Bei der Tiefsee-Technologie könnte Deutschland ganz vorne mitspielen - was den Schiffbau angeht, ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde rettungslos abgeschlagen. Als in den 1970er Jahren die Werftkrise über die Welt hereinbrach, beschloss die damalige Bundesregierung, ausschließlich marktwirtschaftliche Gesetze walten zu lassen. Reihenweise gingen die deutschen Schiffbau-Unternehmen Konkurs, während sich ihre Konkurrenten in Japan und Südkorea mittels hoher staatlicher Subventionen buchstäblich über Wasser halten konnten und - nach Ende der Durststrecke - in der Lage waren, eine dominante Stellung auf dem Weltmarkt aufzubauen, die bis heute anhält (lediglich China hat es geschafft, sich als ernsthafter Konkurrent zu etablieren). Heute kommen weniger als zwei Prozent aller neu gebauten Schiffe aus Deutschland - immerhin fast ausschließlich hochpreisige, vor allem luxuriöse Kreuzfahrt-Riesen sowie Wasserfahrzeuge für Forschungs- und militärische Zwecke. Frachter laufen hierzulande allerdings überhaupt nicht mehr vom Stapel, sie werden in Asien gebaut.
Diese riesigen Frachter sind die Garanten des modernen Welthandels. Ihr Fassungsvermögen ist gigantisch: Die größten können bis zu 23.700 Stahlboxen aufnehmen - fast 50mal so viel wie die ersten Frachter, die gebaut wurden, nachdem der Amerikaner Malcolm McLean im Jahr 1956 den Container erfunden hatte. In den ersten zwei Jahrzehnten des neuen Jahrtausends wurden in rascher Abfolge immer neue Größenrekorde aufgestellt, zwischen den Reedereien herrschte ein regelrechtes Wettrennen. Doch jetzt scheint das Ende der Fahnenstange erreicht. Zwar kündigte die chinesische Staatsreederei „Cosco Ocean Shipping Company“ (COSCO) vor ein paar Monaten den Bau eines Superfrachters mit einer Ladekapazität von 25.000 Containern an, doch wurden die Pläne - wenn sie denn nicht sowie nur ein PR-Gag waren - rasch wieder fallengelassen.
Dass der Welthandel - unter anderem wegen des chinesisch-amerikanischen Handelskriegs - derzeit stagniert, dürfte ein, aber nicht der ausschlaggebende Grund für die Entscheidung gegen den Bau gewesen sein. Der internationale Handel wächst seit Ende des Zweiten Weltkriegs nämlich rasant. Die zwischenzeitlich auftretenden Flauten (beispielsweise Anfang der 1980er Jahre, während der Finanzkrise 2009 und auch dieses Jahr), waren vergleichsweise kurzfristiger Natur. Fakt ist, dass die Kurve tendenziell mit wenigen Ausnahmen stetig nach oben zeigte, und zwar steil (innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich das globale Exportvolumen fast verdreifacht).
Das wichtigste Argument gegen den Bau dürfte vielmehr das unausgewogene Kosten-Nutzen-Verhältnis gewesen sein - die zusätzliche Menge von gerade einmal 1.300 Containern (25.000 versus 23.700) hätte die Produktionskosten unverhältnismäßig stark in die Höhe geschraubt. Darüber hinaus hätte der Tiefgang des Riesenschiffes ein Problem dargestellt; bereits jetzt können viele Frachter eine ganze Reihe von Häfen nicht mehr anlaufen. In den letzten Jahren sind deshalb viele Häfen und die zu ihnen hinführenden Flüsse ausgebaggert worden; so hat im Juli dieses Jahres die - politisch hoch umstrittene - Elbvertiefung begonnen, deren Kosten mit mindestens 850 Millionen Euro beziffert werden. An europäischen Hafen-Standorten wird zunehmend dagegen protestiert, mit Steuergeldern Projekte zu finanzieren, die im Endeffekt fast ausschließlich Privatunternehmen - und das sind die Reedereien schließlich - zugutekommen.
Apropos Häfen: Ihr Ausbau schreitet immer weiter voran, vor allem in Ostasien, speziell in China. Mittlerweile sind neun der 20 größten Häfen der Welt in der Volksrepublik zu finden; der weltgrößte in Shanghai, andere in Städten, die im Westen nahezu unbekannt sind, zum Beispiel Qingdao (Nummer acht) und Tianjin (Nummer neun). Wie andere westliche Häfen auch, ist der größte deutsche Hafen, Hamburg, in der Rangliste stark zurückgefallen (Platz 18). Rotterdam als größter nicht-asiatischer Hafen liegt immerhin noch auf Position elf, während Dubai als größter nicht-ostasiatischer Vertreter Rang neun einnimmt.
Kriegs-Marine
Handelswege müssen geschützt werden - vor Piraten und vor allem vor sogenannten Rogue States (Schurkenstaaten), man denke nur an die Kaperung von Öltankern im Persischen Golf durch den Iran. Im Krisen- oder Kriegsfall müssen Versorgungswege gesichert und Verbindungslinien aufrechterhalten werden. Inwiefern die Deutsche Marine in ihrem jetzigen Zustand dazu in der Lage wäre, ist ungewiss. So soll nach einem geheimen Bundeswehr-Zustandsbericht im Jahr 2018 im Durchschnitt nur 70 Prozent des Materials von Heer, Luftwaffe und Marine einsatzfähig gewesen sein, wobei die Marine von allen drei Teilstreitkräften am stärksten betroffen war. Beispielsweise soll für eine Dauer von fünf Monaten kein einziges U-Boot einsatzfähig gewesen sein.
