Die Erforschung des Weltraums gehört zu den großen Träumen der Menschheit. Was ist diesbezüglich für die Zukunft geplant? Und wie werden sich Technologien, die für die Weltraumforschung entwickelt werden, auf unseren Alltag auf der Erde auswirken? Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen darüber mit Pascale Ehrenfreund, bis Mitte August Vorstandsvorsitzende des „Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt“ (DLR) und seitdem Professorin am „Space Policy Institute“ der George-Washington-Universität in Washington DC.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In welchen Bereichen der Raumfahrt forscht Deutschland?
Pascale Ehrenfreund: Deutschland gehört international zu den führenden Nationen in der Raumfahrt. Egal ob unbemannt oder bemannt – Wissenschaftler und Ingenieure, speziell auch des DLR, sind weltweit an allen maßgeblichen Missionen beteiligt. Dabei reicht das Spektrum der Beteiligungen vom Antrieb für das neue US-Raumschiff ORION über die europäische Trägerrakete Ariane und die Marsmission INSIGHT bis hin zur Missionskontrolle des europäischen Columbus-Labors auf der Internationalen Raumstation. Die Raumfahrtforschung in Deutschland, wie auch weltweit, soll mit dazu beitragen, unsere Leben auf der Erde zu erhalten und zu schützen. Dies gelingt uns zum Beispiel in der Erdbeobachtung. Daten aus dem All gewinnen zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung. Sei es in der Land- und Energiewirtschaft, aber auch im Bankenwesen sowie im Verkehrssektor.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Produkte kommen aus Deutschland, die bei der Erkundung des Weltraums eingesetzt werden?
Pascale Ehrenfreund: Die deutsche Raumfahrtforschung ist stark im Bau von Instrumenten und Sensoren. Dazu gehören die Radar-Sensoren auf den TanDemX-Satelliten, die Laser-Communication-Terminals europäischer Kommunikationssatelliten sowie Instrumente, die aktuell den Mars im Rahmen der Insight-Mission erkunden. Einige der Technologien, die für den Einsatz im Weltraum entwickelt worden sind, finden sich heute unter anderem im medizinischen und im Sicherheitsbereich. Dazu gehören Augentonometer zur Messung des Augeninnendrucks und Sensoren zur Überwachung von Hautkrebs ebenso wie eine Waldbrand-Kamera.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie hilfreich ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Erkundung des Weltraums?
Pascale Ehrenfreund: Unter dem Überbegriff der „Künstlichen Intelligenz“, kurz „KI“, verstehen wir verschiedene Methoden der Informatik zur Automatisierung von komplexen Funktionen. Das ist gerade überall dort besonders spannend, wo Unmengen an Daten beziehungsweise Informationen verarbeitet werden müssen. Beispielsweise in der Erdfernerkundung ist das der Fall, denn dort reichen menschliche Kapazitäten schlichtweg nicht mehr aus, um die Daten auszuwerten. KI-basierte Big-Data-Analyse verspricht die Nutzung von Satelliten-Daten zu revolutionieren, um wichtige Datenprodukte zum Thema Klimawandel, der Landwirtschaft und Naturgefahren zu liefern, um nur einige Beispiele zu nennen. Ein anderes typisches Beispiel für KI-Anwendungen in der Raumfahrt ist die Robotik. Ein wesentlicher Vorteil intelligenter Systeme in der Erkundung des Weltraums besteht darin, Astronauten zu unterstützen und neue Technologien für die Erforschung im schwierigen Gelände mit extremen Umweltbedingungen zu entwickeln. In Deutschland setzt nicht nur das DLR bereits seit vielen Jahren auf die Weiterentwicklung und Anwendung von KI.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sind weitere größere Projekte zur Erkundung des Weltraums in Planung, an denen sich Deutschland und das DLR beteiligen werden?
Pascale Ehrenfreund: Aktuell befindet sich der nächste Flug eines deutschen ESA-Astronauten in Vorbereitung: Matthias Maurer wird in der zweiten Jahreshälfte 2021 zur Internationalen Raumstation starten. Mit rund 40 Experimenten aus Wissenschaft und Technologie ist das
Auftragsbuch für den Flug schon recht gut gefüllt. Bei der Erkundung des Weltraums zum und über den Mond hinaus stehen die amerikanischen ARTEMIS-Missionen an. 2022 soll die europäische Mission EXOMars starten, die erstmals zwei Meter in den Mars-Untergrund bohren und Proben aus der Tiefe des Mars entnehmen soll, und 2024 wird die japanische Mission „Martian Moons Exploration“ (MMX) mit Beteiligung des DLR starten. Mit HERA wird es ein Rendezvous mit einem Asteroiden geben, und auch an den kommenden russischen LUNA-Flügen zum Mond sind Deutschland und das DLR beteiligt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ist es vorstellbar, dass in Zukunft Rohstoffe im Weltraum gewonnen werden? Und falls ja: Welche wären das?
