Technologie

Es werde Stein: Kohlendioxid-Speicherung im Meeresboden soll die Menschheit vor dem Klimawandel retten

Wissenschaftler auf der ganzen Welt erforschen Methoden zur Reduktion der als wärmetreibend geltenden Kohlendioxid-Emissionen. Ein neuer Ansatz geht sogar noch einen Schritt weiter: Vorhandenes Kohlendioxid (CO₂) soll in Gesteinsform gespeichert und damit komplett aus dem Verkehr gezogen werden. Die Kohlendioxid-Versteinerung hat enormes Potential, bringt aber auch massive Kosten und Risiken mit sich.
25.12.2020 09:00
Lesezeit: 3 min
Es werde Stein: Kohlendioxid-Speicherung im Meeresboden soll die Menschheit vor dem Klimawandel retten
Basalt-Gestein, das unter anderem wie hier in Vulkanen zu finden ist, könnte zur Lösung des globalen Klimaproblems beitragen. (Foto: Pixabay)

Die Idee der Versteinerung von Kohlendioxid ist noch sehr jung. Erste Versuche mit dieser Technologie werden derzeit im Rahmen des „Project Vesta“ in der Karibik durchgeführt.

Ausgangspunkt sind bestimmte Minerale (in diesem Fall "Olivin"), die in Körnerform ins Meer gestreut werden. Dort werden die Körner durch die Wellen-Reibung besonders fein zermahlen, wodurch Hydroxid-Ionen entstehen. Führt man nun künstlich in der Luft enthaltenes CO₂ ins Meer, reagiert dieses mit den Hydroxid-Ionen zu Hydrogencarbonat („beschleunigte Verwitterung“).

Das Hydrogencarbonat sinkt nach einiger Zeit in den Meeresboden und wird dort zu Kalkstein. Das Kohlendioxid ist dann „sicher“ im Meeresboden gespeichert. Es könnte nur unter enormem Energieaufwand wieder entweichen (zum Beispiel durch eine hohe geologische Aktivität).

In Anlehnung an natürliche Kohlendioxid-Versteinerungsprozesse nennt man diesen künstlichen Vorgang, wie oben bereits gesagt, „beschleunigte Verwitterung“. Über natürliche Verwitterungsprozesse wird pro Jahr rund eine Tonne an CO₂ im Meeres-Boden gespeichert.

An Olivin kommt man allerdings leider nur schwierig, denn man ist darauf angewiesen, dass es durch geologische Vorgänge nahe genug an die Erdoberfläche gelangt. Für den künstlichen Versteinerungs-Prozess könnten sich neben Olivin auch andere Minerale eigenen, allen voran solche mit einem hohen Anteil an Magnesium und Kalzium. Ein praktikablerer Kandidat wäre Basalt, ein auf der Erde reichlich vorhandenes Gestein, welches vor allem in der Baustoff-Industrie verwendet wird.

Wichtig ist vor allem, dass das Mineral – sobald es in Wasser gelöst wurde – relativ schnell verwittert und, gemessen an der Masse, viel Kohlendioxid bindet.

In warmen Regionen wie zum Beispiel Brasilien, Indien und Südostasien ist das Speicherpotential am größten, denn dieses soll exponentiell mit der Temperatur ansteigen, wie die Wissenschaft annimmt.

Negative Kohlendioxid-Emissionen

Die neue Technologie ist deshalb so spannend, weil dadurch sozusagen „negative Kohlendioxid-Emissionen“ im CO₂-Kreislauf Einzug halten. Bei schätzungsweise 35 Gigatonnen (35 Milliarden Tonnen) menschengemachtem CO₂ pro Jahr ist das Potential zur künstlichen „Entsorgung“ von Kohlendioxid enorm. In einem in der Fachzeitschrift „Environmental Research Letters“ erschienenen Artikel hieß es schon 2018: „Im großen Maßstab könnten dadurch signifikante Mengen CO₂ aus der Luft absorbiert werden“. Das Bindungspotential von Olivin-Mineralen soll bei ungefähr eins zu eins liegen. Das heißt, eine Tonne Olivin kann eine Tonne Kohlendioxid absorbieren. Für Basalt ist es mit 0,3 deutlich geringer.

Wer soll für die „CO₂-Reinigung“ bezahlen?

Die Versteinerung im Meer ist gegenüber ähnlichen Methoden (zum Beispiel Direktluftabscheidung oder Verpressung im Erdboden) teils kostengünstiger und trägt ein relativ geringes Risiko einer Rückentweichung des CO₂.

Fraglich ist allerdings, wer die Kosten übernehmen soll . Der Abbau von Mineralen ist nicht umsonst und außerdem wiederum CO₂-belastet – vor allem bei großem Volumen könnte es hier zu zahlreichen unerwünschten Nebeneffekten kommen.

Noch viel problematischer ist, dass es keinen wirklichen Ansatzpunkt dahingehend gibt, wie man die „beschleunigte Verwitterung“ kommerzialisieren könnte. Luft und Meer sind mehr oder weniger sogenannte Allmendegüter, die niemandem gehören. Wer hat also einen Anreiz, die Entsorgung von Kohlendioxid zu bezahlen? Das Ganze wird nur durch staatliche Förderung möglich sein (inklusive den altbekannten Problemen ineffizienter Verwaltung und schlechter Planung).

