Politik

In der Mitte umzingelt: Wie Chinas Geografie seinen Aufstieg zur Weltmacht erschwert

China wird auch „das Reich der Mitte“ genannt: Ein Begriff, der dem Selbstverständnis einer Nation entspricht, die ihre wirtschaftliche und technische Vormachtstellung mehrere Jahrhunderte lang an die Länder des „Westens“ abtreten musste, die sich jetzt aber anschickt, diese Vormachtstellung wieder zurückzuerobern. Der Begriff „Reich der Mitte“ macht aber auch deutlich, dass China aufgrund seiner geographischen Lage vor besonderen Herausforderungen steht, die gerade vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Konfrontation mit den USA in den Fokus rücken. Eine Analyse.
22.08.2020 13:00
Lesezeit: 4 min
In der Mitte umzingelt: Wie Chinas Geografie seinen Aufstieg zur Weltmacht erschwert
China: Mittelpunkt der Welt? (Karte: Google Maps/DWN)

Die Frage, ob der Übergang von einer uni- zu einer multipolaren Weltordnung friedlich verlaufen wird, wird in geopolitischen Kreisen lebhaft diskutiert. Das Buch von Graham Allison „Destined for War” (Auf dem Weg zum Krieg) ist mittlerweile Standardlektüre bei Mitarbeitern des Weißen Hauses, im amerikanischen Außen- und Verteidigungsministerium. Fakt ist: China, dessen Volkswirtschaft die US- amerikanische nach Kaufkraftparität bereits vor einigen Jahren überholt hat (27,3 versus 21,4 Billiarden Dollar im Jahr 2019), hat sich zu einem ernst zu nehmenden Rivalen der USA entwickelt. Und die Vereinigten Staaten werden alles versuchen, den Aufstieg Chinas zu bremsen.

Landmacht – keine Seemacht

Die Geografie der beiden Kontrahenten bedingt dabei jeweils unterschiedliche machtpolitische Ansätze. Die USA sind eine (beziehungsweise die mit Abstand größte) Seemacht und ihre Landmasse weder vom Pazifischen noch Atlantischem Ozean aus angreifbar – es sei denn mit neuartigen Raketensystemen. China hingegen ist traditionell eine Landmacht, wirtschaftlich allerdings auf die Freiheit der Meere angewiesen. Ein Großteil der chinesischen Waren wird mit Containerschiffen exportiert. Seinen Öl-Bedarf deckt das Riesenreich überwiegend über Lieferungen, welche auf Tankschiffen die Straße von Malakka passieren. Diese Meerenge ist eine der Achillesfersen Chinas: Im Krisenfall könnten die USA sie mit ihrer Marine abriegeln und so die chinesische Wirtschaft zum Erliegen bringen.

Eine Strategie Chinas muss es also sein, die Seewege abzusichern. Dazu gehören eine zunehmende Präsenz im südchinesischen Meer und der Ausbau militärischer Stützpunkte entlang der Handelsrouten. Verschiedene Nachbarn Chinas beobachten dies mit Argwohn. Zu ihnen gehören Japan, Vietnam und Indien. Der ehemalige US- Präsident Barack Obama hatte folgerichtig versucht, China über seine „Pivot to Asia“- Strategie („Fokus auf Asien“) und den entsprechenden bilateralen Bündnissen einzuhegen. Und auch wenn sein Nachfolger Donald Trump Obamas Ansatz nicht weiterverfolgt, so steht China, das in Ostasien keine wirklichen Verbündete hat, dennoch vor einem Dilemma: Will es dem amerikanischen Druck etwas entgegensetzen, muss es aufrüsten. Rüstet es auf, erweckt es immer größeres Misstrauen. Und genau das dürfte den strategischen Interessen der Amerikaner entgegenkommen.

Die asiatische Landmasse

Eine Möglichkeit, sich von der Umklammerung seitens der USA zu befreien, wäre die Eröffnung weiterer Handelsrouten. Sollte der Arktische Ozean nördlich von Russland aufgrund einer Klimaerwärmung in den nächsten Jahren mit Schiffen befahrbar sein, könnten die Chinesen einen Teil ihres Warenverkehrs umlenken und damit die Straße von Malakka umgehen. Der Seeweg durch die Arktis ist Teil des Projekts „One Belt, One Road“, auch bekannt unter dem Namen „Neue Seidenstraße“, das nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geopolitische Ziele verfolgt. Denn einerseits möchte sich China neue Absatzmärkte erschließen, andererseits aber auch eine Blockade durch die Amerikaner vermeiden.

