Finanzen

Aufstieg und Fall: Corona schafft an der Börse eine Zwei-Klassen-Gesellschaft

Lesezeit: 3 min
25.10.2020 11:55  Aktualisiert: 25.10.2020 11:55
Freitag letzter Woche veröffentlichten wir einen Artikel von Andreas Kubin. Angesichts der Ereignisse, die in den vergangenen drei Tagen die Börsen durcheinandergewürfelt haben, muss man unserem Autor geradezu prophetische Fähigkeiten zuschreiben. Deshalb veröffentlichen wir den Artikel heute nochmal.
Aufstieg und Fall: Corona schafft an der Börse eine Zwei-Klassen-Gesellschaft
In turbulenten Zeiten sollten sich Anleger auf das Wesentliche fokussieren. (Foto: dpa)
Foto: Boris Roessler

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Die Auswirkungen der Coronakrise auf die Unternehmen sind sehr differenziert zu betrachten:

Zyklische Branchen sind vom Wirtschaftseinbruch besonders stark betroffen: Hierzu zählen beispielsweise die Chemieindustrie, Autobauer und ihre Zulieferer, die Stahlindustrie und der Großhandel. Zykliker waren teilweise schon vor Corona in Schwierigkeiten. So begannen (Groß-) Insolvenzen in der deutschen Metallindustrie bereits 2019. Ganz oben auf der Liste der Leidenden steht die Ölbranche. Wegen der weltweiten Wirtschaftskrise und dem gleichzeitigen Hype um den Elektroantrieb sind die Erträge kolossal eingebrochen.

Einige weitere (teils ohnehin schon konjunktursensitiven) Sektoren wurden darüber hinaus durch die Corona-Maßnahmen in ihrem Geschäftsmodell stark gefährdet. Dazu zählen Gastronomie, Hotellerie, Einzelhandel und Luftfahrt. Auf der anderen Seite gibt es auch Profiteure wie die Tech-Industrie und die Unterhaltungs-Branche.

Corona hat klare Gewinner und Verlierer geschaffen, und das durchaus auch auf der langen Linie. Bei der Unternehmens-Selektion muss der Anleger gerade jetzt besonders vorausschauend agieren. Wer die Gewinner und Verlierer sind, lässt sich anhand einiger wichtiger Kennzahlen herausfinden.

Cashflow und Liquidität sind wichtiger denn je

Bei einer fundamentalen Aktien-Analyse ist die Kapitalflussrechnung („cash flow statement“) von enormer Bedeutung. Der Cashflow berechnet, wie viel Geldfluss ein Unternehmen im operativen Geschäft netto abgeworfen hat. Im Unterschied zum Gewinn ist der Cashflow nicht so einfach durch Spielereien in der Rechnungslegung zu managen. In Fachkreisen wird dem Cashflow daher eine höhere Bedeutung beigemessen.

Bei einem positiven Cashflow fließen dem Unternehmen liquide Barmittel zu. Damit können Schulden getilgt, Investitionen finanziert und Dividenden ausgeschüttet werden. Firmen mit positivem Cashflow nennt man deshalb auch „Wertschöpfer, solche mit negativen Cashflows „Wertvernichter“.

Der free cashflow zeigt den Zahlungsmittelüberschuss, der nach Finanzierung des laufenden Geschäfts (Cashflow) und notwendiger Investitionen für die Zukunft des Unternehmens zur Verfügung steht und damit an die Anteilseigner ausgeschüttet werden könnte.

Das Klassiker-Modell in der Unternehmens-Bewertung ist das „Discounted-Cashflow-Modell“: Hierbei prognostiziert man zukünftige (Free) Cashflows und zinst diese mit dem Diskontierungsfaktor – einem risikoäquivalenten Zinssatz – ab. Als Abzinsungsfaktor werden meist die durchschnittlichen Kapitalkosten des betrachteten Unternehmens geschätzt. Der Diskontierungsfaktor reflektiert die Opportunitätskosten der Kapitalanlage.

Der Cashflow berechnet also, welche Summe an liquiden Barmitteln dem Unternehmen laufend zufließen. Ebenso wichtig sind die bereits vorhandenen Barmittel und sonstige (kurzfristige) Liquiditätsreserven. Hierzu schaut man in der Bilanz auf den Aktivposten „Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente“. Zahlungsmitteläquivalente sind definiert als Finanzinstrumente, welche schnell und leicht in Zahlungsmittel umgewandelt werden können. Die kurzfristigen Liquiditätsreserven werden gerne ins Verhältnis zu anderen Kennzahlen gesetzt, beispielsweise den kurzfristigen Verbindlichkeiten.

