So gut war die Stimmung in den Chefetagen chinesischer Unternehmen seit fast zehn Jahren nicht mehr. Seit China das Coronavirus weitestgehend im Griff hat, geht es mit der zweitgrößten Volkswirtschaft wieder bergauf. Der Außenhandel erholt sich, die Industrieproduktion legt zu, und als einzige große Wirtschaftsnation wird China in diesem Jahr wieder Wachstum verzeichnen - im dritten Quartal waren es schon 4,9 Prozent. Mit der Erholung des größten deutschen Handelspartners und seinem neuen Fünf-Jahres-Plan eröffnen sich auch wieder Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft.
Die neue Zuversicht lässt das wichtige Konjunkturbarometer des Wirtschaftsmagazins „Caixin“ nach oben ausschlagen. Sein Einkaufsmanagerindex (PMI) für das herstellende Gewerbe kletterte im Oktober von 53,0 auf 53,6 Punkte - den höchsten Stand seit Januar 2011. Über 50 Punkte wächst die Industrie, darunter schrumpft sie. So weit über der kritischen Marke von 50 hat der Index aber seit dem Wiederaufschwung nach der Weltfinanzkrise 2008 nicht mehr gelegen.
China zeigt, dass der Kampf gegen das Virus auch ein Kampf gegen die Rezession ist. Ist die Pandemie besiegt, kann auch die Wirtschaft wieder wachsen - nicht umgekehrt. In dem bevölkerungsreichsten Land waren im Dezember in der Metropole Wuhan die ersten Infektionen entdeckt worden. Nach einem anfänglich langsamen und unzureichenden Umgang mit dem neuen Sars-CoV-2-Virus hat China seit Ende Januar aber hart durchgegriffen. So konnte das Virus mit strengen Quarantäne-Maßnahmen, Massentests, Kontaktverfolgung und scharfen Einreisebeschränkungen unter Kontrolle gebracht werden.
Seit dem Sommer hat China nur noch vereinzelt kleinere lokale Ausbrüche wie jüngst in Kashgar in Nordwestchina erlebt, auf die aber sofort wieder mit strengen Maßnahmen reagiert wird. Ansonsten gibt es nur wenige importierte Fälle. So haben sich der Alltag und die Wirtschaftstätigkeit normalisieren können. Die Industrie erhole sich, weil sowohl Angebot als auch Nachfrage sich verbesserten, berichtet „Caixin“-Ökonom Wang Zhe. „Unternehmen sind sehr geneigt, ihre Lager auszubauen. Die Preise sind stabil. Der Geschäftsbetrieb verbessert sich, und Unternehmer sind zuversichtlich.“
Die neue Welle der Infektionen mit dem Virus in Deutschland und anderen Ländern lässt allerdings die Nachfrage aus dem Ausland nach Produkten „Made in China“ wieder etwas langsamer wachsen. Immerhin legten die neuen Exportaufträge im Oktober den dritten Monat in Folge aber weiter zu. „Die Drehungen und Wendungen bei den Infektionen im Ausland bleiben Gegenwind für die Ausfuhren“, sagte Wang Zhe.
Dass die große Exportnation hier verletzlich ist, weiß auch die chinesische Führung. Ähnlich hat der Handels- und Technologiekrieg der USA mit China die Abhängigkeit vom Ausland schmerzlich bewusst gemacht. So hat die Führungselite der Kommunistischen Partei mit dem neuen Fünf-Jahres-Plan, der im März im Volkskongress verabschiedet wird, einen neuen Wirtschaftskurs eingeschlagen, der mit dem Schlagwort der «zwei Kreisläufe» beschrieben wird.
Die Strategie von Staats- und Parteichef Xi Jinping soll die „innere Zirkulation“ fördern, also heimische Nachfrage und eigene Innovation. China will sich unabhängiger von den USA und dem Rest der Welt machen. Der „äußere Kreislauf“ - Handel und ausländischen Investitionen - sollen diesen Hauptmotor unterstützen.
Eher verstohlen knüpft der neue Plan an die Politik der „einheimischen Innovation“ von 2006 und vor allem den Masterplan „Made in China 2025“ von 2015 an. Dieses Vorhaben wird nach Irritationen über die großspurig angestrebte und im Ausland als bedrohlich empfundene Technologieführerschaft Chinas - gepaart mit Vorwürfen des Urheberrechtsdiebstahls durch US-Präsident Donald Trump - heute gar nicht mehr erwähnt.
Die Richtung bleibt aber unverändert. Und bei allem Streben nach Unabhängigkeit sind Investitionen und Forschungskooperation mit dem Ausland in strategisch wichtigen Bereichen wichtiger als je zuvor. Damit bieten sich Chancen. Wenn sich deutsche Unternehmen daran beteiligten wollten, „wird von Seiten Chinas der rote Teppich ausgerollt“, sagt Max Zenglein vom China-Institut Merics in Berlin.
«Allgemein werden ausländische Unternehmen, die fortschrittliche Technologie, Industrieprozesse, Finanzen oder andere Dienste besitzen, die China braucht, und von dem China Wissen zur Stärkung einer eigenen Unternehmen aufsammeln kann, weiterhin Gelegenheiten in China finden», glaubt James McGregor, Greater-China-Chef des Beratungsunternehmens APCO und früher Leiter der US-Handelskammer in China. «Auch Händler oder Firmen, die qualitative Produkte zu niedrigen Preisen anbieten und helfen, den Konsum zu fördern, werden Spielraum finden», analysiert McGregor für die Hinrich Foundation.
Ausländische Unternehmen müssen bei allem Engagement in China aber aufpassen, langfristig auch die Zukunft ihres globalen Geschäfts zu schützen - vor künftiger chinesischer Konkurrenz. Im Umgang mit dem Ausland verfolge Chinas Führung alte Strategien, hebt McGregor hervor. Es sei hilfreich, sich an einen Spruch aus der Qing-Dynastie zu erinnern, den auch der Revolutionär Mao Tsetung gerne zitiert habe: „Lasst die Vergangenheit der Zukunft dienen, lasst ausländische Dinge China dienen“ (Gu wei jin yong, wai wei zhong yong).