Politik

Coup in Kirgistan: Anhänger befreien ehemaligen Präsidenten aus Gefängnis

Im zentralasiatischen Kirgistan ist ein offener Machtkampf ausgebrochen.
06.10.2020 15:59
Lesezeit: 2 min
Coup in Kirgistan: Anhänger befreien ehemaligen Präsidenten aus Gefängnis
Bischkek: Menschen protestieren während einer Kundgebung gegen die Ergebnisse einer Parlamentsabstimmung. (Foto: dpa) Foto: Vladimir Voronin

Nach massiven Protesten gegen die umstrittene Parlamentswahl hat die Wahlkommission im zentralasiatischen Kirgistan die Abstimmung für ungültig erklärt. Das teilte die Behörde am Dienstag in der Hauptstadt Bischkek mit. Grund seien massive Manipulationen bei der Wahl am Sonntag und die darauffolgenden Spannungen in der Ex-Sowjetrepublik. Das Parlament sollte noch am Nachmittag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Auch am Dienstag versammelten sich erneut zahlreiche Demonstranten im Stadtzentrum.

In der Nacht zum Dienstag hatten zahlreiche Menschen unter anderem das Parlamentsgebäude gestürmt. Sie befreiten zudem mehrere Politiker aus dem Gefängnis, darunter den wegen Korruption inhaftierten Ex-Präsidenten Almasbek Atambajew und den Oppositionellen Sadyr Schaparow. Der Bürgermeister von Bischkek trat daraufhin zurück. Die Demonstranten forderten, Schaparow die Führung des Landes zu übergeben.

Bei dem Sturm auf das Parlamentsgebäude in der Ex-Sowjetrepublik kam es zu schweren Ausschreitungen. Demonstranten steckten Autos in Brand. Sicherheitskräfte setzten Wasserwerfer, Tränengas und Blendgranaten gegen die Menschenmenge ein. Fast 600 Menschen wurden verletzt, wie das Gesundheitsministerium mitteilte. Kirgisische Medien berichteten, dass Demonstranten mehrere öffentliche Gebäude besetzt hätten, darunter den Regierungssitz und das Bürgermeisteramt.

Rund 3,5 Millionen Wähler hatten in dem Hochgebirgsland an der Grenze zu China am Sonntag über ein neues Parlament abgestimmt. Der Wahlkommission zufolge lagen zwei regierungsnahe Parteien vorn. Die Partei Birimdik (Einheit) erreichte demnach rund 25 Prozent der Stimmen. Ein Bruder des Präsidenten ist Parteimitglied. Die erst 2015 gegründete Partei Mekenim Kirgistan (Mein Vaterland Kirgistan) holte nach den Angaben fast 24 Prozent. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprach von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. Stimmen sollen gekauft worden seien.

Mehrere Oppositionsparteien hatten die Ergebnisse der Wahl nicht anerkannt und eine Neuwahl gefordert.

Präsident Sooronbaj Dscheenbekow warf der Opposition den Versuch einer illegalen Machtergreifung vor. In der Nacht zum Dienstag hätten mehrere politische Kräfte versucht, die Macht an sich zu reißen. Die Kräfte hätten die Ergebnisse der Wahl zum Anlass genommen, um Unruhe im Land zu stiften. Sie seien auf Sicherheitskräfte losgegangen. «Sie haben Ärzte geschlagen und Gebäude beschädigt.» Dscheenbekow sagte, dass er auf einen Schießbefehl verzichtet habe, um ein Blutvergießen zu verhindern.

Präsident Dscheenbekow forderte die Anführer der politischen Parteien auf, ihre Anhänger zur Ruhe bringen. Zugleich kündigte er an, «alle erdenklichen Maßnahmen zu ergreifen, um keine Eskalation der Lage zuzulassen». Es gab auch Forderungen, Dscheenbekow abzusetzen.

Kirgistan ist nach den Revolutionen der Vergangenheit heute eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Nach dem Sturz von Präsident Kurmanbek Bakijew 2010 hatte die demokratische Politikerin Rosa Otunbajewa die Führung in dem Land mit mehr als sechs Millionen Einwohnern übernommen. Sie war die erste Frau an der Spitze und setzte bis dahin in der von autoritären Staatschefs geprägten Region beispiellose demokratische Reformen durch. Gestärkt wurde dabei auch die Rolle des Parlaments.

In dem stark von politischen Clanstrukturen geprägten Land gab es zuletzt nach Meinung von Menschenrechtlern aber wieder Rückschritte. Bereits 2005 musste nach Vorwürfen der Wahlfälschung Präsident Askar Akajew das Land verlassen. In dem völlig verarmten Staat, in dem Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor 30 Jahren bis heute Einfluss hat, kommt es immer wieder zu Ausbrüchen von Gewalt.

Ex-Staatschef Atambajew war im Juni wegen Korruption zu rund elf Jahren Haft verurteilt worden. Er soll während seiner Amtszeit unter anderem einem verurteilten Kriminellen zur Flucht verholfen haben. Der Sozialdemokrat hatte das Land von 2011 bis 2017 geführt. 2019 lieferten sich seine Anhänger bei der Festnahme Straßenschlachten mit Sicherheitskräften.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Elterngeld: Warum oft eine Steuernachzahlung droht
12.07.2025

Das Elterngeld soll junge Familien entlasten – doch am Jahresende folgt oft das böse Erwachen. Trotz Steuerfreiheit lauert ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Krypto ersetzt Börse: Robinhood bietet Token-Anteile an OpenAI und SpaceX
12.07.2025

Die Handelsplattform Robinhood bringt tokenisierte Beteiligungen an OpenAI und SpaceX auf den Markt. Doch was wie ein Investment klingt,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Meta-KI: Facebook-Mutter wirbt KI-Top-Talente von OpenAI ab – Altman schlägt Alarm
12.07.2025

Der KI-Krieg spitzt sich zu: Meta kauft sich Top-Talente, OpenAI wehrt sich mit Krisenurlaub – und Europa droht im Wettrennen um die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deindustrialisierung: Ostdeutsche Betriebsräte fordern Ende von Habecks Energiewende - Industriestandort gefährdet
11.07.2025

Nach dem Verlust von über 100.000 Industriearbeitsplätzen richten ostdeutsche Betriebsräte einen dramatischen Appell an Kanzler Merz....

DWN
Technologie
Technologie Start-up ATMOS Space Cargo setzt neue Maßstäbe: Deutsche Logistik erobert den Weltraum
11.07.2025

Fracht ins Weltall zu bringen, ist eine Herausforderung. Eine noch größere ist es, sie wieder unversehrt zur Erde zurückzubringen....

DWN
Finanzen
Finanzen JP Morgan-CEO Jamie Dimon rechnet mit Europa ab: „Europa verliert“
11.07.2025

Jamie Dimon, CEO von JP Morgan und einer der mächtigsten Akteure der US-Wirtschaft, warnt europäische Politiker: Der Kontinent droht...

DWN
Immobilien
Immobilien Mietpreisbremse bleibt bestehen: Bundesjustizministerin Hubig kündigt Bußgeldregelung an
11.07.2025

Die Mietpreisbremse wird verlängert – doch ist das genug, um Mieter wirklich zu schützen? Während die Politik nachjustiert, plant das...

DWN
Politik
Politik Trump: Wir schicken Waffen, die NATO zahlt
11.07.2025

Erst Stopp, dann Freigabe: Trump entscheidet über Waffen für Kiew – und kündigt neue Schritte gegen Russland an. Bezahlen will er das...