Werte aus den Sektoren Konsumgüter und Pharmazeutika haben in Corona-Zeiten besonders gut abgeschnitten und sind daher einen genaueren Blick wert. Hundertprozentig intuitiv ist das nicht. Die Attraktivität dieser Sektoren für Anleger ist weniger in drastisch gestiegenen Erträgen als vielmehr in der Solidität und Robustheit des Geschäftsmodells begründet.

Konsum- und Haushaltsgüter:

Als einer der Top-Performer sticht derzeit der US-Konsumgüter-Riese „Procter & Gamble“ hervor. Die Aktie erklomm Mitte Oktober mit rund 124 Euro (Börse Frankfurt) einen neuen Rekordpreis. Die „Reckitt Benckiser Group“ musste in den letzten Wochen eine kleine Delle verkraften, notiert aber trotzdem mit etwa 78 Euro unweit ihres 2017 erreichten Rekordhochs von 93 Euro.

In der gleichen Branche könnten deutsche Firmen wie „Beiersdorf“ und „Henkel“ noch mehr Potenzial nach oben haben. Die Stamm-Aktie von Henkel steht momentan bei 81 Euro, nachdem es im November 2019 zeitweise fast 90 Euro waren. Die Vorzugs-Aktie notiert nach dem im April erreichten Rekordhoch von 126,5 Euro je Aktie derzeit „nur“ bei rund 90 Euro. Unter fundamentalen Gesichtspunkten sollte der deutsche Konsum-Riese besser dastehen, denn die kurzfristigen Liquiditätsreserven (Definition siehe oben) stiegen per 31.12.2019 im Jahresvergleich um 399 Millionen Euro auf 1,462 Milliarden. Gleichzeitig machte der free cashflow einen Sprung von 1,917 Milliarden auf 2,471 Milliarden Euro.

Pharmabranche:

Ein hier in Europa viel zu wenig beachtetes Pharmaunternehmen aus Japan ist „Daiichi Sankyo“. Am 17. September erklomm die Aktie an der Frankfurter Börse ein Rekordhoch bei rund 82 Euro je Aktie. Am 1. Okt. 2020 wurde dann ein bereits im April 2020 geplantes eins zu drei Splitting durchgeführt. Mit dem Split ist der Wert um circa 20 Prozent eingebrochen und notiert aktuell nur noch bei rund 21 Euro.

Da das Betriebsergebnis im ersten Quartal einen Rückgang von 40,1 Prozent und der Jahresüberschuss ein Minus von 26,5 Prozent aufweist, dürfte sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) in Zukunft verschlechtern. Der Finanzdienstleister „MarketScreener“ prognostiziert per 2021 ein KGV von 80,4. Ich denke, dass man da sehr nahe an der Realität ist. In die Bewertung ist also sehr viel positive Phantasie beziehungsweise ein sehr ambitionierter Ausblick eingepreist.

Durch den jüngsten Kurs-Einbruch könnten sich aber nun Kaufgelegenheiten ergeben. Denn das Unternehmen hatte in jüngster Zeit eigentlich viele positive Meldungen zu verzeichnen: Im Geschäftsjahr 2019 gab es eine bemerkenswert positive Entwicklung bei den Barmitteln. Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente verdoppelten sich fast von 243 Milliarden Yen auf 424 Milliarden. Und die milliardenschwere Kooperation mit dem britischen Pharma-Riesen „AstraZeneca“ im Bereich Krebs-Medikamente könnte für enorme Kurs-Phantasien sorgen. Für die Entwicklung und die Vermarktung eines Medikaments gegen Lungen-, Brust- und andere Krebsarten will AstraZeneca den Japanern bis zu sechs Milliarden Dollar (5,1 Milliarden Euro) bezahlen.

Investoren sollten die Anteilsscheine bei einem weiteren leichten Kursrückgang schön langsam in Kaufüberlegungen mit einbeziehen. Vorher sollte man sich aber selbst eine fundierte Meinung bilden. Daiichi publizierte per 31.7.2020 Geschäftszahlen für das erste Quartal 2020.

Andreas Kubin lebt in Oberösterreich, hat ein MBA mit Schwerpunkt "Finanzen" und verfügt über drei Jahrzehnte Börsen-Erfahrung. 
Haftungsausschluss: Anlagetipps stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers dar. Die Auswahl erfolgte nach objektiven Gesichtspunkten überwiegend nach Fundamentalanalysen et cetera. Es gibt kein Unternehmen, das nicht binnen fünf Jahren von der Börse verschwinden kann.

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