Weltwirtschaft

Die Globalisierung ist an ihrer eigenen Lüge gescheitert

Lesezeit: 5 min
16.09.2020 18:12  Aktualisiert: 16.09.2020 18:12
Die Globalisierung hat ihr Versprechen von Wohlstand und Freiheit für alle nicht eingehalten. Stattdessen machte sie die Reichen immer reicher, während die Armen immer ärmer wurden. Eine ursprünglich gute Idee hat sich als Mogelpackung entpuppt. Nun muss sie zu Grabe getragen werden.
Die Globalisierung ist an ihrer eigenen Lüge gescheitert
Senegal, Dakar: Ein junger Mann fährt mit einem Karren über die Mbeubeuss-Mülldeponie.(Foto: dpa)
Foto: Sadak Souici

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Die beiden DWN-Gastautoren Matthias Weik und Marc Friedrich sind der Ansicht, dass die Globalisierung zum Scheitern verurteilt ist. Vor wenigen Monaten – zu Beginn der Pandemie – führten sie in einem Gastbeitrag aus: „Sollten die Chinesen weiterhin kaum noch Autos kaufen, wird dies desaströse Konsequenzen für VW, Audi, BMW und Daimler haben, aber auch für die Zulieferer und schlussendlich für alle anderen Wirtschaftszweige in diesem Land (…) Viele Unternehmen weltweit werden erkennen, dass man sich in eine gefährliche Abhängigkeit von China begeben hat. Man wird wieder umdenken. Dies bedeutet: Arbeitsplätze und Produktionen wieder nach Hause holen, Alternativen schaffen, um die Abhängigkeit zu reduzieren. Das wird China Wachstum kosten und schlussendlich die KP zu Fall bringen. Wir sehen gerade den Beginn der De-Globalisierung! Bekanntlich haben die Notenbanken ihr Pulver verschossen. Die Zinsen sind in der Eurozone bei Null und auch in anderen Ländern existieren relativ niedrige Zinssätze. In Zeiten wirtschaftlichen Stillstands wird die Kreditnachfrage äußerst gering sein. Folglich werden weitere Zinssenkungen nicht mehr zielführend sein.“

Die einflussreiche Ökonomin Dambisa Moyo schilderte zuvor in seinem Gastbeitrag der Deutschen Wirtschaftsnachrichten, wie die Globalisierung ihrem Ende entgegengeht und zunehmend wieder von nationalstaatlichem Handeln ersetzt wird.

Deutsche Ökonomen äußern sich zur Wirtschaftsordnung nach der Corona-Krise

Die Corona-Pandemie stürzt die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds. „Wenn wir diese Krise überwinden, wird die Welt eine andere sein“, prophezeit der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink. Aber wie könnte die Welt nach der Krise aussehen? Die Nachrichtenagentur Reuters hat dazu drei deutsche Top-Ökonomen gefragt:

SEBASTIAN DULLIEN, WISSENSCHAFTLICHER DIREKTOR DES INSTITUTS FÜR MAKROÖKONOMIE UND KONJUNKTURFORSCHUNG (IMK):

„Wir werden eine grundsätzliche Veränderung bei den internationalen Wertschöpfungsketten sehen. Die Unternehmen werden sich weniger auf die Lieferung wichtiger Teile aus dem Ausland verlassen. Die Corona-Epidemie ist nach der Finanzkrise, dem Brexit und dem Handelsstreit USA-China nun schon das vierte Großereignis, durch das die Unternehmen ihre Lieferketten überdenken werden. Es wird ein gewisses Zurückdrehen der Globalisierung geben.

Für die deutsche Wirtschaft sehe ich zwei gegenläufige Effekte. Wenn das nicht nur bei uns so passiert, sondern woanders auch, könnten wir als exportabhängiges Land unter Druck kommen. Zugleich bedeutet das aber auch neue Investitionen: Produktionsanlagen müssen dann schließlich neu aufgebaut werden. Davon wiederum könnte unser Maschinenbau deutlich profitieren. Es ist noch nicht klar, wohin das Pendel für die deutsche Wirtschaft ausschlagen wird, ob sie als Gewinner oder Verlierer dastehen wird.

