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Die ewige Suche nach der neuen Erde: Statt nach den Sternen zu greifen, sollten wir das Potenzial unseres Sonnensystems abrufen

Vor einigen Monaten entdeckten Forscher in einer weit entfernten Galaxie eine neue „Super-Erde“. Sie soll der bisher geeignetste Kandidat in der seit Jahrzehnten andauernden Suche nach einer zweiten Erde im Universum sein. Ein Artikel über große Träume, die schnell von der Realität eingeholt werden, und Vorschläge, wie man es besser machen könnte.
14.11.2020 11:23
Lesezeit: 7 min
Die ewige Suche nach der neuen Erde: Statt nach den Sternen zu greifen, sollten wir das Potenzial unseres Sonnensystems abrufen
Sollte sich die Menschheit besser in der Nähe unserer Erde nach kolonisierungsfähigen Himmelskörpern umsehen, statt nach den Sternen zu greifen? (Foto: dpa) Foto: -

In den letzten Jahrzehnten macht sich zunehmend Untergangsprophetie breit: Klimawandel, Umweltverschmutzung, Überbevölkerung, Überkonsum und der Verbrauch endlicher Ressourcen werden demnach dafür sorgen, dass in ein paar hundert Jahren keine zig Milliarden Menschen mehr auf der Erde leben können. Ob sich diese bewahrheiten, sei dahingestellt. Solche Untergangs-Szenarien wurden bereits mehrmals von der Realität eingeholt – zum Beispiel im Fall der angeblich um die Jahrtausendwende aufgebrauchten Ölreserven.

Aber auch wenn vielleicht keine unmittelbare Dringlichkeit besteht, eine neue Heimat für die Menschheit zu finden: Der menschliche Wissensdrang ist Motivation genug, den Weltraum erobern zu wollen. Spätestens, wenn die Sonne in grob fünf Milliarden Jahren das Ende ihres Lebenszyklus erreicht, müssten wir uns ohnehin eine neue Heimat suchen.

Das ist noch eine Menge Zeit. Dennoch suchen Wissenschaftler schon heute in den Tiefen des Weltraums nach der „zweiten Erde“. Im Juni 2020 erfolgte durch ein Team von Astronomen unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen die Entdeckung des – nach Einschätzung der leitenden Forscher – bisher besten Kandidaten unter den erdähnlichen Planeten. Die Daten zum vielversprechenden Exoplaneten namens „KOI-456.04“ wurden in der Fachpublikation „Astronomy and Astrophysics“ veröffentlicht.

Exoplaneten sind Planeten außerhalb unseres Sonnensystems, die sich in der Umlaufbahn eines anderen Sterns oder braunen Zwergs befinden. Nahezu alle Exoplaneten in Größenordnung der Erde, die moderate Durchschnitts-Temperaturen aufweisen, finden sich in der Einflusssphäre sogenannter roter Zwerge, welche mit einem Anteil von rund drei Vierteln die mit Abstand häufigsten Sternenart im Universum darstellen. Die bekannteste Entdeckung wurde im Umkreis des unserer Sonne am nähesten liegenden Nachbarsterns („Proxima Centauri“) gemacht. Um diesen roten Zwerg kreist mit „Proxima b“ ein möglicherweise bewohnbarer Planet.

Normalerweise sind Sonnensysteme mit roten Zwergen allerdings nicht das erfolgversprechendste Ziel bei der Suche nach erdähnlichen Planeten. Denn rote Zwerge sind deutlich kleiner als unsere Sonne und strahlen einen großen Anteil ihrer Energie im Infrarotbereich ab. Wenn ein um einen solchen roten Zwerg kreisender erdgroßer Exoplanet also doch mal relativ stabile und moderate Temperaturen aufweist, dann sind die Lichtverhältnisse für die Entwicklung von Leben meist viel zu dunkel. Ein weiterer Nachteil: Erträgliche Temperaturen herrschen nur auf Planeten, die in sehr geringen Abständen um diese Sterne kreisen. Die resultierende enorme Anziehungskraft verformt aber die Planeten, was eine extreme vulkanischen Aktivität zur Folge haben kann.

