Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat am 30. Oktober 2020 die Herbstprojektion der Bundesregierung vorgestellt. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) hat dies zum Anlass genommen, eine steuerpolitische Herbstoffensive einzufordern. Dazu sagt Mario Ohoven, Präsident des BVMW: „Ich fordere Bund und Länder auf, noch bis Weihnachten ein umfassendes Steuer(reform)paket zu schnüren“.
Nachfolgend präsentieren Ihnen die Deutschen Wirtschaftsnachrichten die einzelnen Forderungen:
Steuerrechtliche Wettbewerbsnachteile zu Ungunsten mittelständischer Unternehmen müssen beseitigt werden. Der BVMW fordert, dass auch internationale Konzerne ihren gerechten Anteil zum Steueraufkommen in Deutschland beitragen. Es darf weder zu einer Nicht-Besteuerung von Unternehmensgewinnen noch zu einer Doppelbesteuerung kommen.
Eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung auf europäischer Ebene ist wünschenswert. Allerdings müssen von einem Harmonisierungsfortschritt nicht nur die Kapitalgesellschaften durch eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, sondern auch die Breite der Personenunternehmen durch eine Angleichung der Gewinnermittlungsvorschriften profitieren. Hierfür sollte die Gewerbesteuer abgeschafft und die Gemeinden stärker an den Gemeinschaftssteuern beteiligt werden. Außerdem fordern wir eine Reduzierung des Körperschaftssteuersatzes um mindestens einen Prozentpunkt, die Reduzierung der hohen Bürokratiekosten durch zeitnahe Betriebsprüfungen, kürzere Abschreibungsfristen von höchstens drei Jahren bei digitalen Anlagegütern, eine beständige Steuergesetzgebung sowie angemessene Aufbewahrungsfristen, Pauschalen, Freigrenzen und Freibeträge.
Durch einen sogenannten „Tarif auf Rädern“ kann die kalte Progression effektiv abgebaut werden. Der Steuertarif ist dabei an die tatsächliche Einkommens- und Preisentwicklung zu koppeln. Dies gilt nicht nur für die Einkommensgrenzen, ab denen der jeweilige Steuersatz greift, sondern auch für alle Tarifelemente wie Freigrenzen, Freibeträge oder Höchstgrenzen wie etwa die Grenze zur Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter.
Durchschnittsverdiener sollten mit einem durchschnittlichen Steuersatz belastet werden. Der BVMW fordert deshalb, dass die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz deutlich erhöht wird. Darüber hinaus muss der gesamte Tarifverlauf abgeflacht werden, mit dem Ziel eines linear progressiven Steuertarifs. Der sogenannte „Mittelstandsbauch“ ist sukzessive zurückzuführen und im Ziel in Gänze abzuschaffen.
Bei allen bisher noch nicht angepassten Beträgen fordert der Verband eine einmalige Nachholung der längst überfälligen Anpassungen. Zukünftig einen beständigen Inflationsausgleich durch jährliche Anpassung aller Freigrenzen, Freibeträge, Pausch- und Höchstbeträge wie folgt: § 3 ff EStG, § 8 ff EStG, § 9 ff EStG, § 10 ff EStG, § 19 ff, EStG, § 24 ff EStG, § 37 ff EStG, § 40 ff EStG, §41 ff EStG, § 100 ff EstG.
Die Erbschaftsteuer sollte vollständig abgeschafft werden. Betriebsvermögen, das der Sicherung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, darf in Folge der Übergabe im Erb- oder Schenkungsfall grundsätzlich nicht besteuert werden. Hilfsweise müssen Freigrenzen für kleine Unternehmern und Handwerksbetriebe geschaffen, die derzeit hohen Steuersätze auf ein vernünftiges Maß gesenkt und die gesetzlich vorgesehenen Bewertungsverfahren für unternehmerisches Vermögen in einer Weise angepasst werden, die realitätsgerechte Bewertungen gewährleisten.
Der BVMW fordert eine maßvolle Besteuerung mittelständischer Unternehmen. Die Gewerbesteuer sollte vollständig auf die Einkommensteuer anrechenbar sein. Behelfsweise fordert der BVMW, dass die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer auf mindestens das 4,3-fache des Gewerbesteuermessbetrags erhöht wird.
Der BVMW schlägt eine Kategorisierung von Branchen vor, die dem regulären oder dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen sollen. Ist das Unternehmen in mehreren Branchen oder Geschäftstätigkeiten tätig, für die Anwendung des Steuersatzes ist die Hauptbranche des Unternehmens entscheidend. Kategorien für den ermäßigten Steuersatz könnten hierbei insb. Nahrungsmittelversorgung (inkl. Zubereitung), Kultur und Gemeinwohl/Wohlfahrtspflege sein. Diese Reform wäre annährend aufkommensneutral und würde eine erhebliche bürokratische Entlastung für Bürger, Unternehmen und Staat bewirken. Langfristig fordert der Verband eine Vereinheitlichung der Steuersätze von 19 auf 15 Prozent.
