Die USA beharren darauf, dass das Nord Stream 2-Projekt abgebrochen wird. Die Bundesregierung zieht dabei nicht mit - sie arbeitet darauf hin, das Projekt abzuschließen.
Im Verlauf der dadurch angefachten Diskussion werden in Deutschland Stimmen laut - häufig mit anti-amerikanischem Einschlag - dass es der USA vor allem darum gehe, eine Allianz zwischen Deutschland und Russland zu verhindern; ein Ziel, dass für die USA angeblich schon seit 100 Jahren höchste Priorität hat. Doch diese ideologische Sichtweise trübt den Blick auf das, was real und wirklich von Belang ist. Nämlich, dass die Fertigstellung von Nord Stream 2 negative Folgen für den Zusammenhalt innerhalb der EU hätte.
Angeblich herrscht innerhalb der US-Regierung, innerhalb des außen- und wirtschafspolitischen Bürokratie-Apparates sowie sowohl bei Republikanern als auch bei Demokraten Einigkeit darüber, dass Nord Stream 2 verhindert werden muss. Doch ist dem wirklich so? Wenn die USA tatsächlich danach getrachtet hätten, Nord Stream 2 zu verhindern, warum haben sie damit nicht bereits in der Frühphase des Projekts begonnen? Stattdessen haben sie Deutschland und Russland gewähren lassen. Warum?
Die Antwort ist folgende: Weil es den USA bei Nord Stream 2 um etwas ganz anderes geht als um wirtschaftliche Belange. Das Projekt sorgt dafür, dass sich Polen und die baltischen Staaten immer mehr von Deutschland abwenden und sich stattdessen den USA annähern. In Polen, Estland, Lettland und Litauen entsteht eine Abwehrhaltung gegenüber Deutschland und Russland. Diese Entwicklung harmoniert mit dem „Intermarium-Konzept“, wonach Polen von den USA als Führungsmacht aufgebaut werden soll, um einen neuen Bündnisgürtel in Europa aufzubauen. Letztendlich schadet diese Entwicklung der EU, und damit auch Deutschland. Darüber hinaus geht auch die Regierung in Kiew, die den Ausfall von Transitgebühren fürchtet, auf Abstand zu Berlin. Erreichen die Unterstützer von Nord Stream 2 also das Gegenteil von dem, was sie eigentlich erreichen wollen?
Die Bundesregierung hat keine Ahnung
Die Bundesregierung hat einem Medienbericht zufolge mit einer milliardenschweren Offerte versucht, den USA entgegenzukommen. Anfang August habe Bundesfinanzminister Olaf Scholz seinem US-Amtskollegen Steven Mnuchin zunächst mündlich und später auch schriftlich vorgeschlagen, dass Deutschland bereit sei, den Bau von zwei Spezialhäfen zum Import von US-Flüssiggas zu finanzieren, berichtete „Die Zeit“. Über die Terminals in den Häfen Brunsbüttel und Wilhelmshaven sollen US-Firmen amerikanisches Flüssiggas (LNG) nach Deutschland exportieren können. Dieser Vorschlag von Scholz zeigt, dass die Bundesregierung überhaupt keine Ahnung hat, worum es beim Nord Stream 2-Streit tatsächlich geht.
Kommen wir zum Argument, dass Russland seinen politischen Einfluss auf Europa durch Nord Steam 2 ausbauen wird. Doch in echt ist es völlig unerheblich, was den Einfluss Russlands auf Europa angeht, ob Nord Stream 2 gebaut wird oder nicht. Europa wird auf unabsehbare Zeit abhängig bleiben von russischem Gas. Ob das Gas nun über die Ukraine oder teilweise über Nord Stream 2 transportiert wird, macht aus russischer Sicht keinen Unterschied. (Lediglich das russisch-ukrainische Verhältnis würde sich durch Nord Stream 2 verändern - Moskau hätte mit der neuen Pipeline sicherlich ein Druckmittel gegenüber Kiew).
Die Transatlantiker argumentieren, anders als die Befürworter einer deutsch-russischen Allianz, dass Deutschland seinen Platz an der Seite der USA habe. Sie glauben, die USA hätten ein Interesse an einer starken EU, die sich außenpolitisch in Richtung der USA orientiert. Doch das ist völliger Unsinn.
USA und Russland gegen die EU
Die USA haben - genau so wenig wie Russland - kein Interesse an einer starken EU. Eine wirtschaftlich und politisch geschlossene EU könnte in Zukunft neben der USA und China die dritte Weltmacht werden (und Russland weit übertrumpfen). Die Handelskriegs-Drohung der US-Regierung gegenüber Deutschland ist der Tatsache geschuldet, dass die Bundesrepublik im vergangenen Jahr einen Handelsbilanzüberschuss von 223,2 Milliarden Euro hatte, die USA dagegen ein Handelsbilanzdefizit von umgerechnet 787,0 Milliarden Euro. Auch die Jahre davor sah es nicht viel anders aus.
Aus einer Aufstellung des Magazins „Capital“ geht hervor, welches wirtschaftliche Problem die USA mit Deutschland haben: „Die USA bleiben der wichtigste Abnehmer deutscher Exporte. Die Nachfrage erhöhte sich um 4,7 Prozent. Das war der größte Anstieg in den Top Ten. Der Gesamtwert der ausgeführten Waren belief sich auf 118,7 Milliarden Euro. Bei den Importen belegten die USA für Deutschland nur Platz drei. Dementsprechend verzeichnet die Bundesrepublik mit den Vereinigten Staaten die höchsten Exportüberschüsse (47,2 Milliarden Euro).“
Die US-Regierung will dieses handelspolitische Spiel umdrehen – auch in Bezug auf China. Kurzum: Weder die Transatlantiker noch die Träumer eines „deutsch-russischen Großreichs“ verstehen, mit welchen Realitäten sie konfrontiert sind. Sie hängen ihren ideologisch motivierten Zielen nach, die nicht eintreten werden.
Doch es gibt noch eine weitere Realität, die verbissene Transatlantiker und Pro-Russland-Zirkel in Deutschland nicht nachvollziehen können. Die USA und Russland sind nicht miteinander verfeindet. Stattdessen verfügen sie über zahlreiche militärische, diplomatische und nachrichtendienstliche Kanäle, über die sie miteinander verbunden sind.
Es wird Zeit, dass Europa - und vor allem Deutschland - anfängt, zu verstehen, wie Geopolitik gemacht wird. Wie (legitime) Interessen verfolgt und durchgesetzt werden. Und vor allem: Wer Gegner ist und wer Freund. Kurzum: Es wird Zeit, dass der alte Kontinent endlich seine Naivität ablegt. Sonst wird er zum Spielball - seiner Feinde, aber auch seiner (angeblichen) Freunde.
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