Politik

Geopolitik und Finanzsystem: Worum es beim Konflikt zwischen China und den USA wirklich geht

Die Stärke Chinas beruht auf seiner Kooperation mit den US-Finanzinstitutionen. Das beunruhigt Washington. Deshalb gilt: Wenn die US-Regierung China stoppen will, muss sie an der „finanziellen Heimatfront“ einen Sieg erringen.
18.01.2021 21:26
Lesezeit: 4 min

In der gesamten Welt findet ein intensiver wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel statt. Um diese Veränderungen zu verstehen, muss folgende Frage beantwortet werden: Verändert sich die globale Wirtschaft aus sich selbst heraus oder konzentriert sich die Schaffung eines neuen Gleichgewichts darauf, die Gründe für diese große Veränderung vorzubereiten – mit dem Ziel die Infrastruktur für strategische Veränderungen zu schaffen?

Es ist davon auszugehen, dass zunächst eine wirtschaftliche Zielsetzung erfolgt ist, um anschließend die Bedingungen zu schaffen, die die Erreichung dieses Ziels begünstigen sollen. Die Weltwirtschaft funktionierte bisher so, dass US-amerikanische und europäische Unternehmen und Kapitalbesitzer in China investierten, um dort Güter produzieren zu lassen, die wiederum auf dem Weltmarkt abgesetzt wurden. China erzielte dadurch durchgehend Exportüberschüsse. Das Kapital, das aus der Wertschöpfung akkumuliert wurde, wurde zum Großteil bei US-amerikanischen und britischen Finanzinstitutionen hinterlegt.

Die mittellosen chinesischen Massen befanden sich am Anfang dieser globalen Lieferkette. Sie produzierten die Luxusgüter, die anschließend in den Westen exportiert wurden, damit sie von den Menschen in den USA und in Europa konsumiert werden. Hinzu kommt, dass die Öl-Produzenten im Nahen Osten durch den Energieexport Milliarden von Dollars einnehmen, die sie zum einen für den Kauf von hauptsächlich US-amerikanischen und britischen Rüstungsgütern ausgeben, und ihre Gelder zusätzlich – wie China – an westliche Finanzinstitutionen transferieren.

Schlussendlich war China bisher maßgeblich daran beteiligt, die US-amerikanischen und britischen Finanzinstitutionen mit Billionen von Dollars zu finanzieren, was den politischen Einfluss dieser Finanzinstitutionen in den USA und Großbritannien erheblich steigerte. Es kam auch zu erheblichen Transfers westlicher Technologien nach China. Darauf geht unter anderem „Politico“ in einem Bericht ein. Somit hat China seinen Aufstieg der Verzahnung westlicher Finanzinstitutionen mit der chinesischen Wirtschaft zu verdanken, während China gleichzeitig auch der zweitgrößte Gläubiger der USA ist. China hält US-Staatsanleihen im Wert von 1,07 Billionen US-Dollar.

„Main Street“ gegen „Wall Street“

In den USA fand zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Lagerbildung statt. Das produzierende Gewerbe, zu dem auch die US-Rüstungsindustrie gehört, erkannte, dass die Verzahnung zwischen den US-Finanzinstitutionen und China eine Gefahr darstellt. Denn während China mit Exportüberschüssen brillieren konnte, stieg das Handelsbilanz- und Haushaltsdefizit der USA von Jahr zu Jahr. Es standen sich somit das produzierende Gewerbe und mittelständische Betriebe und die großen US-Finanzinstitutionen gegenüber. Dieser Gegensatz bestand eigentlich schon vorher. Er wird in den USA als ein Antagonismus zwischen „Main Street“ und „Wall Street“ umschrieben. In gewisser Weise hatte das „inländische Kapital“ der USA dem „globalen Kapital“ der USA, das China begünstigte, den Krieg erklärt.

Die Wirtschaftswissenschaftler David Autor, David Dorn und Gordon Hanson veröffentlichten im Jahr 2013 ein Papier mit dem Titel „Das China-Syndrom: Lokale Auswirkungen des Importwettbewerbs auf den Arbeitsmarkt in den USA“. Sie verglichen einzelne Gebiete der USA basierend darauf, wie stark sie von 1990 bis 2007 dem chinesischen Importwettbewerb ausgesetzt waren. Steigende Importe aus China verursachen eine höhere Arbeitslosigkeit, eine geringere Erwerbsbeteiligung und niedrigere Löhne auf den lokalen Arbeitsmärkten, so die Wirtschaftswissenschaftler. Mit anderen Worten, es gibt eine wachsende Zahl von Untersuchungen, die zeigen, dass die Globalisierung - und insbesondere der Aufstieg Chinas - der größte Faktor war, der die amerikanische Mittelschicht ausgehöhlt hatte. Das Argument, wonach die Roboter-Industrie ursächlich sein soll für diese negative Entwicklung, kann objektiv gesehen nur als Maßnahme zum Schutz chinesischer Exportinteressen abgetan werden.

