Politik

Freundlicher im Ton - aber auch unter Joe Biden streben die USA nach Hegemonie

Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sind bestrebt, unterschiedliche Ansichten und Überzeugungen zu präsentieren. Heute: Einen Artikel von Josef Joffe. Der Publizist und Universitäts-Dozent argumentiert, dass die (Außen)Politik der USA unter einem Präsidenten Joe Biden kooperativer sein wird als unter Donald Trump. Aber: Auch und gerade unter Biden werde Amerika eine Vormachtstellung anstreben.
Autor
avtor
22.11.2020 09:59
Lesezeit: 4 min
Freundlicher im Ton - aber auch unter Joe Biden streben die USA nach Hegemonie
Joe Biden (M) beim Abspielen der amerikanischen Nationalhymne in Fort Bragg, dem mit 43.000 Soldaten größten Stützpunkt des US-Heeres. (Foto: dpa) Foto: epa Gilliland

Nach vier Jahren Donald Trump lässt sein bevorstehender Abschied die Hoffnungen wieder aufleben. An die Stelle des großen Störenfrieds wird der Internationalist und Institutionalist Joe Biden treten. Er mag Europa und die Nato, und im Gegensatz zu Trump wird er, auch durch die Würdigung des Freihandels, Amerikas Freunde besser behandeln als Amerikas traditionelle Gegner. Im Bereich Sicherheit wird er die Verbündeten nicht mit Drohungen à la „Bezahlt oder wir steigen aus!“ eindecken. Die amerikanische Politik wird wieder unter dem Zeichen des Multilateralismus stehen, und Amerika wird zur liberalen Hegemonie zurückkehren und von Trumps engstirniger illiberaler Version abrücken.

"Mehr für uns - weniger für sie"

„Liberal” impliziert eine auf Regeln begründete internationale Ordnung, die Förderung der Demokratie und offene Gesellschaften. Trump hat nicht nur diese Prinzipien über Bord geworfen, sondern auch ein Faible für die Alleinherrscher der Welt an den Tag gelegt und abwechselnd mit Machthabern wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un geflirtet (freilich kann die Verhätschelung Saudi-Arabiens durch die Vereinigten Staaten nicht Trump in die Schuhe geschoben werden; noch jede Administration ist dem althergebrachten Diktum gefolgt: „Er mag ein Bastard sein, aber er ist unser Bastard.”).

Insbesondere im Bereich des Handels verfolgte Trump ein striktes Nullsummenspiel. Dabei handelte es sich um eine deutliche Abkehr von der amerikanischen Tradition der Nachkriegszeit, als man Positivsummenspiele bevorzugte, von denen alle Seiten etwas hatten. Trump hat die Welt in die Machtpolitik des 19. Jahrhunderts zurückgeführt, wonach Staaten keine dauerhaften Freunde, sondern nur dauerhafte Interessen haben.

Natürlich hoffen wir nun auf eine Wiederherstellung der alten liberalen Ordnung. Ein gewisser Wiederaufbau wird unter Biden stattfinden, einem Präsidenten, der fast ein halbes Jahrhundert lang in den Gepflogenheiten des liberalen Imperiums Amerika geschult wurde. Zu beachten ist jedoch, dass Trump keine totale Verirrung darstellte. Amerikas Hinwendung in Richtung „mehr für uns” und „weniger für sie” fand schon statt, bevor der oberste Twitterer auf den Plan trat.

Drei Präsidenten - eine Richtung

Man denke daran, dass Trump zwar 2020 den Abzug tausender US-Soldaten aus Europa anordnete, aber Barack Obamas Regierung (der Biden als Vizepräsident angehörte) im Jahr 2012 genau das gleiche tat. Trotz Trumps Europa-Bashings sei daran erinnert, dass auch Obama meckerte „Trittbrettfahrer nerven mich.” Es war Obama, der den Rückzug des US-Militärs aus dem Mittleren Osten einleitete, als er die Truppen in Afghanistan und im Irak reduzierte und sich gleichzeitig weigerte, gegen Baschar al-Assads Kriegsführung mit Chemiewaffen in Syrien zu intervenieren.