Pascale Ehrenfreund: Vieles von dem was wir heute tun, beispielsweise auf der Internationalen Raumstation forschen und den Mars erkunden, war vor Jahrzehnten nicht vorstellbar. Unter In-Situ Resource Utilization (ISRU) versteht man die Gewinnung und Verarbeitung lokaler Ressourcen, zum Beispiel auf Mond und Mars, die für Lebenserhaltungssysteme, die Treibstoffproduktion oder den Bau von Habitaten verwendet werden. Der Abbau von Rohstoffen auf Asteroiden ist ein Vorhaben, über das heute nachgedacht wird. Wenn die rechtlichen, wie auch die technologischen Möglichkeiten vorhanden sind, wird es Menschen und Unternehmen geben, die versuchen werden, dieses Vorhaben umzusetzen. Heute kennen wir rund 800.000 Asteroiden, rund 20.000 davon sind so genannte Naherdobjekte und damit für Raumschiffe zu erreichen. Derzeit wird aber zuerst nach geeigneten Asteroiden gesucht, die die gewünschten Voraussetzungen erfüllen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welchen praktischen Nutzen hat die Erforschung des Weltraums für unser Leben auf der Erde?
Pascale Ehrenfreund: Heutzutage ist ein großer Teil unserer Weltwirtschaft immer mehr auf weltraumgestützte Infrastrukturen angewiesen. Unsere Erdbeobachtungs-Satelliten, Telekommunikations-Satelliten und Navigations-Satelliten sind für eine funktionierende moderne Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung. Satellitendaten bieten uns nicht nur unersetzliche Dienste wie die Bereitstellung des Internets für abgelegene Orte, sondern tragen auch dazu bei, Fragen der Energiesicherheit, Überwachung und Verteidigung, Landwirtschaft, der Eindämmung des Klimawandels bis hin zu Katastrophenvorhersage zu adressieren, um nur einige Sektoren zu nennen. Ohne die Bereiche Kommunikation und Navigation aus dem Erdorbit ist die moderne Mobilität nicht mehr denkbar.
Raumfahrt ist Technologietreiber. Auch Ergebnisse die medizinischen Raumfahrtforschung finden sich im klinischen Alltag wieder, wie die Telemedizin. Das bedeutet, dass Technologien aus der Raumfahrtforschung und -industrie für Produkte und Dienste in ganz unterschiedlichen Bereichen des täglichen Lebens nutzbar gemacht werden. Von den Innovationen kann die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, profitieren. Die effizientesten Innovationen können erreicht werden, wenn bestehende Technologien aus der Raumfahrt (wie z. B. aus der Robotik und Sensorik) auch in anderen Märkten und Branchen einsetzt werden. Die Raumfahrt hat ein großes Potenzial für den Technologietransfer.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wird sich der technologische Wandel in den nächsten Jahren beschleunigen? Und welche neuen Entwicklungen werden diesen Wandel vorantreiben?
Pascale Ehrenfreund: Der technologische Wandel wird sich sicher beschleunigen. Das zeigt auch die ungewöhnliche Situation, die wir weltweit durch die COVID 19-Pandemie erleben. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) werden stärker eingesetzt und schreiten rapide voran. Innovative Lösungen aus der Robotik sowie der automatisierten Herstellung von medizinischen Geräten oder Testkits entwickeln sich auf dem Markt. Quantencomputer werden uns eine völlig neue Welt in Sachen Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz eröffnen. Neue Formen der Energieerzeugung werden uns helfen, Emissionen zu reduzieren. Neue Konzepte des intermodalen Verkehrs werden unsere Zukunft bestimmen. Zusammenfassend, Forschung und Technologie-Entwicklung müssen stark gefördert werden, um mit dem Klimawandel Schritt zu halten und unsere natürliche Umwelt zu schützen.
Info zur Person: Pascale Ehrenfreund ist Professorin am „Space Policy Institute“ der George-Washington-Universität in Washington, D.C., und Präsidentin der „International Astronautical Federation“ (IAF) im Vorfeld der Cyberspace Edition des „International Astronautical Congress 2020“.