Es wird nach der Krise auch mehr Home Office geben. Es zeigt sich ja in der jetzigen Ausnahmesituation, dass es funktioniert. Das wird einen Schub für mobile Formate geben – auch in Bereichen, in denen das bisher nicht üblich war. Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir auf absehbare Zeit weniger Großveranstaltungen haben werden – etwas Messen und Kongresse. Auch kann es zu Strukturverschiebungen kommen. Viele Unternehmen werden die Krise nicht überleben. Reisebüros etwa standen ohnehin schon unter Druck. Wir werden hier einen massiven Verlust von Anbietern sehen.“

JENS SÜDEKUM, PROFESSOR FÜR INTERNATIONALE VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE, HEINRICH-HEINE-UNIVERSITÄT DÜSSELDORF:

„Meine größte Sorge ist, dass wegen Corona die Europäische Union implodiert. Der Schock hat ganz Europa unverschuldet getroffen. Aber nicht alle können so kraftvoll handeln, wie Deutschland es kann. Überhaupt halte ich es nicht für gut, dass jetzt alle Länder alleine für sich handeln. Wir brauchen eine gesamteuropäische Strategie mit gesamteuropäischer Finanzierung – zum Beispiel durch einmalige Corona-Bonds.

Viele andere Probleme können entstehen. Wenn Deutschland langsam wieder rauffährt, wird es dann eigentlich genug Nachfrage aus dem Ausland geben, woran wir existentiell hängen? Vielleicht stecken die USA dann nämlich noch mittendrin in der Krise. Außerdem kann nach Corona ein Wunsch entstehen, Re-Nationalisierung von Wertschöpfungsketten zu betreiben. Ein gefährliches Unterfangen, zumal für den so stolzen 'Exportweltmeister' Deutschland.

Viele, viele Probleme. Aber es gibt auch gute Nachrichten. Jetzt, wo wir alle täglich in Videokonferenzen hängen, merken wir, dass das auch geht und wir nicht permanent persönliche Meetings abhalten müssen. Vielleicht wird Corona als zum ultimativen Katalysator der Digitalisierung.“

ACHIM WAMBACH, PRÄSIDENT DES ZENTRUMS FÜR EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTSFORSCHUNG (ZEW):

„Meine große Sorge ist, dass die Krise die nationalistischen Tendenzen, die in vielen Ländern zu beobachten sind, noch verstärkt. Eigentlich ist die Lektion nämlich eine andere:

1) Globale Diversifizierung statt Rückkehr ins Regionale: Während in Europa die Produktion heruntergefahren wird, kann Asien jetzt wieder liefern, da sie früher als wir von dem Virus betroffen waren.

2) In Europa gemeinsam: Und innerhalb Europa ist es gut, wenn Patienten in Kliniken andere Länder gebracht werden und wenn der innereuropäische Warenverkehr hilft, Engpässe zu überwinden. Der Ausstieg aus den Teilschließungen benötigt auch eine europäische Antwort. Es wird schwer, wenn wir kontrolliert hochfahren wollen und in Frankreich die Wirtschaft lahm liegt – oder umgekehrt.“