Die zahlreichen Vorzüge von KOI-456.04

In diesem Kontext ist der Planet „KOI-456.04“ eine Seltenheit, denn er kreist um den sonnenähnlichen Stern Kepler 160. Kepler-160 ähnelt unserer Sonne in Bezug auf Radius und Oberflächentemperatur (5.200 Grad Celsius versus 5.500 Grad auf unserer Sonne) und die um ihn kreisenden Planeten sind keinen Sonnen-Eruptionen ausgesetzt.

Forscher haben bisher circa 4.500 Exoplaneten entdeckt. Die meisten sind riesige Gasplaneten wie Jupiter – unter den Gesteinsplaneten gibt es aber auch erdähnliche Planeten. So bezeichnet man Planeten, die aus Gestein bestehen und in etwa die Größe unserer Heimat haben. Der Gesteinsplanet KOI-456.04 ist nicht nur erdähnlich, sondern erfüllt viele Eigenschaften, die ihn für Menschen bewohnbar machen könnten. Dazu zählen:

  • Der Exoplanet zieht seine Bahnen um Kepler-160 in etwa derselben Durchschnitts-Entfernung wie die Erde zur Sonne, für eine vollständige Umrundung braucht er mit 378 Tagen etwas länger.
  • KOI-456.04 dreht sich um seinen Stern in der sogenannten „habitablen Zone“ (der Bereich, in dem Wasservorkommen in flüssigem Zustand möglich sind).
  • Wenn der Exoplanet eine erdähnliche stabile Atmosphäre besitzt, was noch erforscht werden muss, dürfte die Durchschnittstemperatur auf seiner Oberfläche etwa 5 Grad Celsius betragen. Auf der Erde sind es 15 Grad.
  • Die Licht-Zusammensetzung (Wellenlängen) beziehungsweise Strahlungsintensität ähnelt der Erde. Für den Menschen sichtbares Licht wäre auf dem Planeten ausreichend vorhanden.

Ob einige andere wichtige Voraussetzungen für dauerhaftes Leben – wie zum Beispiel ein vor Sonnenwind und kosmischer Strahlung schützendes stabiles Magnetfeld – gegeben sind, wissen die Forscher allerdings noch nicht.

„KOI-456.04 ist mit 1,9 Erdradien vergleichsweise groß gegenüber manch anderen Planeten, die als lebensfreundlich gelten. Aber in Kombination mit seinem sonnenähnlichen Heimatstern Kepler-160 erscheint das System dem Gespann aus Sonne und Erde so ähnlich wie kein anderes Paar aus Stern und Planet, das wir kennen", so der an der Entdeckung beteiligte Astrophysiker Rene Heller vom Max-Planck-Institut.

Damit befindet sich KOI-456.04 auf einer Liste mit 24 „superhabitablen“ Exoplaneten, die laut einer aktuellen Studie angeblich noch bessere Lebensbedingungen bieten können als die Erde! Ein günstiger Faktor ist es demnach, wenn der Planet fünf bis acht Milliarden Jahre alt ist (Zum Vergleich: Die Entstehung der Erde liegt circa 4,6 Milliarden Jahre zurück). Außerdem sollte der Exoplanet unter anderem etwa 50 Prozent massiver sein, über einen 10 Prozent größeren Radius verfügen, einen relativ großen Mond in mittlerer Entfernung haben und mit rund 20 Grad Celsius eine um 5 Grad höhere Oberflächen-Temperatur im Vergleich zur Erde aufweisen. Hilfreich wäre es auch, wenn die Atmosphäre etwas mehr Sauerstoff (25 bis 30 Prozent) enthält als die Erd-Atmosphäre (21 Prozent). Mit seinem Profil ist KOI-456.04 zwar nicht der lebensfreundlichste, aber unter Einbeziehung seines Sonnensystems der erdähnlichste unter den 24 Planeten.

Die großen Probleme: Schwerkraft und Entfernung zur Erde

Es gibt nur einen Haken: Aufgrund des doppelt so hohen Radius ist das Volumen der potenziellen neuen Erde im Vergleich zum Original ungefähr achtmal so hoch. Selbiges gilt dann grob geschätzt auch für Masse und Gravitation (Schwerkraft) des Exoplaneten, der aus diesem Grund als sogenannte „Super-Erde“ kategorisiert werden muss. Bei einer achtmal so hohen Gravitation wie auf der Erde wird die Fortbewegung ungemein schwieriger und energieintensiver, ganz zu schweigen von der riesigen nötigen Energiemenge für eine Abreise mit Raumschiffen.

