Politik

Jens Spahn gibt Fehleinschätzung zu: Jetzt muss er die Konsequenzen ziehen

Lesezeit: 2 min
02.09.2020 11:58  Aktualisiert: 02.09.2020 11:58
DWN-Chefredakteur Hauke Rudolph kommentiert die jüngsten Äußerungen von Jens Spahn im Hinblick auf den im Frühjahr durchgesetzten Lockdown.
Jens Spahn gibt Fehleinschätzung zu: Jetzt muss er die Konsequenzen ziehen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Jens Spahn hat zugegeben, dass weite Teile des Lockdowns im Frühjahr nicht notwendig gewesen wären. Die weitgehende Schließung des Einzelhandels, das Arbeitsverbot für Friseure und vor allem die Besuchsverbote in den Pflegeeinrichtungen: Sie alle waren überflüssig, haben hohe Kosten und teilweise großes menschliches Leid verursacht. Der Gesundheitsminister: „Das wird nicht noch mal passieren.“

Spahn redet sich damit heraus, dass vor knapp einem halben Jahr, als die drastischen Maßnahmen erfolgten, das Wissen über das Virus viel schwächer ausgeprägt war: „Wir können heute diese Abwägungsentscheidung zwischen Schutz und Alltag besser treffen, weil wir mehr wissen, weil wir mehr Erfahrung haben.“ In einigen Medien wurde Spahn für seine „ehrliche Corona-Bilanz“ gelobt. Ich sehe das anders.

Der Minister musste zu seiner „Bilanz“ erst getrieben werden. Der Druck von der Straße: Er wurde zu groß. Und deshalb rang Spahn sich zu einer Erklärung durch, die – früher oder später – sowie hätte erfolgen müssen. Wenn nicht von Spahn, dann von jemand anderem. Denn die Fehler: Sie wurden begangen, sind nicht mehr rückgängig zu machen. Das hätte – und das wird – eine Untersuchung des Ablaufs von Corona, der gegen die Pandemie gerichteten Maßnahmen sowie der Politik der Bundesregierung früher oder später sowie ergeben.

Eines will ich Jens Spahn gar nicht absprechen: Nämlich, dass er sich vor knapp einem halben Jahr in einer sehr schweren Lage befand, in einer Zwickmühle. Niemand wusste, wie mit dem Virus umzugehen war. Ein kompletter Lockdown? Nur teilweise Schließungen? Oder gar die normale Fortsetzung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens wie bei einer ganz gewöhnlichen Grippe? Eine schwere Entscheidung. Spahn hat die falsche getroffen. Nicht absichtlich natürlich – wer ihm das unterstellt, handelt unredlich. Aber: Es war eben die falsche.

Und darum kann es auch keinen Zweifel daran geben, was der Minister in dieser Situation zu tun hat: Nämlich, seinen Rücktritt einreichen. Er muss die Konsequenzen daraus ziehen, dass er den Anforderungen an sein Amt nicht gerecht geworden ist. Er hat es nicht vermocht, Schäden abzuwehren, Fehlentwicklungen entgegenzusteuern und, wie er es einst formulierte, „als Gesundheitsminister die Probleme unserer Zeit“ zu lösen. Um es nochmals zu betonen: Es geht hierbei nicht um persönliche Schuld. Aber um fachliches Versagen.

Eines will ich nicht verhehlen: Ich bin sozusagen persönlich involviert. Denn ich habe die Anti-Corona-Maßnahmen immer wieder verteidigt. Wenn Freunde, Bekannte und Kollegen den Gesundheitsminister und die Bundesregierung – teilweise massiv – angingen, nahm ich die so heftig Kritisierten fast immer in Schutz. Besonders traf mich der Vorwurf, Jens Spahn habe als Politikwissenschaftler von medizinischen Zusammenhängen überhaupt keine Ahnung. Ich habe nämlich auch Politikwissenschaften studiert. Und wies nicht zuletzt darum immer wieder darauf hin, wie viele Experten, Fachleute und Spezialisten einem Bundesgesundheitsminister doch zur Seite stünden. Jetzt stehe ich da wie ein begossener Pudel. Im persönlichen Umfeld vermeide ich das Thema geflissentlich.

Glaube ich, dass der Minister aus seiner fehlgeleiteten Politik und seinen Fehleinschätzungen Konsequenzen ziehen wird? Nein, das tue ich nicht. Jens Spahn ist ehrgeizig, hat große Ambitionen. In einem zukünftigen Kabinett Laschet will er seine Karriere vorantreiben. Gerade mal 40 Lenze zählt er – für einen Politiker ein zartes Alter. Da bleiben dem gebürtigen Münsterländer noch gute 20, 25 Jahre, in denen er es bis ganz nach oben schaffen kann: Ins Bundeskanzleramt.

Wollen wir hoffen, dass sich die Wähler dann ans Frühjahr 2020 zurückerinnern. Wobei es natürlich noch besser wäre, wenn sich Jens Spahn seiner Verantwortung stellen würde. Und zwar heute schon. Und deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal meine Forderung bekräftigen und wiederholen:

„Herr Bundesgesundheitsminister, treten Sie zurück!“


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit neuem Rekordhoch - geht es jetzt Richtung 100.000 US-Dollar?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag legt die wichtigste Kryptowährung direkt nach. Seit dem Sieg von Donald Trump bei...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Wirecard-Zivilprozess: Ein Musterkläger für 8500 Aktionäre - Kommt eine Entschädigung für Aktionäre?
21.11.2024

Holen sich Wirecard-Aktionäre jetzt eine Milliarden-Entschädigung von EY? Viereinhalb Jahre nach der Wirecard-Pleite geht es vor dem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ifo-Umfrage: Industrie bewertet Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit miserabel
21.11.2024

Seit 1994 hat die Industrie ihre Lage nicht mehr so schlecht eingeschätzt, sagt das ifo Institut. Im EU-Vergleich stehen deutsche...

DWN
Panorama
Panorama Finnland startet Ermittlungen zum Kabelschaden in der Ostsee
21.11.2024

Nachdem die schwedischen Behörden bereits tätig wurden, hat nun auch die finnische Kriminalpolizei Ermittlungen zu einem Kabelschaden in...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Nach vier Jahren: Castor-Transport erreicht Deutschland
20.11.2024

Nach vier Jahren hat erstmals wieder ein Castor-Transport mit hochradioaktiven Abfällen aus dem Ausland Deutschland durchquert. Der Zug,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutsche Bank-Aktie klettert: Einstieg bei KI-Start-up Aleph Alpha
20.11.2024

Das Heidelberger Start-up Aleph Alpha gilt als wichtiger Akteur in der deutschen KI-Branche. Jetzt investiert die Deutsche Bank in das...

DWN
Finanzen
Finanzen Depotübertrag: Wie Sie Ihr Wertpapierdepot wechseln und dabei Geld sparen
20.11.2024

Ein Depotübertrag kann für Sie als Anleger zahlreiche Vorteile bieten, von geringeren Gebühren bis hin zu attraktiven Prämien für...