Als Trump versprach, Amerikas „endlose Kriege” zu beenden, ahmte er lediglich Obama nach. Es war sein progressiver Vorgänger, der mit dem Neo-Isolationismus zu experimentieren begann und verkündete, es sei „Zeit sich auf das Nation-Building daheim zu konzentrieren.“ Trump tat es seinem Vorgänger gleich, als er ein Infrastrukturprogramm im Ausmaß von einer Billion Dollar verhieß – „America First“ zugunsten der heimischen Entwicklung und Wohlfahrt.

Es geht darum, zu zeigen, dass Amerikas Hinwendung nach innen bereits vor Trump stattfand und unter Biden nicht vollständig rückgängig gemacht werden wird. Schließlich ist Protektionismus – Konkurrenzabwehr – sowohl für Rechte als auch für Linke attraktiv. Eine großzügige Einwanderungspolitik war für die Linke dann auch in Ordnung, solange sich die Demokraten in der Opposition befanden und die Republikaner als böswillige Nationalisten darstellen konnten. Aber die Biden-Administration wird den geknechteten Massen der Welt wohl kaum Amerikas Tore öffnen und die unter Trump errichteten Teile der mexikanischen Grenzmauer wieder niederreißen.

Die gleichen Kerninteressen

Ebenso wenig wird die Biden-Administration den Machtkampf mit China aufgeben, dessen protektionistische Politik und Aneignung geistigen Eigentums ständig für Spannungen sorgen. Die USA werden sich weiterhin im Westpazifik Geltung verschaffen, wo eine klassische Rivalität zwischen einer aufstrebenden Landmacht und einer etablierten Seemacht eskaliert. Demokraten und Republikaner haben sich weitgehend der Eindämmung 2.0 verschrieben, und regionale Akteure wie Indien, Japan, Südkorea, Taiwan und Australien mit einbezogen.

Im Mittleren Osten hat Biden bereits bestätigt, dass er versuchen werde, das Atomabkommen mit dem Iran wiederherzustellen, wenngleich auch nicht in der wohlmeinenden Art und Weise wie sein ehemaliger Chef Obama. Die noch zu bildende amerikanische Regierung wird das neue Anti-Iran-Bündnis zwischen Israel und den arabischen Golfstaaten unangetastet lassen und nicht den Fehler der Obama-Administration wiederholen, einen „Neustart“ mit Russland anzustreben.

Seit 2009 hat sich Putins Russland zu einer expansionistischen Macht entwickelt, die Druck in Europa, Nordafrika und im Nahen Osten ausübt. Während die Europäer den Sieg Bidens bejubeln, sollten sie sich allerdings auf erneute amerikanische Forderungen nach einer Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben gefasst machen. Ebenso sollte Deutschland mit mehr Widerstand aus den USA gegen die Nord Stream-2-Pipeline rechnen, einem russisch-deutschen Gemeinschaftsprojekt, das Osteuropa umgeht und die Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland erhöht.

Auch wenn sich Biden als Anti-Trump präsentiert, wird er weiterhin einige der gleichen strategischen Kerninteressen der USA verfolgen, wenn es um China, Russland und den wirtschaftlichen Wettbewerb mit Europa geht. Aber der Ton macht die Musik. Die Biden-Administration wird für eine höchst willkommene Änderung des Stils in der US-Diplomatie sorgen und Trumps Getöse durch gesittete Professionalität ersetzen.

