Politik

Zwischen West und Ost: Wie Deutschlands Geografie eine ausbalancierte Sicherheitspolitik erfordert

Gelegen in der Mitte Europas und umringt von zahlreichen Nachbarstaaten, stand Deutschland schon immer vor komplexen geopolitischen Herausforderungen. Nach der Reichsgründung im Jahre 1871 gelang Reichskanzler Otto von Bismarck zunächst eine erfolgreiche Gleichgewichtspolitik, um seine europäischen Nachbarn auszubalancieren. Doch nach seiner Entlassung verschlechterte sich Deutschlands außenpolitische Lage. Am Ende kam es zum Krieg. Dabei spielten auch eine Reihe von geographischen Faktoren eine Rolle, die heute noch Bestand haben und von der deutschen Diplomatie mitbedacht werden müss(t)en. Eine Analyse.
13.09.2020 13:12
Aktualisiert: 13.09.2020 13:12
Lesezeit: 4 min
Zwischen West und Ost: Wie Deutschlands Geografie eine ausbalancierte Sicherheitspolitik erfordert
Deutschlands geografische Lage ist schwierig: Es befindet sich in der stürmischen Mitte Europas - und in der Ost-West-Zange. (Grafik: DWN/Google Maps)

Deutschland wird in seinem äußersten Süden von den Alpen begrenzt und nach Norden hin immer flacher. Einige schiffbare Flüsse, allen voran der Rhein, ermöglichten (und ermöglichen) den Transport von Gütern und waren instrumental bei der Industrialisierung des Landes. Der Zugang zu internationalen Gewässern macht Hamburg zu einem wichtigen Hafen für deutsche Im- und Exporte – so wie auch das niederländische Rotterdam oder das belgische Antwerpen.

Nach der Reichsgründung 1871 stieg Deutschland aufgrund seines hohen Industrialisierungsgrades und seiner großen Bevölkerung zu einer europäischen Großmacht auf. In einer komplexen Gemengelage musste die deutsche Diplomatie nun eine Isolation vermeiden. Im Westen des Reiches lag Frankreich, im Osten das russische Zarenreich. Und der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands erregte das immer größere Misstrauen Großbritanniens. Ein Bündnis dieser Drei – zu dem es am Vorabend des Ersten Weltkrieges ja auch kam – würde Deutschland in eine geostrategische Zange nehmen und ihm im Falle eines bewaffneten Konfliktes einen Zweifrontenkrieg aufzwingen.

In zwei Lager gespalten

Die geographische Lage Deutschlands hat sich auch nach dem Verlust weiter Gebiete im Osten nicht grundsätzlich geändert: Als europäische Mittelmacht mit begrenztem militärischem Potential liegt es nach wie vor in zentraler Lage und rivalisiert potentiell mit Großbritannien und Frankreich im Westen sowie mit Russland im Osten. Da sich Europa aber nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei Lager gespalten hatte – ein westliches und ein östliches – erschienen die Gegensätze zwischen der Bundesrepublik und ihren westlichen Nachbarn zunächst bedeutungslos. Die USA hatten Westeuropa zu ihrem Brückenkopf auf der eurasischen Landmasse gemacht, um die Sowjetunion in Schach zu halten. Und der westliche Teil Deutschlands wurde über die Nato in das amerikanische Bündnissystem eingebettet.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich die geopolitischen Koordinaten allerdings verschoben. Zunächst stimmte Deutschland, um Frankreich zu besänftigen und die Wiedervereinigung zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu erlangen, einer frühzeitigen Einführung des Euro zu. Dies dürfte sich rückblickend als der Kardinalfehler in der Geschichte der EU erweisen. Denn der Euro hat zwar die Macht der Bundesbank zerstört, die wirtschaftlichen, strukturell bedingten Ungleichgewichte innerhalb der EU aber nicht behoben. Nun ist Deutschland gezwungen, das Überleben des Euro mit immer höheren Einsätzen zu sichern – und unterspült damit sein wirtschaftliches Fundament.

In der EU-Zwickmühle

Damit befindet sich Deutschland nun in einer Zwickmühle. Einerseits möchte es das Wiederaufflammen einer „deutschen Frage“, also einen Antagonismus mit seinen Nachbarn, durch eine vertiefte Integration in die Strukturen der EU verhindern. Andererseits beschleunigt der dadurch motivierte Marsch in einen EU-Superstaat die Zentrifugalkräfte innerhalb der EU – wie der Aufstieg Marie Le Pens in Frankreich oder Matteo Salvinis in Italien bereits deutlich gemacht haben. Und auch in Deutschland dürfte sich der Widerstand gegen „mehr Europa“ verschärfen, sollten die riesigen ökonomischen Kosten, die mit diesem Projekt verbunden sind und die zum großen Teil die deutschen Steuerzahler schultern müssen, noch offensichtlicherer werden, als sie es ohnehin schon sind.

In der Ost-West-Zange

Hinzu kommt, dass Großbritannien die EU verlassen hat. Der Beitritt dieses Landes zur EU 1973 war einer der großen diplomatischen Erfolge Deutschlands und sorgte in den Jahren vor dem Brexit für ein Gleichgewicht zwischen den Ländern des europäischen Nordens und denen des Südens inklusive Frankreichs. Ein Großbritannien außerhalb der EU dürfte aber auch die geostrategische Situation entscheidend beeinflussen, weil sich der Inselstaat entweder verstärkt an die USA anlehnen oder aber eine eigene imperiale Politik verfolgen wird, die den Interessen der EU zuwiderläuft.