Globalisierung und China

Joachim Jahnke, der lange Jahre Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in der Londoner City gewesen ist, äußerte sich bereits im Jahr 2014 in einem Gastbeitrag der Deutschen Wirtschaftsnachrichten sehr kritisch über die Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeiter in China: „China hat extrem niedrige Arbeitskosten und kann mit der Ausbeutung seiner etwa 250 Millionen Wanderarbeitnehmer immer mehr Industrieproduktion aus der Welt an sich ziehen und zugleich in den alten Industrieländern die Löhne unter Druck setzen. In China gibt es nur die Staatsgewerkschaften, die sich mehr für die Unternehmensleitungen einsetzen als die Rechte der Arbeitnehmer. Das Streikrecht ist nicht anerkannt, so dass nur wilde Streiks stattfinden können. Die Sozialversicherung ist bisher trotz aller Pläne nur rudimentär, so dass die Arbeitnehmer für alle Schicksalslagen sparen müssen. Eine Studie der Boston Consulting Group zeigte, dass im Jahr 2000 der Lohn einer chinesischen Arbeitskraft noch etwa 3 Prozent von dem eines amerikanischen Arbeitnehmers betragen hat. Dieser Anteil ist auf 4 Prozent in 2005 und 9 Prozent in 2010 gestiegen. In der chinesischen Stadt Guangzhou, wo sehr viel Exportindustrie angesiedelt ist und die Löhne besonders hoch sind, soll der durchschnittliche Monatslohn nach neuester Statistik 873 Euro betragen, was allerdings die schlechter bezahlten Wanderarbeitnehmer nicht einschließen dürfte. Der monatliche Mindestlohn lag 2012 für Shenzhen, eines der Hauptexportzentren, bei 240 US-Dollar/180 Euro. Besonders die Bundesregierung hat unter dem Druck der deutschen Exportkonzerne auf eine rasche Aufnahme Chinas in die für Marktwirtschaftsländer konzipierte Welthandelsorganisation gedrängt und so entscheidend mitgeholfen, China die Märkte der alten Industrieländer für seine sehr oft unfair dumpenden Exportoffensiven brutal aufzureißen. Ebenso wurde beispielsweise die Ausbeutung der Niedrigstlöhne in Ländern wie Kambodscha ermöglicht. Dort verdiente 2013 ein für europäische Modehäuser beschäftigter Textilarbeiter im Monat gerade einmal 80 US-Dollar/58 Euro. Aus ähnlichen Motiven waren deutsche Industrie und Bundesregierung an einer schnellen Erweiterung der EU auch noch um die rückständigen Niedrigstlohnländer Rumänien und Bulgarien interessiert.“

Zurück zur aktuellen Krise in Europa:

Unabhängig von Dauer und weiterem Verlauf der aktuellen Krise, steht eins angesichts der Heftigkeit des Einbruchs und der notwendigen fiskalischen Reaktion außer Frage: Private und vor allem staatliche Schuldenquoten werden deutlich ansteigen, Bilanzen von Notenbanken werden weiter aufgeblasen, und die Zinsen werden noch länger im negativen bzw. auf niedrigem Niveau verharren. Grundsätzlich ist bei dieser Gemengelage von einer noch bedeutenderen Rolle und einem stärkeren Einfluss der Notenbanken auf die Wirtschaft auszugehen. Hier sei betont, dass Notenbanken gerade für Krisenzeiten geschaffen wurden. Somit dürfte die EZB aktuell ihren primären Aufgaben mehr nachkommen als in stabilen Zeiten, so die IKB Deutsche Industriebank.

Mögliche Kritik am zunehmenden Einfluss des Staates – auch in Folge möglicher Verstaatlichungen – ist wenig angebracht. Eine anhaltend hohe Anzahl von Unternehmensinsolvenzen würde die Bedeutung des Staates in der Wirtschaft noch mehr stärken und die Politik nötigen, die Wirtschaft zunehmend und vollständig zu lenken – im extremen Fall könnte dies sogar das gesamte Wirtschaftssystem in Frage stellen.

Hohe Schuldenquoten führen zu anhaltender Krisenpolitik von Notenbanken und Regierungen. Viele Euro-Länder werden durch die Krise ein Niveau ihrer Schuldenquoten erreichen, von dem eine Umkehr kaum noch denkbar ist. Hierzu gehört insbesondere Italien, dessen Schuldenquote auf über 150 % der Wirtschaftsleistung ansteigen dürfte. Doch auch Spanien, Frankreich und Portugal werden kritische Höhen erreichen. Da sich die Schuldenquoten vieler Länder in Folge der Coronakrise auf deutlich über 100% des BIP ausweiten werden, ist die Schuldentragfähigkeit und auch die Handlungsfähigkeit der betroffenen Staaten zunehmend fraglich, die Schulden zu reduzieren.


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