Macht bleibt Macht

Wie im Privatleben wiegen Respekt und Höflichkeit auch in internationalen Beziehungen schwer. Neben der Verbesserung des Umgangstons wird Biden auch weniger Nullsummen- und mehr Positivsummenspiele anstreben. Er wird sich auf gemeinsame Interessen konzentrieren und versuchen, die amerikanische Führerschaft durch die Herstellung von Konsens und nicht durch rüpelhaften Unilateralismus zu erneuern. So will er beispielsweise den von Trump angeordneten Abzug der US-Truppen aus Europa stoppen.

Durch die Abkehr von Trumps „America First”-Doktrin verschafft Biden dem Rest der westlichen Welt Erleichterung – allerdings nicht umsonst. Am Jahresanfang schrieb er in Foreign Affairs, dass die „politische Agenda seiner Administration die Vereinigten Staaten wieder am Kopfende der Tafel platzieren wird,” von wo aus sie führen werden und zwar „nicht nur durch unsere beispielhafte Macht, sondern durch die Macht unseres Beispiels.“

Am Ende gilt jedoch: Macht bleibt Macht, und Amerikas Macht bleibt in allen Belangen unerreicht. Alle, die Trump fürchteten und verachteten, sollten durch das Wahlergebnis 2020 beruhigt sein. Biden wird das mächtige Schwert Amerikas zweifellos umsichtiger und mit einem freundlicheren Gesicht führen. Ab dem Tag der Amtseinführung im Januar wird Amerika wieder verhandlungsbereit sein. Allerdings sollte sich die Welt auf harte Verhandlungen gefasst machen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2020.

www.project-syndicate.org

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Josef Joffe

*****

Josef Joffe ist ein deutscher Publizist, Verleger und Dozent. Er ist seit April 2000 Herausgeber der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.

DWN
Panorama
Panorama Privatpatienten: Ist die Bevorzugung bei der Terminvergabe nur ein Mythos?
24.03.2025

Die Terminvergabe beim Arzt stellt für viele gesetzlich Versicherte eine Herausforderung dar. Lange Wartezeiten sorgen für Frust. Der...

DWN
Panorama
Panorama Seltene Erden: Weltwirtschaft bleibt abhängig von China
23.03.2025

US-Präsident Donald Trump möchte seltene Erden gern in der Ukraine oder Grönland abbauen und so die Dominanz Chinas brechen. Doch einer...

DWN
Panorama
Panorama Parsberg: Messerattacke auf einer Feier in der Oberpfalz endet tödlich
23.03.2025

Auf einer Veranstaltung unter freiem Himmel mit mehreren Hundert Teilnehmern in Parsberg kommt ein Mann ums Leben. Die Hintergründe der...

DWN
Politik
Politik Grenzkontrollen: Mehr Beschwerden wegen „Racial Profiling“ durch Bundespolizisten?
23.03.2025

Seit an deutschen Grenzen stationär kontrolliert wird, gehen beim Polizeibeauftragten des Bundes vermehrt Beschwerden ein. Unter anderem...

DWN
Finanzen
Finanzen Tolles Investment für dich … – so wehren Sie sich charmant gegen Geldjäger
23.03.2025

Fast jeder kennt es: Ein alter Bekannter taucht plötzlich auf – mit einem „exklusiven“ Investment-Angebot nur für Freunde. Sei es...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Diese neuen Pflichten kommen auf Händler zu
23.03.2025

Ab Juni 2025 müssen Online-Shops barrierefrei sein – sonst drohen Abmahnungen und hohe Bußgelder. Doch was genau bedeutet das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zollexperte: „Kurzschlussreaktionen wären jetzt fatal“
23.03.2025

Donald Trump setzt auf Strafzölle gegen europäische Importe. Besonders Mittelständler stehen unter Druck. Ewald Plum, Zollrechtsexperte...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Jobwechsel wegen hoher Mieten: In Großstädten verschärft sich das Ringen um Fachkräfte
23.03.2025

Die hohen Mieten in deutschen Großstädten sind einer Studie zufolge eine Hürde für Unternehmen im Ringen um Fachkräfte. Viele Menschen...