Finanzen

Nach Verzweiflungs-Tat: Türkische Zentralbank auf Konfliktkurs mit Erdogan

Die Zentralbank hat die Leitzinsen deutlich angehoben und damit gegen den Willen von Präsident Erdogan gehandelt.
27.09.2020 08:13
Lesezeit: 1 min
Nach Verzweiflungs-Tat: Türkische Zentralbank auf Konfliktkurs mit Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein erklärter Zins-Gegner (Foto: dpa) Foto: Uncredited

Die türkische Zentralbank hat den Leitzins (einwöchige Repo-Rate, mit der sich Banken bei der Zentralbank refinanzieren können) um zwei Prozent von 8,25 Prozent auf 10,25 Prozent angehoben. Die Lira hat sich infolgedessen vom Rekordminusverhältnis von 7,71 pro Dollar auf 7,51 pro Dollar erholt, das Verhältnis ist aber aber tagesaktuell schon wieder auf 7,66 pro Dollar gestiegen. Wieder einmal scheint eine Maßnahme fast wirkungslos zu verpuffen. Die Lira klebt auf einem Pfad fest, und dieser Pfad zeigt nach unten.

Der Zinsentscheid läuft den Vorstellungen von Präsident Erdogan diametral entgegen. Ihm wird eine de-facto Kontrolle der Zentralbank nachgesagt. Im Juli letzten Jahres war der damalige Zentralbank-Direktor von Erdogan entlassen worden, weil er die Zinsen nicht weiter senken wollte. Erdogan sieht hohe Zinsen als schädlich für das Investitionsklima (und paradoxerweise die Entwicklung der Inflation) an.

Akt der Verzweiflung

Die geldpolitische Entscheidung dürfte also aus purer Verzweiflung und eines Mangels an Alternativen getroffen worden sein. Denn die Währungsplaner dürften mit der Zinserhöhung den Zorn des Präsidenten auf sich gezogen haben. Bis jetzt hat Erdogan jedoch noch nicht auf die Neuigkeit reagiert.

Zinserhöhungen sind eigentlich das klassische geldpolitische Mittel, um einer zunehmenden Abwertung der Währung entgegenzuwirken. Eine Geldanlage in der heimischen Währung wird attraktiver und gleichzeitig eine Verschuldung unattraktiver.

Für Per Hammarlund, Chefstratege für Schwellenland-Anlagen bei der skandinavischen SEB-Bank, war der Zinsentscheid eine Überraschung, aber ein „Schritt in die richtige Richtung“. “Es sendet ein Signal an die Märkte, dass sie über die Lira-Schwäche besorgt sind und die Inflation einzudämmen versuchen.“

Ausblick weiterhin schwach

Die Aussicht der Lira bleibt aber schlecht. Erst kürzlich hat die Rating-Agentur „Moodys“ die Türkei von B1 auf B2 und damit noch tieferes Ramsch-Niveau herabgestuft. Die türkische Wirtschaft leidet unter dem Einbruch des Tourismus, dem chronischen Leistungsbilanz-Defizit und Kapitalflucht. Das verursacht einen ständigen Abwärtsdruck auf die Währung. Die Stützungskäufe der Zentralbank haben laut Goldman Sachs dieses Jahr rund 78 Milliarden Dollar der Währungsreserven verschlungen, und blieben letztlich doch effektlos. Außerdem sind die Realzinsen (im August 11,77 Prozent Inflation zum Vorjahresmonat) weiterhin negativ. Die Leitzinsen müssten in diesem Umfeld perspektivisch weiter steigen, und zwar kontinuierlich, sodass die Märkte auch wirklich an einen dauerhaften Richtungswechsel in der Geldpolitik glauben.

Es hilft nicht, dass die Türkei als Haupt-Akteur in der Mittelmeer-Krise steckt. Die Märkte reagieren immer nervös auf drohende militärische Konflikte, das äußert sich dann in einer höheren Schwankungsbreite der Assets. Für die türkische Währung bedeutet das ein erhöhtes Risiko für einen weiteren starken Verfall, weil fundamental (siehe oben) alles für einen solchen Absturz spricht.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Politik
Politik Grönland wählt am 11. März - und verbietet ausländische Spenden an Politik
05.02.2025

Aus Angst vor Wahlmanipulation und angesichts geopolitischer Begehrlichkeiten greift Grönland durch: Ausländische und anonyme Spenden an...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft US-Strafzölle: Wie die deutsche Wirtschaftsleistung massiv bedroht wird
05.02.2025

US-Strafzölle auf Importe aus Kanada, Mexiko und China könnten gravierende Folgen für die deutsche Wirtschaft haben. Experten des...

DWN
Panorama
Panorama Russischer Geheimdienst hinter Auto-Sabotagen vermutet
05.02.2025

Eine Serie von Sabotageakten gegen Autos sorgt für Unruhe in Deutschland. Die Polizei vermutet dahinter einen russischen Geheimdienst, der...

DWN
Technologie
Technologie Shein und Temu im Visier der EU-Kommission
05.02.2025

Die EU-Kommission will gegen den massenhaften Import billiger Produkte von Plattformen wie Shein und Temu vorgehen. Im Fokus stehen...

DWN
Panorama
Panorama Elf Tote in Schweden: Was ist passiert?
05.02.2025

Nach einer Schießerei an einer Erwachsenenbildungseinrichtung in Schweden bleiben viele Fragen offen. Mindestens elf Menschen starben,...

DWN
Politik
Politik Mehrheit bei Migrationsvotum durch AfD: Für mehr als die Hälfte der Deutschen kein Problem
05.02.2025

Bei den Demonstrationen gegen Merz und die AfD war viel Empörung zu spüren. Doch diese Proteste spiegeln nur die Meinung einer – wenn...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Rüstungskonzern KNDS übernimmt Alstom-Werk in Görlitz und sichert Arbeitsplätze
05.02.2025

Der Rüstungskonzern KNDS übernimmt das Alstom-Werk in Görlitz. In einer feierlichen Zeremonie unterzeichneten die Unternehmen eine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Investments 2025: „Gold ist der beste Maßstab für den Wert von Bitcoin, den wir haben“
05.02.2025

Bitcoin-ETFs, politische Entscheidungen und die Goldkorrelation bestimmen die Spielregeln für Bitcoin 2025. Was das für Anleger bedeutet,...