigkeit. Zum anderen beschleunigt sie wirtschaftliche Konzentrationsprozesse und verstärkt die globale Tendenz zur Monopolisierung. Darüber hinaus fördert sie in historisch nie dagewesener Weise die Einkommensungleichheit – wie sich unter anderem an den Vermögen von Bezos und Ma erkennen lässt.
Der stillschweigende Pakt zwischen Digital-Industrie und Politik
All diese Entwicklungen stoßen natürlich bei der arbeitenden Bevölkerung auf erhebliche Widerstände, von denen man jetzt schon mit Sicherheit sagen kann, dass sie in Zukunft weiter zunehmen werden, da diese Trends unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen nicht nachlassen, sondern sich sogar verstärken werden.
Was kann den Digital-Konzernen da Besseres passieren, als dass die Politik die Bevölkerung ablenkt, indem sie mit dem Finger auf ausländische Konzerne zeigt und ihnen gesetzliche Hindernisse in den Weg legt, die diese aber problemlos umgehen können?
Und was kann Politikern Besseres passieren, als dass die Konzerne dieses Spiel mitspielen und der Politik so die Gelegenheit verschaffen, sich als vermeintlicher Volksvertreter zu profilieren, der sich im Interesse der Bevölkerung gegen die Macht der IT-Branche stemmt?
Womit wir es hier zu tun haben, ist im Grunde nichts anderes als ein hinter den Kulissen abgekartetes Spiel, das schlussendlich nur dazu dient, denen, die die Welt in das Zeitalter der Digitalisierung führen, den Weg freizuräumen.
Für uns alle bedeutet das, dass wir im Kampf gegen die Auswüchse dieser Digitalisierung – komplette Datenkontrolle und biometrische Erfassung, die Abschaffung des Bargeldes, die Ausweitung von Home-Office und Home-Schooling und die Einführung von Mikrochips unter Nutzung der Nanotechnologie – jedenfalls nicht auf die Unterstützung der Politik hoffen sollten.