Deutschland

LBBW: „Der Einzelhandel droht zum dauersubventionierten Wirtschaftszweig mit verödeten Landschaften zu werden“

In einer Analyse skizziert die Landesbank Baden-Württemberg die prekäre Situation des Einzelhandels und zeigt Lösungsvorschläge auf.
18.02.2021 11:17
Aktualisiert: 18.02.2021 11:17
Lesezeit: 2 min

Die Analyseabteilung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW Research) rät dringend zu einer umfassenden Unterstützung des notleidenden Einzelhandels. Anderenfalls drohten den deutschen Kommunen tote Innenstädte, urteilen die Analysten in der am vergangenen Dienstag veröffentlichten Studie „Innenstadthandel am Limit – Ohne Hilfe droht der Kollaps.“

Notwendig seien dazu nicht nur finanzielle Hilfen „Die Bundesregierung muss mit einem umfangreichen Maßnahmenbündel dem stationären Einzelhandel jetzt unter die Arme greifen und dabei Fehlentscheidungen der vergangenen Monate korrigieren“, warnt LBBW Chefvolkswirt Uwe Burkert. „Ansonsten droht der Handel wie die Landwirtschaft zum dauersubventionierten Wirtschaftszweig mit verödeten Landschaften zu werden. Dieses Mal nicht vor unseren Städten, sondern mittendrin.“

Vielfältige Auswirkungen des Lockdowns

200.000 Handelsunternehmen sind aktuell in Deutschland von einer Fortsetzung des Lockdowns und in der Folge insolvenzbedingten Geschäftsschließungen bedroht. 600.000 Beschäftigte sind im innerstädtischen Einzelhandel tätig. Bis zu 250.000 davon könnten bei einer Fortsetzung des Lockdowns ihren Job verlieren, schätzt LBBW Einzelhandelsanalyst Gerold Deppisch. Obwohl viele Menschen im Einzelhandel auf 450-Euro-Basis - und damit ohne Sozialversicherung - tätig sind, könnte sich der volkswirtschaftliche Schaden durch die Kosten der Arbeitslosigkeit und entgangenen Unternehmenssteuern auf bis zu 5,4 Milliarden Euro pro Jahr belaufen, befürchtet der Analyst. Hinzu kämen hohe Wertverluste der Immobilien und eine Verödung der Innenstädte.

Als schnelle Gegenmaßnahme empfiehlt er, klamme Unternehmen mit einer staatlichen Liquiditätsspritze zu stützen. Die sogenannte Überbrückungshilfe III sollte beispielsweise deutlich schneller nach Antragstellung ausgezahlt werden, die möglichen Beträge dabei auch über die bisherige Höchstgrenze von 1,5 Millionen Euro steigen dürfen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Zugleich sollten die oftmals inhabergeführten Geschäfte Planungssicherheit durch einen präzisen Öffnungsplan erhalten. Der Analyst schlägt außerdem Vorteile für Geimpfte vor, sobald ein flächendeckendes Impfangebot aufgebaut ist. Weitere Möglichkeiten, den Handel ohne hohe Summen stützen zu können, sieht er in einer Flexibilisierung der Öffnungszeiten. Dies gleiche Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Internethandel aus, der 24 Stunden am Tag erreichbar sei.

Vielfältiger sind die Vorschläge für eine mittelfristige Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen. Viele Kunden sind in Corona-Zeiten ins Internet abgewandert und werden vermutlich nur teilweise wieder zurückkehren, vermutet der Experte in seiner Studie. Er empfiehlt eine Digitalisierungsoffensive des Innenstadthandels um technische Hürden und Wissenslücken zu beseitigen, die den stationären Handel am Aufbau eigener Online-Aktivitäten hindern. Innovationshilfen müssten gezielt eingesetzt werden und auch Omnichannel-Konzepte oder eine attraktivere Gestaltung des Einkaufserlebnisses fördern. Zu dessen Verbesserung sollten schließlich auch die Stadtentwickler bei der Kommunalplanung aktiv beitragen.

