Finanzen

Unheilige Allianz: Wie Chinas Kommunisten und Kapitalisten gemeinsam das Bargeld abschaffen

In China gehen Kommunisten und Kapitalisten eine unheilige Allianz ein. Eines ihrer gemeinsamen Ziele haben sie schon so gut wie erreicht: Die Abschaffung des Bargelds.
22.08.2020 13:00
Lesezeit: 6 min
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Unheilige Allianz: Wie Chinas Kommunisten und Kapitalisten gemeinsam das Bargeld abschaffen
Er wird seine neuen Schuhe ganz sicher nicht mit Bargeld bezahlen. (Foto: dpa)

Es handelt sich nicht um ein modernes Märchen: Wenn chinesische Bettler um ein Almosen bitten, präsentieren sie den vorbeieilenden Passanten tatsächlich ein Stück Papier mit einem QR-Code. Wer etwas geben möchte, scannt diesen mit seinem Handy, und ein paar Yuan wechseln ihren Besitzer.

Ein Riesenmarkt, zwei Anbieter

China ist auf dem besten Wege, eine bargeldlose Gesellschaft zu werden. In den großen Metropolen sind Scheine und Münzen schon so gut wie nicht mehr in Gebrauch. Wer etwas bezahlen möchte, im Geschäft, beim Frisör, bei einer Behörde, im öffentlichen Nahverkehr, selbst beim einfachsten Imbiss auf der Straße, zückt sein Smartphone. Es gibt keine wirklich verlässlichen Angaben darüber, wie viele Bürger das von den beiden großen Online-Bezahlsystemen „Alipay“ (ein Tochterunternehmen von „Alibaba“) sowie „WeChat“ (gehört zu „Tencent“) gebildete Duopol nutzen, aber in den großen Städten sollen es über 90 Prozent der Einwohner sein. Auf dem Lande sind es weitaus weniger, aber auch hier sollen sich die Zahlen im Bereich von mindestens 50 Prozent bewegen.

Keine Kritik

Von den Bürgern kritisch beäugt wird das System fast gar nicht. Wie kaum eine andere ist die chinesische Gesellschaft resistenzlos gegen die Abschaffung des Bargelds: Sie befindet sich derzeit – in Windeseile – im Übergang von einer staatlich gelenkten Planwirtschaft zu einem System mit marktradikaler Ordnung, dem Abermillionen eine solch gewaltige Steigerung ihres Lebensstandards verdanken, dass sie zu kritischer Reflexion kaum bereit beziehungsweise fähig sind. Die Entbehrungen des vergangenen Jahrhunderts führen zu dem unerschütterlichen Glauben daran, dass – einfach ausgedrückt – alles, was modern ist, auch gut ist. Darüber hinaus sind die Chinesen generell technikverliebt – Folge eines gewaltigen Nachholbedarfs und gleichzeitig, wie der Industriedesigner Jamy Yang geschrieben hat, auch der Versuch, in „Kunstwelten dem banalen Alltag zu entkommen.“ Schließlich gibt es auch eine schizophrene Komponenten im chinesischen Denken: Auf der einen Seite wird die zunehmende Durchsetzungsfähigkeit des eigenes Landes gegenüber den USA und Europa begrüßt, geradezu bejubelt (die jahrhundertelange Unterdrückung durch den Westen und durch Japan spiegeln sich in dieser Haltung wider). Gleichzeitig wird alles Westliche begierig aufgesogen (und die Idee, bargeldlos zu bezahlen, ist nun einmal eine westliche – das moderne Kreditkartensystem nahm seinen Anfang in den 50er Jahren in den Vereinigten Staaten).

Schließlich wird „den Mächtigen“ wenig Misstrauen entgegengebracht. „Schutzherrschaft“ heißt das Zauberwort. Das bedeutet, dass das Verständnis von einer liberalen Demokratie, in der die Herrschenden dem Volk dienen, im chinesischen Denken kaum verankert ist. Vielmehr wird von der Obrigkeit erwartet, dass sie Volk, Staat und Gesellschaft führt – zum allgemeinen Wohl, aber dank ihrer angeblich überlegenen Fähigkeiten auch ohne jegliche Kritik von Seiten der Bürger.

Überwachungsstaat

Und deshalb kommt auch kaum der Verdacht auf, dass die Regierung die Abschaffung des Bargelds zur Verstärkung der ohnehin bereits massiven Überwachung ihrer Bevölkerung nutzt. Dass das geschieht, wird zwar weder von Seiten des Staates noch von „Alipay“ und „WeChat“ offiziell zugegeben, ist aber mehr oder minder ein offenes Geheimnis. Man braucht sich gegenseitig: Die Regierung sorgt mit den entsprechenden Regularien und Gesetzen dafür, dass sich die chinesischen Online-Giganten auf dem mit Abstand größten Markt der Welt ungestört von der Konkurrenz aus Übersee entfalten können. Und die Konzerne tragen im Gegenzug zum chinesischen Wirtschaftswunder bei – und schöpfen riesige Mengen an Datenmaterial ab, das sie treu und brav weiterleiten an die Kommunistische Partei, die sie für ihr Sozialkredit-System verwendet, mit dem sie das Verhalten von Einzelpersonen und Organisationen bewertet. Ein Überwachungsstaat ist China unter der Herrschaft der Kommunisten immer gewesen, aber selbstverständlich nicht so perfekt durchorganisiert wie heute, da die Abschöpfung von riesigen Datenmengen technisch realisierbar ist – nicht zuletzt die Bargeldabschaffung macht´s möglich.

