Politik

Wie das Jahr 1944: Corona-Pandemie wird die Weltordnung für immer verändern

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hatte zu Beginn der Corona-Pandemie gesagt, dass die Menschen sich nach der Pandemie auf eine neue Weltordnung einstellen müssen. Das Pandemie-Jahr 2020 vergleicht er mit dem Jahr 1944 – als die Ardennen-Offensive der deutschen Streitkräfte gegen die Alliierten stattfand.
12.08.2020 17:42
Aktualisiert: 12.08.2020 17:42
Lesezeit: 2 min
Wie das Jahr 1944: Corona-Pandemie wird die Weltordnung für immer verändern
21.01.2020, Berlin: Henry A. Kissinger, ehemaliger US-Außenminister, spricht bei der Verleihung des Henry-A.-Kissinger-Preises an die Bundeskanzlerin. (Foto: dpa) Foto: Christoph Soeder

Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, der am 27. Mai 1923 in Fürth, als Heinz Alfred Kissinger geboren wurde, einen Gastbeitrag für das Wall Street Journal verfasst.

„Die surreale Atmosphäre der Corona-Pandemie erinnert mich daran, wie ich mich als junger Mann in der 84. Infanteriedivision während der Ardennenoffensive (Unternehmen „Wacht am Rhein“, Anm.d.Red.) gefühlt habe. Jetzt, wie Ende 1944, besteht ein Gefühl einer beginnenden Gefahr, die nicht auf eine bestimmte Person gerichtet ist, sondern sich gegen etwas richtet, was zufällig und mit Verwüstung zuschlägt“, so Kissinger.

Die Nationen würden in dem Glauben gedeihen, dass ihre Institutionen Katastrophen vorhersehen, ihre Auswirkungen aufhalten und die Stabilität wiederherstellen können. Doch wenn die Corona-Pandemie vorbei ist, werden die Institutionen vieler Länder sehen, dass sie gescheitert sind. Kissinger wörtlich: „Ob dieses Urteil objektiv gerecht ist, spielt keine Rolle. Die Realität ist, dass die Welt nach dem Coronavirus niemals mehr dieselbe sein wird (…) Die Staats- und Regierungschefs befassen sich weitgehend national mit der Krise, aber die gesellschaftsauflösenden Auswirkungen des Virus erkennen keine Grenzen. Während der Angriff auf die menschliche Gesundheit - hoffentlich - nur vorübergehend sein wird, könnten die politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die er ausgelöst hat, Generationen dauern. Kein Land, nicht einmal die USA, kann das Virus in rein nationalen Anstrengungen überwinden.“

In einer DWN-Analyse unter dem Titel „Endkampf zwischen Nationalisten und Globalisten geht in entscheidende Runde“ wird ausgeführt, welche Lager sich aktuell als Wettbewerber gegenüberstehen.

Weltweit führende Unternehmen hätten wichtige Lehren aus der Finanzkrise 2008 gezogen, so Kissinger. Die aktuelle Wirtschaftskrise sei aber komplexer: Die durch das Coronavirus ausgelöste Kontraktion sei in ihrer Geschwindigkeit und ihrem globalen Ausmaß anders als alles, was jemals in der Geschichte bekannt war. „Und notwendige Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit wie soziale Distanzierung und Schließung von Schulen und Unternehmen tragen zu den wirtschaftlichen Problemen bei“, so Kissinger.

Drittens müssen Kissinger zufolge die Prinzipien der liberalen Weltordnung geschützt werden. Die Gründungslegende der modernen Regierung sei eine ummauerte Stadt, die von mächtigen Herrschern geschützt werde, manchmal despotisch, manchmal wohlwollend, aber immer stark genug, um die Menschen vor einem äußeren Feind zu schützen. Denker der Aufklärung formulierten dieses Konzept neu und argumentierten, dass der Zweck des legitimen Staates darin bestehe, die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen: Sicherheit, Ordnung, wirtschaftliches Wohlergehen und Gerechtigkeit. Einzelpersonen können diese Dinge nicht alleine sichern.