Um den stationären Handel vergleichsweise attraktiver zu machen, setzt das LBBW Research zugleich auf einen gesplitteten Mehrwertsteuersatz mit einer höheren Besteuerung des Online-Handels. „Die gebetsmühlenhaft vorgetragene Behauptung, es sei technisch unmöglich, online und stationär erzielte Umsätze zu unterscheiden, wird auch durch die ständige Wiederholung nicht richtiger. Sie bleibt eine Schutzbehauptung“, erklärt Uwe Burkert. Gerold Deppisch fügt hinzu: „Genauso ist es machbar, auf Online-Verpackungen eine höhere Umweltabgabe zu erheben.“

Wachstum 2021: zwischen 0 und 3 Prozent

Erstmals hat das LBBW Research auch die konjunkturellen Auswirkungen der Lockdown-Verlängerung bis Mitte Februar untersucht. In jedem Fall werde das Wirtschaftswachstum in Deutschland in diesem Jahr die 3-Prozent-Marke nicht mehr überschreiten, so die düstere Prognose. Bislang hatten die Volkswirte mit einem Plus von 3,5 Prozent (nach -5,3% 2020) gerechnet. Dies gelte auch noch für den Fall einer weiteren Verlängerung bis Ende Februar.

Hebe die Bundesregierung den Lockdown aber erst Ende März oder zu Ostern auf, werde das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2021 um 7 Prozent einbrechen und das BIP damit auf Jahressicht bestenfalls stabil (0%) bleiben. Auf Basis harmonisierter Verbraucherpreise erwarten die Volkswirte zugleich einen deutlichen Anstieg der Inflation. Sie soll 2021 bis auf 1,9 Prozent und damit den höchsten Stand seit 2012 Jahren klettern.

Zur vollständigen LBBW-Studie mit Grafiken gelangen Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Politik
Politik Peter Vesterbacka: Wenn Deutschland wie Estland wäre, hätte es 600 Einhörner
25.10.2025

Europa gilt zunehmend als unentschlossen, überreguliert und kraftlos – Begriffe, die sich in den vergangenen Jahren eingebürgert haben,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ausbildungsmarkt: Ausländische Azubis stützen Hotels und Gaststätten
25.10.2025

Das Hotel- und Gastgewerbe setzt bei der Nachwuchssicherung stark auf internationale Auszubildende. Doch fehlende Deutschkenntnisse bleiben...

DWN
Finanzen
Finanzen Seltene Erden als Investmentchance: Wie Anleger vom Rohstoffboom profitieren
25.10.2025

Seltene Erden sind das stille Rückgrat moderner Technologien – von E-Autos bis Windkraft. Ihre strategische Bedeutung wächst, weil...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Revolut Bank: Wie ein britisches Fintech Europas Bankenaltbau ins Wanken bringt
25.10.2025

Die Revolut Bank stellt das gesamte europäische Bankensystem infrage: Mit 75 Milliarden Dollar Bewertung, aggressiver Expansion und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Autoteilehandel 2.0: Wie Ovoko das Geschäft mit gebrauchten Teilen revolutioniert
25.10.2025

Aus einer simplen Excel-Tabelle entsteht ein europaweites Erfolgsunternehmen: Ovoko verändert den Handel mit gebrauchten Autoteilen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vom Großraumbüro zur Kokospalme: Wie eine Litauerin Londons Karrierefalle entkam – und auswanderte
25.10.2025

Dominyka Mikšėnaitė hatte alles – Karriere, Gehalt, Aufstiegschancen in London. Doch sie kündigte, verließ das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Aktien: Wie Energieversorger zum stillen Profiteur des Tech-Booms werden
25.10.2025

Der Boom der künstlichen Intelligenz treibt den globalen Stromverbrauch auf Rekordniveau. Milliarden fließen in Rechenzentren, Netze und...

DWN
Politik
Politik Hinweise von Meldestelle "Hetze in Netz": Durchsuchung bei „Welt“-Kolumnist Norbert Bolz nach X-Post
24.10.2025

Für den Autor Professor Norbert Bolz ist es Ironie, die Staatsanwaltschaft sieht in dem Post eine strafbare Aussage gegen den renommierten...