Die Insellage Großbritanniens sowie seine starke Marine haben das Land in der Vergangenheit unangreifbar gemacht und es ihm gestattet, von außen auf ein Gleichwicht der Kräfte zwischen den verschiedenen europäischen Landmächten hinzuarbeiten und diese gegebenenfalls gegeneinander in Stellung zu bringen. Frankreich ist im Süden durch die Pyrenäen geschützt und hat im Westen keine Nachbarn, sondern das Meer. Es hat somit den großen Vorteil, lediglich seine Ostgrenze verteidigen zu müssen. Deutschland hingegen sieht sich durch seine zentrale Lage (die zwar einen wirtschaftlichen Vorteil darstellt, aber eben auch einen deutlichen geostrategischen Nachteil) gezwungen, sich nach zwei Seiten, nämlich nach Westen und nach Osten, abzusichern.

In der stürmischen Mitte

Vor diesem Hintergrund bekommt die Russland-Politik der Bundesregierung eine besondere Brisanz. Die Sanktionen gegen Russland wurden von den USA aus Machtkalkül durchgesetzt, und Deutschland hatte nicht die Kraft, sich dem großen Bruder aus Übersee zu widersetzen. Die Vereinigten Staaten möchten die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 verhindern – haben sie damit Erfolg, ist die Energieversorgung Deutschlands und damit der Industriestandort an sich gefährdet. Darüber hinaus schädigen die Maßnahmen die deutsche Wirtschaft massiv und zementieren die Spaltung zwischen Russland und einem Großteil Europas, was für Deutschland mit seiner exportorientierten Wirtschaft den größten Nachteil aller europäischen Länder beinhaltet.

Dies würde dann aber auch den ganzen Kontinent Europa beziehungsweise die EU schwächen. Wobei anzumerken ist, dass die Zukunft der EU sowie ungewiss ist. Eine erneute Wirtschaftskrise, für die Corona möglicherweise ein Brandbeschleuniger, nicht aber die tiefere Ursache wäre, könnte den Staatenbund sprengen. Dann befände sich Deutschland wieder in einer Situation wie vor dem Ersten Weltkrieg, in der einzelne Staaten bilaterale Bündnisse eingehen, um dritte Staaten in Schach zu halten. Das wäre für die Bundesrepublik alles andere als günstig – denn wirft man einen nüchternen Blick auf die Landkarte und lässt jegliche ideologischen Diskurse beiseite, stellt man fest, dass Großbritannien noch immer eine Insel ist, Russland noch immer im Osten des Kontinents liegt und Frankreich in seinem Westen– Deutschland jedoch in seiner stürmischen Mitte.

Es ist von großer Bedeutung, ob ein Land von Meeren umspült wird oder in einer Tiefebene von zahlreichen Nachbarn umringt ist. Ob sein Terrain gebirgig oder seine Witterung extrem ist. Ob es Zugang zu Rohstoffen und Wasser hat oder nicht. In einer Serie von Artikeln werfen die DWN einen Blick auf ausgewählte Länder und arbeiten heraus, inwieweit deren Außen, - Sicherheits- und Machtpolitik von ihrer jeweiligen Geografie (maßgeblich) mitbestimmt wird.

Lesen Sie auch die bisher erschienen Artikel unserer Serie:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/505453/Russlands-rote-Linie-Wie-seine-geografische-Lage-die-Machtpolitik-des-Riesenreiches-bestimmt

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/505910/In-der-Mitte-umzingelt-Wie-Chinas-Geografie-seinen-Aufstieg-zur-Weltmacht-erschwert

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trump-Zölle könnten Preiskarussell, Zinserhöhungen und Insolvenzen anheizen - die EU bereitet sich vor
02.04.2025

Die Regierungen weltweit bereiten sich auf die massive Einführung von Zöllen durch US-Präsident Donald Trump vor, die, so sein Plan,...

DWN
Finanzen
Finanzen Tesla-Aktie stürzt ab: Miese Tesla-Auslieferungen belasten - was das für Anleger bedeutet
02.04.2025

Die weltweiten Auslieferungen des US-Autobauers Tesla sind im vergangenen Quartal um 13 Prozent auf 336.681 Fahrzeuge zurückgegangen....

DWN
Panorama
Panorama Polizei: Kriminalstatistik 2024 zeigt Ausländeranteil bei Gewaltdelikten in Deutschland steigt deutlich
02.04.2025

Die Kriminalstatistik der Polizei offenbart ein besorgniserregendes Bild: Die Zahl der erfassten Gewalttaten ist 2024 um 1,5 Prozent...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mercedes-Benz erwägt Ausstieg aus dem Billigsegment in den USA aufgrund von Trump-Zöllen
02.04.2025

Die Mercedes-Benz Group prüft derzeit, ob sie ihre günstigsten Fahrzeugmodelle in den USA aus dem Sortiment nimmt. Hintergrund sind die...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Volatile Märkte vor Trumps Zollerklärung
02.04.2025

Die US-Börsen dürften überwiegend mit Verlusten in den Mittwochshandel starten, vorbörslich stecken die Technologieindizes an der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen DWS-Aktie unter Druck: Deutsche-Bank-Tochter muss Millionenstrafe wegen Greenwashing zahlen
02.04.2025

Die DWS, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank, wurde in Deutschland zu einer Millionenstrafe wegen "Greenwashing"-Vorwürfen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kurzarbeit statt Massenarbeitslosigkeit? Verlängerung des Kurzarbeitergeldes steht in der Kritik
02.04.2025

Die Wirtschaft steckt fest in einer Strukturkrise: seit 5 Jahren kein Wachstum. Die Folge: Immer mehr Unternehmen bauen Stellen ganz ab...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Wirtschaft: Verbände fordern dringenden Kurswechsel der Koalition
02.04.2025

Bitte kein "Weiter-so"! Mit Unmut blicken deutsche Wirtschafts- und Industrieverbände auf das, was die noch namenlose Koalition aus Union...