Deutschland

Fortsetzung des Linksschwenks, immer mehr Brüssel: Armin Laschet ist "Merkel minus Angela"

Der Publizist Josef Joffe glaubt, dass Armin Laschet sich gegen Markus Söder im Rennen um die Kanzlerkandidatur durchsetzt - und als neuer Regierungs-Chef Angela Merkels Erbe fortsetzen wird.
Autor
avtor
28.01.2021 10:29
Lesezeit: 4 min
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Die CDU hat Armin Laschet, den unscheinbaren, freundlich dreinblickenden Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, zu ihrem Vorsitzenden gekürt. Laschet ist auf der Weltbühne nicht gerade ein Star, doch sollte man sich seinen Namen merken. Statistisch gesehen ist ein Christdemokrat der klare Favorit für das Amt des Bundeskanzlers.

Fünf der acht deutschen Nachkriegskanzler – von Konrad Adenauer bis zur jetzigen Amtsinhaberin Angela Merkel – gehörten der CDU an. Und derzeit führt diese in den Meinungsumfragen mit weitem Abstand; daher dürfte Merkels Nachfolger nach der Bundestagswahl im September mit größter Wahrscheinlichkeit erneut dem konservativen Lager entstammen.

Laschet muss(te) ein zweischrittiges Verfahren durchlaufen: erst CDU-Vorsitzender, dann Kanzlerkandidat. Der Parteivorsitzende kann traditionell als Erster seinen Anspruch auf die Kandidatur anmelden. Doch hat er damit die Nominierung, die für März angesetzt ist, noch nicht zwangsläufig sicher.

Fortsetzung des Linksschwenks

Bevor wir freilich zu den möglichen Komplikationen kommen, sollten wir einen Blick auf Laschet werfen, der vor dem Parteitag als Außenseiter galt. Nach seinem Überraschungssieg ist er nun Favorit auf die Kanzlerkandidatur. Gehen wir also einmal davon aus, dass er das nächste Kabinett zusammensetzen wird. Was ist da zu erwarten?

In drei Worten: „Merkel ohne Angela“, also maximale Kontinuität. Laschet verspricht keinen Neuanfang oder Bruch mit 16 Jahren Merkel’scher Politik der Mitte und ihrem schleichenden Linksschwenk. Dieser Schwenk wurde jetzt durch die COVID-19-Pandemie beschleunigt, die im gesamten Westen eine massive Ausweitung der Staatsausgaben und Umverteilung antreibt. Bürger und „systemrelevante“ Unternehmen werden derzeit mit Billionen von Euros überschüttet.

Abstand zu Washington – gute Beziehungen mit allen anderen

Auch in der Außenpolitik dürfte es im Stile Merkels weitergehen. Von den drei Kandidaten für das höchste Parteiamt versprachen Laschets zwei Rivalen – Friedrich Merz und Norbert Röttgen –, die deutschen Interessen zugunsten einer stärkeren Westorientierung neu auszurichten: höhere Ausgaben für Verteidigung und NATO, weniger Entgegenkommen gegenüber Russland und China. Laschet jedoch ließ erkennen, in Merkels Fußstapfen treten zu wollen.

Man kann das als „diplomatischen Zentrismus“ bezeichnen: nicht zulassen, dass Deutschland von den USA in Konflikte mit den beiden Giganten im Osten hineingezogen wird. Abstand zu Washington halten. Gute Beziehungen mit jedem und allen anzustreben, so wie das Berlins Position im Herzen Europas entspricht.

Als Kanzler würde Laschet Russland nicht die Stirn bieten, indem er die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 stoppt, die russisches Gas direkt ins Land bringt, Polen und die Ukraine umgeht und die deutsche Abhängigkeit vom Kreml steigert. Genauso wenig wird Deutschland chinesische 5G-Technologie aus seinen Netzen verbannen.

Ein Zeichen für Kommendes ist das unter deutscher Führung nur drei Wochen vor Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden geschlossene EU-Investitionsabkommen mit China. Damit hat sich Bidens Hoffnung auf Einbindung der EU in eine strategische Koalition gegen China in Luft aufgelöst. Tatsächlich sorgt das neue Abkommen der EU mit China – zusammen mit dem als „Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft“ (RCEP) bezeichneten Abkommen, das 15 asiatische Länder einschließlich Chinas im letzten Monat geschlossen haben – dafür, dass die USA nun im Abseits stehen.