Überhaupt befindet sich die Deutsche Marine in einem Findungsprozess - und das schon seit 30 Jahren. Von ihrer Gründung im Jahr 1956 bis zum Jahr 1989 hatte sie faktisch nur eine Aufgabe: Im Fall eines Krieges die Flotte des Warschauer Pakts in der Ostsee zu bekämpfen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion glaubte man, die Zeiten der kriegerischen Auseinandersetzungen seien vorüber („Das Ende der Geschichte“) und Streitkräfte wären obsolet, woraufhin das große Abrüsten begann. Doch diese Annahmen erwiesen sich bald als Trugschluss; Deutschland sah die Notwendigkeit, sich weltpolitisch zu betätigen, im Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika. Das erforderte eine neue Generation von Schiffen - die mittlerweile schon fast wieder veraltet ist, weil die ursprüngliche Aufgabe der Marine wieder die neue zu sein scheint: Die Russen abzuschrecken und sie - im Falle eines bewaffneten Konflikts - in der Ostsee zu bekämpfen.
Angesichts dieser unbeständigen, wechselhaften Aufgabenstellung geht die Tendenz in der Marine-Strategie - nicht nur in der deutschen - verstärkt zum Mehrzweckschiff. Es soll in der Lage sein, eine möglichst große Bandbreite von Missionen zu erledigen, beispielsweise schwere Kriegsschiffe als auch leichte Piratenboote zu bekämpfen, und zwar in allen Klimazonen, vom subtropischen Nahen Osten bis zur Arktis. Dieser Strategie liegen auch finanzielle Erwägungen zugrunde - Investitionen ins Militär werden in westlichen Gesellschaften zunehmend unpopulär.
Ein Land gibt es, das finanzielle Beschränkungen kaum kennt: Die kommende Supermacht China. Seit einigen Jahren investiert das Reich der Mitte in großem Stil in seine Seestreitmacht. Das Ziel Pekings ist offensichtlich: Weg von einer Marine, welche vor allem dazu dient, die Küste und die Hoheitsgewässer der Volksrepublik zu verteidigen, hin zu einer Flotte, die mindestens im Pazifik, eigentlich aber weltweit der derzeit noch konkurrenzlosen US-Navy Paroli bieten kann. Wobei es nicht nur darum geht, auf hoher See mit den Amerikanern auf einer Stufe zu stehen. China will auch in der Lage sein, mit Hilfe seiner Flotte überall auf der Welt Landstreitkräfte einzusetzen - dazu sind derzeit ausschließlich die Vereinigen Staaten fähig. Auch wenn der Vorsprung der USA bei der Flottenkapazität weiterhin riesig ist, so ist es China in den letzten Jahren doch gelungen, diesen Vorsprung zu verringern. Wie sehr, darüber streiten sich die Fachleute. Dass die Volksrepublik tatsächlich kurz davorsteht, mit Amerika gleichzuziehen, wie einige selbsternannte Experten behaupten, ist allerdings Sensationshascherei beziehungsweise Defaitismus und hat mit der Realität nichts zu tun. Man muss sich nur die Anzahl der Flugzeugträger vor Augen halten, die sich im Arsenal der beiden Widersacher befinden: In dem der USA sind es 13, in dem Chinas gerade mal zwei. Aber im ehemaligen Land der unbegrenzten Möglichkeiten nimmt die Bereitschaft zu globalem Engagement auf breiter Front ab, und deshalb muss Washington auf der Hut sein, will es seine Vormachtstellung auf den Weltmeeren nicht - zumindest teilweise - einbüßen. Was hat uns Alfred Thayer Mahan gelehrt? Nur wer die See beherrscht, wird zur Weltmacht - was auch bedeutet, dass nur wer die See beherrscht, auch Weltmacht bleiben kann.
Leben auf dem Meer
Kriegerische Absichten kann man bestimmten Gruppen nicht unterstellen: Nämlich denjenigen, die davon träumen, eines Tages das Meer zu besiedeln. Einige dieser Träume sind sogar schon wahr geworden. In den Niederlanden zum Beispiel, wo im Bereich des Rotterdamer Hafens eine Amphibien-Siedlung errichtet wurde, sowie in Dubai, wo vor der Küste mit Milliarden-Aufwand künstliche Inseln entstanden. Aber diese Projekte sind eher profan, verglichen mit denen, die andere Futuristen planen. So hat der malaysische Architekt Sarly Adre bin Sarkum den Entwurf für einen „Water Scraper“ vorgelegt, also ein Hochhaus unter Wasser. Und das „Seasteading Institute“ (Motto: „Die Ozeane sind die neue Grenze der Menschheit“) des deutsch-amerikanischen Milliardärs Peter Thiel erforscht den Bau schwimmender Plattformen in internationalen Gewässern, wo nicht die Gesetze eines der weltweit knapp 200 Einzelstaaten, sondern ausschließlich das internationale Seerecht gilt. Die Vision ist, dort neue Gesellschaftsformen zu testen, innovative Formen des Zusammenlebens zu entwickeln. Eine Idee von Utopisten, die zu viel in den Romanen Jules Vernes´ geschmökert haben? Vielleicht. Sicher ist dagegen, dass das Meer die Zukunft der Menschheit entscheidend mitbestimmen wird.