Kommunisten und Kapitalisten Hand in Hand

Im Übrigen stand die Regierung der – von den Online-Riesen vorangetriebenen – Bargeldabschaffung nicht immer nur positiv gegenüber. Noch vor zwei Jahren kamen auf staatlicher Seite Zweifel auf, ob nicht breite Schichten der Bevölkerung benachteiligt würden, vor allem Senioren sowie die wenig technikaffine Landbevölkerung. Beide Gruppierungen sind für die Partei wichtig – die Senioren, weil auf sie politisch Verlass ist, und die Landbevölkerung, weil sie sich zwar seit 2011 gegenüber der Stadtbevölkerung in der Minderheit befindet, aber immer noch rund 550 Millionen Menschen zählt (entspricht 40 Prozent der Gesamtbevölkerung/ Zahlen von 2019). 550 Milliarden Menschen – das entspricht fast genau der Bevölkerung der USA, Russlands und der Bundesrepublik zusammen. Ein gewaltiges Potenzial für soziale Unruhen. Und deshalb haben „Alipay“ und „WeChat“ auf Drängen der Regierung auch gewaltige Anstrengungen unternommen, ihre Dienste auch für solche Gruppen nutzbar zu machen, denen der Zugang zu ihnen bisher fremd bis unmöglich war. Die Zahl der Smartphones ist kräftig gestiegen; es fanden Schulungen statt (unter anderem wurde Schulkindern gelehrt, ihren Großeltern den Umgang mit neuen Technologien beizubringen); und für die Menschen auf dem Lande wurden Systeme für den bargeldlosen Ver- und Einkauf von landwirtschaftlichen Gütern eingerichtet.

Von China in die Welt

Nun ist die Welt groß, China weit weg (vom Westen), und selbst, wenn es der Volksrepublik gelingen sollte, die USA als Weltmacht Nummer eins abzulösen, heißt das noch lange nicht, dass es ihr gelingen wird, ihrer Kultur sowie ihren gesellschaftlichen und politischen Normen globale Bedeutung zu verschaffen und sie zu nachahmenswerten Vorbildern zu stilisieren. Aber: Ohne Einfluss wird das chinesische Modell nicht bleiben, vor allem nicht in denjenigen Staaten und Gesellschaften, die unter starken chinesischen Einfluss geraten sind, geraten werden, vor allem in Afrika, in Asien entlang der Neuen Seidenstraße sowie in Süd- und in Südosteuropa. Das wiederum wird auch einen gewissen Effekt auf Nordamerika und vor allem Europa haben und – wenn auch nur indirekt – den Verfechtern der Bargeldabschaffung in den USA und in der Alten Welt Auftrieb geben.

Tatsache ist weiterhin, dass sich in China zunehmend eine neue Mittelschicht etabliert. Es gibt hierzu keine aussagekräftigen Zahlen, weil „Mittelschicht“ in allen Statistiken anders definiert wird und die Lebenshaltungskosten in dem Riesenreich viel stärker als im Westen variieren. Der Lebensstandard der Chinesen wird hierzulande häufig überschätzt, vor allem deshalb, weil es einige superreiche Milliardäre gibt. Vergessen wird dabei, dass die durchschnittliche Kaufkraft eines Chinesen ein Drittel der eines Deutschen beträgt. Aber: Es gibt eben weit mehr als 15mal so viele Chinesen wie Deutsche. Letztes Jahr gaben sie für Auslandsreisen 226 Milliarden Euro aus (Weltrekord), die Deutschen kamen auf 78 Milliarden Euro (Platz drei hinter den USA mit 118 Milliarden Euro). Ein großer Teil dieser Ausgaben entfiel auf Reisen nach Hongkong, Macao und Taiwan.

Aber die Zahl der Reisen nach Übersee steigt. Sollten in (naher) Zukunft nur sieben Prozent aller Chinesen sich eine Reise nach Deutschland leisten können, wären das 100 Millionen. Eine Riesenzahl an Menschen, die daran gewöhnt sind, bargeldlos zu bezahlen. Und die davon ausgehen, dass das auch in ihrem Reiseland so ist. Es ist kaum davon auszugehen, dass für die Touristen aus Fernost nicht die ihnen gewohnte Infrastruktur geschaffen wird. Und deren Existenz wird den Druck, auch in Deutschland das Bargeld abzuschaffen, zusätzlich verstärken.

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