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Experten: Wertschätzung der Bundesregierung für Pfleger und Krankenschwestern war reine „Show-Veranstaltung“

Experten üben scharfe Kritik am Zustand des deutschen Gesundheitssystems. Die symbolische Wertschätzung der Bundesregierung für Pfleger und Krankenschwestern während der Corona-Pandemie sei eine einzige große Show-Veranstaltung gewesen.
14.08.2020 09:00
Lesezeit: 3 min
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Experten: Wertschätzung der Bundesregierung für Pfleger und Krankenschwestern war reine „Show-Veranstaltung“
Szene in einem Krankenhaus. (Foto: dpa) Foto: Jens B

Experten aus dem Gesundheitssektor üben scharfe Kritik am Zustand der Branche und am Verhalten der Bundesregierung während der Corona-Pandemie. So bezeichnete der Vorsitzende des Vereins „Pflege in Bewegung“ und Leiter zweier Pflegeheime, Marcus Jogerst, die medial verbreitete Wertschätzung der Bundesregierung für Pfleger und Krankenschwestern als „Show-Veranstaltung“, wie der Deutschlandfunk berichtet.

Dass die Pflegebranche während der Corona-Pandemie als systemrelevant hervorgehoben worden sei, spüre man längst nicht mehr, sagte Jogerst. Es gebe weiterhin keine höheren Löhne und besseren Arbeitsbedingungen. Nur Altenpfleger hätten einen einmaligen Bonus in der Corona-Krise erhalten, Krankenpfleger jedoch nicht. Dabei sei in den Krankenhäusern während der ersten Corona-Welle „eine massive Last“ getragen worden. Nach Jogersts Worten ist über Jahrzehnte die Lohnentwickung in der Pflege hinter anderen Berufen zurückgeblieben. In der Industrie verdiene ein Facharbeiter an einer Maschine wesentlich mehr als ein „Facharbeiter am Mensch“. Das sei ein moralisches Unding, zitiert der Deutschlandfunk den Pflegeheimleiter.

„Die Krise halten wir noch durch, dann suchen wir uns einen anderen Beruf“

Bemerkenswert ist, dass auch der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, die grundlegenden Defizite im deutschen Gesundheitssystem einräumt. Westerfellhaus warnte vor einer akuten Personalnot in der Branche. Falls sich Bezahlung und Arbeitsbedingungen nicht verbesserten, drohe eine weitere Abwanderung von Pflegekräften, sagte er der Rheinischen Post. Sie seien zu Beginn der Corona-Krise noch hochgejubelt und für systemrelevant erklärt worden. Doch schon jetzt gebe es großes Unverständnis, dass aus der Anerkennung bisher zu wenige nachhaltige Taten erwachsen seien, betonte Westerfellhaus. Er nehme beim Pflegepersonal eine Stimmung wahr, wonach sie in der Pandemie noch durchhalten, sich dann aber einen anderen Job suchen wollten.

Doch nicht nur die Arbeitsbedingungen für die Angestellten weisen Mängel auf, auch die technische Ausrüstung ist ungenügend. Mehr Schutzkleidung, rasch verfügbare Betten in den Kliniken - und mehr Medikamente sowie Chemikalien aus dem eigenen Land: Das sind für den Münchner Mediziner Clemens Wendtner die Konsequenzen, die Deutschland aus der Corona-Krise ziehen sollte. Das Gesundheitssystem dürfe nicht „auf Kante genäht“ sein, sagte der Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing, der im Januar die ersten Corona-Patienten in Deutschland behandelt hatte.

„Wir haben durch die Pandemie gelernt, dass eine Resilienz - die Fähigkeit, eine Krise zu überstehen - auch im Gesundheitswesen nötig ist“, sagte Wendtner. So sollten zum Beispiel mehr Betten in Krankenhäusern kurzfristig verfügbar gemacht werden können. „Wir müssen künftig auch größere Mengen an Schutzkleidung vorhalten.“ Zudem müssten Maschinen und Chemikalien zur Herstellung von Virus-Tests vorrätig sein, so dass diese im eigenen Land produzierbar seien, ebenso wie Medikamente. Der wesentliche Faktor seien darüber hinaus die Menschen, die engagiert bleiben und Hygiene, Mundschutz und Abstandsregeln ernst nehmen.

Versorgung von Kindern und Jugendlichen verschlechtert sich

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte warnt indes vor Engpässen bei der medizinischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen. „Die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Kinderkliniken und -stationen ist akut gefährdet“, sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach laut einer Mitteilung der dpa. Die Zahl der Betten in den Kinderabteilungen der deutschen Krankenhäuser gehe seit mehr als 20 Jahren stetig zurück. Der Verband sprach von einem „Kinderkliniksterben“ und forderte die Politik dazu auf, die klinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu sichern.

Zuvor hatte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig die Abschaffung sogenannter Fallpauschalen in Krankenhäusern gefordert. „Fallpauschalen führen dazu, dass sich Kinderkliniken auf dem Lande nicht mehr rechnen“. Die Profitorientierung im Gesundheitssystem könne so nicht bleiben, sagte die SPD-Politikerin. Über Fallpauschalen rechnen die Krankenhäuser die Behandlung von Patienten ab. Je nach Krankheit und Behandlungsart gibt es eine bestimmte Summe, mit der dann alle Personal- und Sachkosten abgegolten sind.

Beobachtern wie dem Publizisten Werner Rügemer zufolge sind diese Fallpauschalen ein Symptom für die Schäden, welche ein entfesselter Finanzkapitalismus in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland anrichten konnte, wie er in einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten sagte.

Hintergrund der aktuellen Debatte ist der Fall einer 2019 geschlossenen Kinderstation in einem Asklepios-Krankenhaus in Parchim in Mecklenburg-Vorpommern. Das Unternehmen hatte als Grund Ärztemangel angegeben und weist den Vorwurf zurück, die Station aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben zu haben.

Vom Kinder- und Jugendärzteverband hieß es am Mittwoch: „Eine solche Schließung ist kein Einzelfall.“ Die von der Politik gewünschte Privatisierung des Gesundheitssystems sowie die Einführung von Fallpauschalen hätten zu dieser Entwicklung geführt. Die Politik müsse eine Vergütung der Kliniken sicherstellen, die dem erhöhten Aufwand der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen entspreche. „Außerdem fordern wir auch für ländliche Regionen eine wohnortnahe qualifizierte ambulante Versorgung. 50 Kilometer und mehr bis zur nächsten Kinderstation - das darf nicht sein.“

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