Diese Entwicklung, die von Autor, Dorn und Hanson kritisiert wird, wird von den US-Finanzinstitutionen weitgehend unterstützt, weil sie davon profitieren. Deshalb beharren sie auf der Globalisierung, die den grenzenlosen und freien Kapitalverkehr garantiert. Die aktuelle US-Regierung ist hingegen ein Gegner dieser Ordnung.

In einer DWN-Analyse wurde zuvor geschlussfolgert, dass ein globaler Wettbewerb zwischen „Nationalisten“ und „Globalisten“ tobt, wobei hier das Augenmerk auf der wirtschaftspolitischen Komponente beider Lager liegt.

Trump hatte im Jahr 2018 offen gesagt: „Die Globalisierung hat die Finanzelite (in den USA, Anm.d.Red.), die an Politiker spendet, sehr, sehr reich gemacht (...) aber sie hat Millionen unserer Arbeiter nichts als Armut und Herzschmerz hinterlassen.“

Niemanden sollte es wundern, dass der russische Präsident Wladimir Putin dem US-Präsidenten wohlgesonnen gegenübersteht. Denn auch Putin befindet sich im weltweiten Lager der „Nationalisten“, die die Globalisierung als Gefahr ansieht. Im Jahr 2019 unterstützte er Trumps These. Er sagte: „Hat jemand jemals darüber nachgedacht, wer tatsächlich profitiert hat und welche Vorteile die Globalisierung hat, deren Entwicklung wir in den vergangenen 25 Jahren seit den 1990er Jahren beobachtet haben und an denen wir teilgenommen haben? China hat insbesondere die Globalisierung genutzt, um Millionen Chinesen aus der Armut zu ziehen. In den USA nutzten die führenden US-Unternehmen - die Unternehmen, ihre Manager, Aktionäre und Partner - diese Vorteile. Die Mittelschicht in den USA hat von der Globalisierung nicht profitiert. Sie wurde außen vor gelassen, als dieser Kuchen aufgeteilt wurde.“

Ein zentrales Argument der „Nationalisten“ ist, dass die „Globalisten“ über die internationalen Finanzinstitutionen ihr Kapital praktisch jederzeit abziehen können. Dies gelingt aber nur dann, wenn sich global eine Wirtschaftsordnung fortsetzt, die auf „Hot Money“ basiert – also auf dem uneingeschränkten Kapitalverkehr. Die US-Regierung, die dazu tendiert, die „Main Street“ zu unterstützen, ist sich dieser Tatsache bewusst. Welche Garantie gibt es dafür, dass nicht in Zeiten von wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen die US-amerikanischen Finanzinstitutionen, Fondsverwalter und Vermögensverwalter ihr Kapital nicht nach China, Singapur oder in ein anderes Land transferieren? Welche Folgen würden sich dann daraus für die USA ergeben?

Die Neue Seidenstraße als einziger Ausweg Chinas

Wie erwähnt, kann China nur dann die westlichen Finanzinstitutionen mit Kapital bedienen, wenn auch weiterhin mit Exportüberschüssen und einer boomenden Wirtschaft zu rechnen ist. Um dies zu garantieren gibt es nur den Ausweg der Umsetzung des Projekts zur Neuen Seidenstraße, die China mit Europa, dem Nahen Osten – aber auch mit Nordafrika – verbindet. Über den Nahen Osten und Nordafrika könnte China seinen Energiebedarf decken, während Europa als wichtiger Absatzmarkt erhalten bleiben würde. Darauf ist China angewiesen, da es eine starke Unverhältnismäßigkeit zwischen dem chinesischen Produktionsvolumen und dem chinesischen Binnenmarkt gibt. Ansonsten verkommt das Land zu einem „Papier-Tiger“.

Die Voraussetzung für das Gelingen der Neuen Seidenstraße liegt jedoch darin, dass eine gewisse Stabilität in jenen Ländern, durch die sie verlaufen soll, garantiert wird. Dies bedeutet, dass der Nahe Osten, Nordafrika, das östliche Mittelmeer und Europa stabil sein müssen, aber auch die EU ihren Fortbestand sichern muss. Jegliche Konflikte in den Staaten oder zwischen den Staaten, die auf der Neuen Seidenstraße liegen, würden dazu führen, dass dieses Jahrhundertprojekt scheitert.

Aus diesem Blickwinkel, den diese Analyse bietet, sollten alle aktuellen und künftigen regionalen, finanzpolitischen und machtpolitischen Entwicklungen in der Welt betrachtet und eingeordnet werden. Es handelt sich hierbei um das eigentliche „Big Game“, dem alle anderen Entwicklungen und Konflikte in der Welt untergeordnet sind - aber nicht erst seit heute.

+++Dieser Artikel wurde erstmals am 18. Oktober 2020 veröffentlicht+++

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Cüneyt Yilmaz

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.

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