Bei der Seidenstraße geht es nicht nur um den Überland-Transport von Gütern per Lkw beziehungsweise Bahn, der im Vergleich zu den per See transportierten Gütern nach wie vor marginal ist, sondern auch um die Versorgung mit Rohstoffen. So kommt etwa Erdgas über die „Power of Sibiria“- Pipeline aus Russland und Erdöl aus dem Iran. Von dort passieren die Tanker zunächst die Straße von Hormuz, durchqueren den Indischen Ozean bis hin zur Straße von Malakka und fahren weiter bis China.

Die Chinesen bauen darüber hinaus auch den Hafen von Gwadar (Pakistan) aus, um demnächst die Fracht der Öltanker über eine Pipeline in den Westen Chinas pumpen zu können. Diese Pipeline wird durch Kaschmir führen, den ewigen und geostrategisch bedeutsamen Zankapfel zwischen Pakistan, Indien und China. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Grenzgefechte zwischen China und Indien im Juni dieses Jahres interpretieren.

Der Nahe und Mittlere Osten

Der Iran ist für China wegen seines Ölreichtums wichtig, aber auch wegen seiner geographischen Lage. Ihm kommt eine Schlüsselposition entlang der südlichen „Neuen Seidenstraße“ zu. Amerikanischer Druck auf den Iran ist also auf dem Schachbrett der Weltpolitik immer auch als Druck auf China zu verstehen. Die Auseinandersetzung zwischen dem Iran und Saudi- Arabien um die Vormachtstellung im Nahen Osten ist also auch – aber bei weitem nicht nur – ein Stellvertreterkonflikt zwischen China und den USA.

Der Iran seinerseits versucht einem amerikanischen und / oder israelischen Angriff vorzubeugen, indem es sowohl seinen Einfluss im Irak ausweitet als auch den syrischen Präsidenten Assad unterstützt. Die Explosionen von Beirut, deren Hintergründe noch nicht aufgeklärt sind, haben auch die schiitische Hizbollah getroffen und damit den Iran. Und nicht zuletzt China, das den Hafen von Beirut zu einem wichtigen Knotenpunkt der „Neuen Seidenstraße“ ausbauen möchte.

Steppen, Flüsse, Hochgebirge

Wenn wir eingangs von China als einer Landmacht gesprochen haben, so sollten wir doch nicht übersehen, dass das Land im Westen von Wüsten geprägt und im Südwesten von Hochgebirgen begrenzt wird, während sich im Norden von China die unendlichen und teilweise menschenleeren Steppen und Wälder der Mongolei und Sibiriens erstrecken. Berücksichtigt man dies, könnte man China auch als Insel bezeichnen. Die chinesische Zivilisation hat sich entlang des Jangtse und des Gelben Flusses entwickelt, deren jeweiliger Wasserreichtum eine reichhaltige Nahrungsmittelproduktion ermöglichte und ermöglicht. Die Quellgebiete der beiden Wasserläufe befinden sich in allerdings in Tibet. Dies ist einer der Gründe, warum die Kontrolle über dieses Hochland – das Dach der Welt – für China so wichtig ist.

Kampf um die Weltmacht

China muss sich also mit einer Vielzahl von Nachbarn arrangieren, während die USA lediglich an Kanada und Mexiko grenzen, zwei Länder, die ohnehin unter US- amerikanischen Einfluss stehen. Doch während ihre Geografie die USA begünstigt, kann es sein, dass ihr Anspruch, alleinige Weltmacht zu bleiben, ihre Macht überdehnt. Ob dies der Fall sein wird, werden wir in einem weiteren Artikel beleuchten.

Es ist von großer Bedeutung, ob ein Land von Meeren umspült wird oder in einer Tiefebene von zahlreichen Nachbarn umringt ist. Ob sein Terrain gebirgig oder seine Witterung extrem ist. Ob es Zugang zu Rohstoffen und Wasser hat oder nicht. In einer Serie von Artikeln werfen die DWN einen Blick auf ausgewählte Länder und arbeiten heraus, inwieweit deren Außen, - Sicherheits- und Machtpolitik von ihrer jeweiligen Geografie (maßgeblich) mitbestimmt wird.

Lesen Sie auch den ersten Teil unserer Serie:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/505453/Russlands-rote-Linie-Wie-seine-geografische-Lage-die-Machtpolitik-des-Riesenreiches-bestimmt

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