Sachspenden an gemeinnützige Organisationen durch Unternehmen sollten gesetzlich als nicht steuerbare Leistung definiert werden. Diese Maßnahme würde die bisherige „Doppelbelastung“ der durch Sachspenden sozial engagierten Unternehmen beseitigen und die Spendenbereitschaft stärken sowie der Schizophrenie einer günstigeren Vernichtung entgegenwirken.
Sowohl die Grenze des Umsatzes für die Ist-Versteuerung als auch die Kleinunternehmergrenze waren nicht mehr zeitgemäß. Der BVMW befürwortet die Anhebungen der Grenzen, um Liquidität zu sichern. Allerdings könnten mit einer Erhöhung auf 30.000 Euro bei der Kleinunternehmergrenze deutlich mehr Unternehmen von Bürokratie entlastet werden. Es könnten zudem deutlich mehr Unternehmen gegründet werden, wenn bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Es wäre wünschenswert, die starren Grenzen künftig im jährlichen Zyklus an die Inflationsrate anzupassen.
Neben der klassischen Finanzierung in Form von Krediten muss die Finanzierung von jungen Unternehmen und innovativen Mittelständlern durch Alternativen wie das Wagniskapitalgesetz erleichtert werden. Gewinne aus Veräußerungen von Anteilen an innovativen Mittelständlern müssen für Eigenkapitalgeber (beispielsweise Business Angels) steuerfrei bleiben, wenn sie in vergleichbare Unternehmen reinvestiert werden. Der BVMW fordert zusätzlich eine bessere Koordination der Mittelstandsförderung unter den Bundesländern sowie ein einheitliches bundesweites Fördernetzwerk.
Die Abgeltungssteuer hat sich in der Praxis bewährt und profiliert. Der BVMW fordert deren Beibehaltung.
Der BVMW fordert eine Abschaffung der gesonderten Versicherungssteuer und die Streichung der entsprechenden Steuerbefreiung in § 4 Nr. 10 UStG. Auf diese Weise würden KMU aufgrund des künftigen Vorsteuerabzugs um die bisherige Verkehrsteuer entlastet und die Besteuerung bei den Privathaushalten unverändert sichergestellt. Da die Versicherungsunternehmen bislang der Steuerentrichtungsschuldner waren, sind die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Steuererhebung bereits geschaffen. Sie bedürfen insoweit nur einer Anpassung auf das Umsatzsteuererhebungsverfahren. Vor dem Hintergrund der andauernden Niedrigzinsphase ist der gesetzlich festgelegte Zinssatz für Steuernachforderungen und die Abzinsung von Pensionsrückstellungen an das aktuelle Zinsniveau anzugleichen. Der BVMW fordert die Verwendung des durchschnittlichen Marktzinssatzes der letzten zehn Jahre.
Die Verlustberücksichtigung sollte unternehmensfreundlich reformiert werden. Verluste müssen vererbbar sein und die betragsmäßige Beschränkung des Verlustrücktrags sowie die Mindestbesteuerung gehören abgeschafft. Ferner sollte der Verlustrücktrag auf mindestens zwei Jahre ausgeweitet und der Verlustuntergang beim Gesellschafterwechsel auf missbräuchliche Gestaltungen beschränkt werden.
Der BVMW fordert, das Anfechtungsrecht zu Gunsten der Planungs- und Rechtssicherheit zu entschärfen. Transaktionen des gewöhnlichen operativen Geschäftsverkehrs sollten gänzlich ausgenommen oder durch Freigrenzen abgesichert werden.
Altmaier hatte am 30. Oktober 2020 vor neuen Belastungen für Firmen gewarnt und sich gegen Steuererhöhungen ausgesprochen. Er wandte sich am Freitag erneut gegen ein von der SPD gefordertes Recht auf Homeoffice. Ein Rechtsanspruch passe nicht in die Landschaft, es sei eher ein „Belastungsmoratorium“ für die Wirtschaft notwendig.
Angesichts der Rekordverschuldung des Staates wegen Corona will der SPD-Finanzexperte Lothar Binding Gutverdiener nach der Krise stärker zur Kasse bitten. „Die Menschen, die gut durch die Krise gekommen sind, sollten dem Staat nach der Krise helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein“, sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion der „Bild“-Zeitung.