Politik

Lagebericht Kaukasus: Schwere Gefechte in Bergkarabach, strategisch wichtige Pipeline soll angegriffen worden sein

Lesezeit: 3 min
08.10.2020 09:21  Aktualisiert: 08.10.2020 09:21
Bei den schweren Gefechten zwischen Armenien und Aserbaidschan in Berg-Karabach soll eine wichtige Ölpipeline Aserbaidschans getroffen worden sein.
Lagebericht Kaukasus: Schwere Gefechte in Bergkarabach, strategisch wichtige Pipeline soll angegriffen worden sein
Fallschirmjäger nehmen an einer Übung auf dem Militärstützpunkt Ashuluk teil. Russland hat im Kaukasus sein größtes Militärmanöver in diesem Jahr mit insgesamt 80000 Teilnehmern begonnen. An der bis zum 26. September angesetzten internationalen Übung beteiligen sich Soldaten unter anderem aus China, Pakistan, Belarus, Armenien und Myanmar.(Foto: dpa)
Foto: Vadim Grishankin

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Trotz eindringlicher internationaler Appelle zur Feuerpause halten die Konfliktparteien in der Unruheregion Berg-Karabach mit Waffengewalt an ihrem Kurs fest. Am Mittwoch seien die Gefechte entlang der gesamten Front fortgesetzt worden, teilte Aserbaidschans Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Baku mit. Mehrere Dörfer und Städte seien beschossen worden. Nach armenischer Darstellung versuchten Truppen, im Südosten an der Grenze zum Iran weiter vorzurücken. Armenien habe daraufhin mehrere Einrichtungen auf aserbaidschanischer Seite zerstört, hieß es vom Militär in der Hauptstadt Eriwan.

Wie das Portal Southfront berichtet, soll aserbaidschanischen Angaben zufolge zudem die strategisch wichtige Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline (BTC), welche Rohöl aus Aserbaidschan über Georgien in die Türkei liefert, von armenischen Truppen angegriffen worden sein. Die Angriffe seien aber abgewehrt worden.

Immer wieder sollen die Hauptstadt von Berg-Karabach und Dörfer in der Region gezielt mit Raketen beschossen worden sein. Dort leben mehr als 50 000 Menschen. Viele verstecken sich in den Kellern und Bunkern. Zahlreiche Häuser sind schwer beschädigt. Im Stadtzentrum gab es mehrere Explosionen. Tausende Menschen, darunter vor allem Kinder und Rentner, sollen bereits aus den Grenzdörfern Richtung Armenien geflohen sein. Viele sollen in Wälder geflüchtet sein, um in den Orten nicht unter Beschuss zu geraten.

Insgesamt sind bei den Kämpfen bereits auf beiden Seiten Hunderte Menschen getötet worden, darunter auch zahlreiche Zivilisten. Die Behörden in Berg-Karabach sprechen von rund 320 getöteten Soldaten in den eigenen Reihen. Aserbaidschan hat bislang keine Angaben zu eigenen Verlusten gemacht. Mindestens 27 Zivilisten wurden getötet.

Seit mehr als einer Woche liefern sich die beiden verfeindeten Staaten schwere Gefechte. Diese gehen aber weit über die Scharmützel hinaus, die es immer wieder gab. Beide Länder werfen sich gegenseitig vor, Zivilisten anzugreifen. Selbst nehme man jedoch nur militärische Einrichtungen des Gegners ins Visier, hieß es.

Der Konflikt um Berg-Karabach flammte nach dem Zerfall der Sowjetunion auf. Anfang der 1990er Jahre gab es einen Krieg zwischen den verfeindeten Nachbarn mit rund 30 000 Toten und Hunderttausenden Flüchtlingen. In Berg-Karabach leben heute rund 145 000 Menschen, mehrheitlich christliche Armenier. Völkerrechtlich gehört das Gebiet aber zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Eigentlich gilt seit 1994 eine Waffenruhe, die oft nicht eingehalten wird.

In dem Konflikt vermittelt seit Jahren die sogenannte Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Vorsitzenden Russland, Frankreich und die USA riefen wiederholt zu einem Ende der Waffengewalt auf - jedoch ohne Erfolg.

Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan betonte, dass es für Friedensgespräche Kompromisse auf beiden Seiten brauche. Armenien sei nur dazu bereit, wenn es auch ähnliche Schritte des Gegners gebe, sagte Paschinjan. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev erklärte, dass Verhandlungen nur nach einem Ende der Kämpfe möglich seien.

Maas erhöht Druck auf Aserbaidschan

Bundesaußenminister Heiko Maas rief Aserbaidschan dazu auf, einer Waffenruhe zuzustimmen. Während Eriwan seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer Waffenruhe signalisiert habe, sei von Baku eine entsprechende Zusage bislang nicht zu bekommen, sagte Maas bei der Regierungsbefragung im Bundestag. Falls Aserbaidschan in dieser Frage nicht einlenke, müsse die EU den Druck auf Baku erhöhen. Aserbaidschan bekommt in dem Konflikt Rückendeckung von der Türkei. Auch ausländische Söldner und Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen sollen an den Gefechten beteiligt sein. Eindeutige Beweise gibt es bislang nicht.

Allerdings fliehen Investoren aus der Landeswährung Lira, weil sie Sanktionen der USA und der EU gegen die Türkei antizipieren, nachdem diese den Test russischer S-400-Raketen angekündigt hatte. Die Lira sackte am Donnerstag erneut auf Allzeittiefs zu Dollar (rund 7, 90 Lira) und Euro (rund 9,30 Lira).

Die Rolle von Russland ist in dem Streit sehr kompliziert: Moskau hat diplomatische und wirtschaftliche Verbindungen zu beiden Ex-Sowjetrepubliken, jene mit Armenien sind jedoch intensiver. Dort hat Russland auch eine Militärbasis. In einem Vertrag ist geregelt, in welchen Fällen Russland seinen Verbündeten unterstützt. «Wir haben unsere Verpflichtungen stets erfüllt - und werden sie auch weiterhin erfüllen», sagte Kremlchef Wladimir Putin im TV-Sender Rossija-24. Die Kämpfe seien derzeit aber nicht auf dem Staatsgebiet Armeniens.

Putin versucht verstärkt, auf beide Seite einzuwirken, und telefonierte am Mittwoch sowohl mit Paschinjan als auch mit Aliyev. Er beobachte die Lage mit großer Sorge, sagte Putin. Auch der Iran, der sowohl an Aserbaidschan als auch an Armenien und Berg-Karabach grenzt, warnte vor einem möglichen Flächenbrand. «Wir sollten höllisch aufpassen, dass aus diesem Konflikt kein regionaler Krieg wird, denn von dem würde definitiv keiner profitieren», sagte Präsident Hassan Ruhani. «Mit Gewalt kann man Probleme nicht lösen, da gibt es andere Wege.» Der Iran steckt im Berg-Karabach-Konflikt in einer politischen Zwickmühle. Mit beiden Ländern pflegt Teheran gute Beziehungen und zieht es daher vor, weiterhin neutral zu bleiben.

Die EU setzt sich ebenfalls für eine Waffenruhe ein. «Unser Standpunkt ist klar: Die Kämpfe müssen aufhören», sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Diese Forderung sei zuletzt auch von den Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat in der vergangenen Woche ausgegangen, betonte Borrell. Eine weitere Eskalation des Konfliktes sei im Moment nicht auszuschließen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Yulin Delegation - Erfolgreich veranstaltetes Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen in Berlin

Am 25. April 2024 organisierte eine Delegation aus der chinesischen Stadt Yulin ein erfolgreiches Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin als Geldanlage: „Das ist gleichzusetzen mit einem Besuch im Casino“
02.05.2024

Bitcoin entzweit trotz neuer Kursrekorde die Anlegergemeinschaft. Die einen halten große Stücke auf den Coin, die anderen sind kritisch....

DWN
Politik
Politik Heimatschutz: Immer mehr Bürger dienen dem Land und leisten „Wehrdienst light"
01.05.2024

Ob Boris Pistorius (SPD) das große Ziel erreicht, die Truppe auf über 200.000 Soldaten aufzustocken bis 2031 ist noch nicht ausgemacht....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor für Unternehmenserfolg
01.05.2024

Die Studie „Corporate Sustainability im Mittelstand“ zeigt, dass der Großteil der mittelständischen Unternehmen bereits Maßnahmen...