Die Pandemie habe einen Anachronismus ausgelöst, eine Wiederbelebung der ummauerten Stadt in einer Zeit, in der Wohlstand vom globalen Handel und der Bewegung von Menschen abhänge.

Deshalb fordert Kissinger: „Die Demokratien der Welt müssen ihre Werte der Aufklärung verteidigen und aufrechterhalten. Ein globaler Rückzug aus dem Gleichgewicht zwischen Macht und Legitimität wird dazu führen, dass der Gesellschaftsvertrag sowohl im Inland als auch international zerfällt. Dieses tausendjährige Problem der Legitimität und Macht kann jedoch nicht gleichzeitig mit den Bemühungen zur Überwindung der Corona-Pest gelöst werden. Zurückhaltung ist auf allen Seiten notwendig - sowohl in der Innenpolitik als auch in der internationalen Diplomatie. Prioritäten müssen festgelegt werden. Wir gingen von der Ardennenoffensive in eine Welt mit wachsendem Wohlstand und verbesserter Menschenwürde über. Jetzt leben wir in einer epochalen Periode. Die historische Herausforderung für die Staats- und Regierungschefs besteht darin, die Krise zu bewältigen und gleichzeitig die Zukunft aufzubauen. Ein Misserfolg könnte die Welt in Brand setzen.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trump-Zölle könnten Preiskarussell, Zinserhöhungen und Insolvenzen anheizen - die EU bereitet sich vor
02.04.2025

Die Regierungen weltweit bereiten sich auf die massive Einführung von Zöllen durch US-Präsident Donald Trump vor, die, so sein Plan,...

DWN
Finanzen
Finanzen Tesla-Aktie stürzt ab: Miese Tesla-Auslieferungen belasten - was das für Anleger bedeutet
02.04.2025

Die weltweiten Auslieferungen des US-Autobauers Tesla sind im vergangenen Quartal um 13 Prozent auf 336.681 Fahrzeuge zurückgegangen....

DWN
Panorama
Panorama Polizei: Kriminalstatistik 2024 zeigt Ausländeranteil bei Gewaltdelikten in Deutschland steigt deutlich
02.04.2025

Die Kriminalstatistik der Polizei offenbart ein besorgniserregendes Bild: Die Zahl der erfassten Gewalttaten ist 2024 um 1,5 Prozent...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mercedes-Benz erwägt Ausstieg aus dem Billigsegment in den USA aufgrund von Trump-Zöllen
02.04.2025

Die Mercedes-Benz Group prüft derzeit, ob sie ihre günstigsten Fahrzeugmodelle in den USA aus dem Sortiment nimmt. Hintergrund sind die...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Volatile Märkte vor Trumps Zollerklärung
02.04.2025

Die US-Börsen dürften überwiegend mit Verlusten in den Mittwochshandel starten, vorbörslich stecken die Technologieindizes an der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen DWS-Aktie unter Druck: Deutsche-Bank-Tochter muss Millionenstrafe wegen Greenwashing zahlen
02.04.2025

Die DWS, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank, wurde in Deutschland zu einer Millionenstrafe wegen "Greenwashing"-Vorwürfen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kurzarbeit statt Massenarbeitslosigkeit? Verlängerung des Kurzarbeitergeldes steht in der Kritik
02.04.2025

Die Wirtschaft steckt fest in einer Strukturkrise: seit 5 Jahren kein Wachstum. Die Folge: Immer mehr Unternehmen bauen Stellen ganz ab...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Wirtschaft: Verbände fordern dringenden Kurswechsel der Koalition
02.04.2025

Bitte kein "Weiter-so"! Mit Unmut blicken deutsche Wirtschafts- und Industrieverbände auf das, was die noch namenlose Koalition aus Union...