Die Kosten des Verfahrens sind sehr hoch. In der oben erwähnten Studie wurden die Gesamt-Speicherkosten (inklusive Abbau des nötigen Gesteins) je nach verwendetem Mineral indirekt zwischen 100 und 200 Dollar pro Tonne gespeichertem CO₂ angesetzt. Genauer gesagt soll bei einem hypothetischen Entsorgungspreis pro Tonne CO₂ in dieser Bandbreite ein Einsatz der Speicher-Technologie kostendeckend möglich sein.

Könnte man die Technologie einfach skalieren, ergäbe das schätzungsweise eine kleine dreistellige Milliardensumme pro Gigatonne und damit beim aktuellen Jahres-Kohlendioxid-Ausstoß der Menschheit (35 Gigatonnen) rund 3 bis 7 Billionen Dollar Jahreskosten für eine vollständige Neutralisierung dessen. Das ist sehr viel Geld, aber natürlich könnte der Versteinerungs-Prozess durch technischen Fortschritt noch deutlich verbilligt werden.

Ein schwerwiegender Eingriff in die Natur mit unabsehbaren Folgen

Einen Aspekt haben die Befürworter der Methode bisher allerdings ignoriert: Die Speicher-Technik greift nicht direkt auf das menschengemachte (überwiegend auf industrielle Vorgänge zurückzuführende) Kohlendioxid zu. Stattdessen arbeitet man quasi zufällig mit einem lokalen „Vorrat“ an CO₂ in der Atmosphäre – an dem Ort, an dem die jeweiligen Anlagen platziert würden. Alternativ hat man Techniken zur Verfügung, die gasförmiges CO₂ aus der ganzen Welt in die Versteinerungs-Anlagen transportieren können, aber auch hier wird man wohl nur schwerlich in der Lage sein, exakt das menschengemachte Kohlendioxid zu erwischen und zu entsorgen.

Man greift also massiv in den natürlichen Kohlendioxid-Kreislauf ein – je größer das Entsorgungs-Volumen, umso gravierender wäre der Eingriff. Die Folgen auf das Ökosystem und mögliche Kosten dessen sind nur schwer abzuschätzen. Die Natur ist eben ein sehr komplexes System.

Überhaupt werden sich zahlreiche Risiken erst in der Praxis herauskristallisieren. Dazu zählen potentielle Skalierungskosten, aber auch die Frage der Geschwindigkeit. Lässt sich der Prozess, der in der Natur tausende Jahre andauern kann, wirklich artifiziell auf wenige Jahre reduzieren, so wie es in Wissenschaft und Industrie angepriesen wird? Das wird die Zukunft zeigen. Die „beschleunigte Verwitterung“ ist vielleicht nur eine kleine Teillösung des Klimaproblems.

Verwandte Ideen wie die CO₂-neutrale Beton-Herstellung mittels olivin-haltigem Zement oder die Beimischung von CO₂ im Herstellungsprozess von Beton und anderen Materialien könnten vielversprechender sein. Denn hier ist die Prämisse deutlich ökonomischer ausgerichtet. Der Anreiz zur Kohlendioxid-Vermeidung (die Besteuerung und Bepreisung von CO₂) ist zwar politisch erzwungen, aber im nächsten Schritt werden effiziente Lösungen rein marktwirtschaftlich auf Unternehmensebene gesucht und vermutlich auch gefunden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Handwerkskunst aus Deutschland: Pariser Luxus-Modehäuser vertrauen auf die Stickerei Müller
05.12.2025

Die Stickerei Müller aus Franken fertigt für große Modehäuser wie Balenciaga und Yves Saint Laurent. Auf schwierige Jahre nach der...

DWN
Politik
Politik Rentenpaket im Bundestag: Folgen für Rentner und Beitragszahler
05.12.2025

Der Bundestag hat das Rentenpaket mit knapper, aber eigener Mehrheit durchgesetzt und eine Koalitionskrise verhindert. Doch hinter den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Auftragseingang in der deutschen Industrie steigt unerwartet kräftig
05.12.2025

Unerwartet starke Impulse aus der deutschen Industrie: Die Bestellungen im Verarbeitenden Gewerbe ziehen an und übertreffen Prognosen...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie stabil: Analystenkommentar von Bank of America bewegt Rüstungsaktien
05.12.2025

Am Freitag geraten deutsche Rüstungsaktien in Bewegung: Ein US-Großbank-Analyst sortiert seine Favoriten neu. Welche Titel profitieren,...

DWN
Politik
Politik Neuer Wehrdienst: So soll das Modell ab 2026 greifen
05.12.2025

Ab 1. Januar soll der neue Wehrdienst starten: mit Pflicht-Musterung, frischer Wehrerfassung und ehrgeizigen Truppenzielen. Die Regierung...

DWN
Finanzen
Finanzen Tesla-Aktie im Fokus: Teslas Model 3 Standard startet in Deutschland – Experten hinterfragen Musks Einfluss
05.12.2025

Tesla bringt das Model 3 als neue Standard-Version nach Deutschland und senkt den Einstiegspreis deutlich. Weniger Komfort soll mehr...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Eurozone: Wirtschaft in der Währungsunion überrascht mit stärkerem Quartal
05.12.2025

Die Eurozone-Wirtschaft hat im Sommer mehr Dynamik gezeigt als gedacht. Neue Daten von Eurostat korrigieren das Wachstum nach oben, doch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen CSRD-Berichtspflicht: EU bremst, der Druck auf Unternehmen wächst – was nun zu tun ist
05.12.2025

Die EU zieht die Reißleine: Statt 2025 gilt die CSRD-Berichtspflicht nun zwei Jahre später. Doch während Brüssel bremst, wächst in den...