Und noch viel gravierender: KOI-456.04 ist schlanke 3140 Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit heutigen Raumschiffen würde eine Reise ungefähr 50 Millionen Jahre in Anspruch nehmen.

Sollten wir uns zwecks realistischer Besiedlungsmöglichkeiten nicht besser im näheren Umfeld unseres Sonnensystems umschauen? Insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass viele günstige Gegebenheiten gleichzeitig auftreten müssen, damit auf einem Planeten überhaupt Leben entstehen kann.

Die seltene Erde

Die Suche nach der zweiten Erde ist eng verknüpft mit der Suche nach außerirdischen Zivilisationen. Und in diesem Bereich ist es seit jeher umstritten, warum man solche Zivilisationen bisher noch nicht entdeckt hat. Eine populäre Antwort ist die „Rare-Earth-Hypothese“, demzufolge das komplexe vielzellige Leben der Erde auf eine unwahrscheinliche Kombination astrophysikalischer, geologischer und anderer Voraussetzungen zurückzuführen ist.

In Kombination mit der Annahme, dass, selbst wenn es im Universum mehrere Planeten mit Leben gibt, diese unter Wahrscheinlichkeits-Gesichtspunkten vermutlich viele tausend Lichtjahre voneinander entfernt wären (was eine Kommunikation zwischen diesen Planeten stark erschweren würde), kann man sich somit rational erklären, dass die Menschheit bislang noch keine Kontaktaufnahme einer ausländischen Zivilisation registriert hat.

Werden wir die zweite Erde vielleicht doch nicht in absehbarer Zukunft finden? Falls ja, dann sollten wir uns vielleicht stattdessen auf die Sondierung von kolonisierungsfähigen Planeten in beziehungsweise in unmittelbarer Nähe unseres Sonnensystems konzentrieren, die der Erde zwar nicht unbedingt ähneln, aber unter Aufbau einer relativ autarken Versorgung mit wichtigen Ressourcen eine neue Heimat darstellen könnten.

Ein perspektivisch realistisches Explorations-Ziel ist der Mars. Der Mars ist der Erde nicht unähnlich und auf dem roten Planeten gibt es sehr viele Indizien und mittlerweile sogar handfeste Anzeichen dafür, dass es in der Vergangenheit flüssiges Wasser auf der Oberfläche gab.

Wer in unserem Sonnensystem außerhalb der Erde nach Wasservorkommen sucht, muss aber keine mühsamen Grabungs-Expeditionen auf dem Mars durchführen: Die Oberfläche des Jupiter-Mondes „Europa“ besteht nahezu vollständig aus Eis, also gefrorenem Wasser.

Gelegentlich bricht die Eisdecke und eine Wasserfontäne schießt nach unten – den dabei entstehenden Wasserdampf hatten Wissenschaftler der US-Raumfahrtbehörde NASA bereits vor einem Jahr nachgewiesen. Die Ozeane unter der dicken Eis-Schicht könnten laut NASA-Analysen Leben beheimaten. 2024 soll im Rahmen der "Clipper-Mission" eine Sonde gen Jupiter geschickt werden, um genau das herauszufinden.

Die Möglichkeit einer Kolonie auf "Europa"

Auf dem eisigen Himmelskörper mangelt es jedenfalls nicht am Elixier des Lebens und mit der richtigen Technologie dann auch nicht an seinen beiden Molekül-Bestandteilen Wasser- und Sauerstoff. Wasser-Spaltungsanlagen inklusive Aufbereitung des Sauerstoffs (lebensnotwendig für die Atmung) und Wasserstoffs (als Treibstoff) könnten die Basis von Kolonien auf „Europa“ sein. Metalle und andere Rohstoffe lassen sich vermutlich auf anderen Jupitermonden oder nahen Asteroiden beschaffen. Pflanzen müsste man gezwungenermaßen künstlich anbauen und eine vollständige Unabhängigkeit von Erd-Importen wäre auch sehr langfristig unrealistisch.

Wenn ein vergleichsweise schnelles Ende der Menschheits-Existenz auf der Erde wirklich eine reale Gefahr ist, dann sollten wir mit Nachdruck in den technischen Fortschritt der Raumfahrt investieren und das Potenzial unseres Sonnensystems voll ausnutzen. Die Suche nach einer zweiten Erde ist dagegen ein end- und letztlich sinnloses Unterfangen.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.

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