Immer mehr Brüssel

Auch in der Europapolitik verspricht eine Zukunft unter Laschet Kontinuität. Das bedeutet offene Schleusen für die Europäische Zentralbank sowie eine immer größere Verlagerung von Ausgabe- und Besteuerungsbefugnissen an die Europäische Kommission, die nicht durch eine Wahl legitimierte Exekutive der EU.

In ihren Anfangsjahren als Kanzlerin widersetzte sich Merkel massiven Einfluss- und Finanztransfers an die EU mit Händen und Füßen. Nun ist die Schulden- und Transfer-Union etabliert, egal, wer nächster Bundeskanzler wird. Selbst nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt wird Merkel daher die Zukunft der EU weiter formen.

Laschet contra Söder: Wer macht das Rennen?

Obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass Laschet am 26. September neuer Bundeskanzler wird, wird er sich anstrengen müssen, um CDU und CSU auf eine Linie zu bringen. Nach Rückstand im ersten Wahlgang am letzten Wochenende siegte er im zweiten Wahlgang nur knapp mit 521 von 1001 Stimmen.

Schlimmer noch: In landesweiten Meinungsumfragen äußerte nur ein Drittel der Teilnehmer die Ansicht, dass Laschet „ein guter Kanzlerkandidat wäre“. Rund 55 Prozent sprachen sich für CSU-Chef Markus Söder aus, der Laschet die Nominierung mit Sicherheit streitig machen wird. Tatsächlich angelt Söder schon die ganze Zeit nach dem Hauptpreis.

Wofür steht Söder? Genauer sollte man fragen: „Wofür nicht?“ Söder hat seine Positionen mit großer Eilfertigkeit gewechselt und sich zuerst nach links und dann wieder zurück nach rechts bewegt – egal, ob bei der inneren Sicherheit, der Einwanderung, „Familienwerten“, Lockdowns, der Industriepolitik oder einer deutschen Version des „grünen New Deals“. Söder hat auf Sanktionen gegen Russland beharrt, aber dann bei seinem Besuch im Kreml beim russischen Präsidenten Wladimir Putin einen auf nett und freundlich gemacht.

Besteht ein großer Unterschied zwischen den beiden Vorsitzenden der zwei Flügel der deutschen Christdemokratie? Laschet, um es nochmal zu sagen, ist „Merkel ohne Angela“. Söder ist ein Politprofi, der versucht, Charisma und Stärke zu projizieren, doch dessen Vergangenheit unbarmherzige Flexibilität nahelegt. Oder anders ausgedrückt: Entscheidungsschwäche gepaart mit Opportunismus.

Für die Welt ist´s egal

Für die übrige Welt ist es nicht allzu wichtig, wen die Partei im März nominiert. Die Politik deutscher Mehrparteienkoalitionen ist nicht auf plötzliche Schwenks ausgelegt – so wie beispielsweise in den USA, wo der auf Barack Obama folgende Donald Trump eine völlig neue Politik betrieb. Es geht immer nur ein paar Grad nach links oder rechts, wobei die Fahrt über Grund ausgelotet wird und tückische Untiefen vermieden werden – und man die sich wandelnde Stimmung bei den Wählern genau verfolgt.

Wer also wird Kanzlerkandidat: Laschet oder Söder? Merkel-plus oder ein als starker Mann posierender Bayer? Dritter Akteur im Bunde ist natürlich COVID-19. Letztes Jahr leisteten die effizienten Deutschen Hervorragendes dabei, sich die Pandemie vom Leibe zu halten. Heute taumelt das Land angesichts steigender Infektionszahlen von Lockdown zu Lockdown. Setzt sich die Krise fort, könnten die deutschen Wähler einen molligen, berechenbaren Onkel aus dem Rheinland dem ungezügelten Ehrgeiz eines Möchtegernkönigs aus Bayern womöglich vorziehen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2021.

www.project-syndicate.org

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Josef Joffe

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Josef Joffe ist ein deutscher Publizist, Verleger und Dozent. Er ist seit April 2000 Herausgeber der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.

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