Die politischen Konflikte zwischen Deutschland und Russland haben sich im Februar weiter verschärft. So hat die EU wieder neue Sanktionen gegen Moskau eingeführt, die bereits seit sieben Jahren den deutschen Mittelstand belasten. Damit reagierte Brüssel auf die erneute Verurteilung des Regimekritikers Alexej Nawalny zu einer mehrjährigen Haftstrafstrafe durch ein russisches Gericht.
Nach Einschätzung der Richter soll der 44jährige Blogger in einem früheren Strafverfahren aus dem Jahr 2014 mehrfach gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben. Der Fall Nawalny ist sehr komplex und beschäftigt die Regierungen und die internationale Öffentlichkeit schon seit Jahren. Wie Russland mit dem Journalisten umgeht, ist für viele Kritiker im Westen ein klares Zeichen, wie schlecht das Land grundsätzlich seine Oppositionellen behandelt. Deshalb ist die Empörung so groß.
Dadurch vergiftet sich die Atmosphäre wieder zwischen den Ländern. Das bedeutet auch, dass der deutsch-russische Handel, der stark vom deutschen Mittelstand geprägt ist, erneut in Mitleidenschaft gezogen wird. „Aktuell kommentieren wir das nicht“, sagte Thorsten Gutmann, der Sprecher der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer auf Anfrage der Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN), und wies darauf hin, dass seine Einrichtung noch nie Statements zu Heiko Maas abgegeben habe.
Die Zurückhaltung der deutsch-russischen AHK zeigt, wie schwierig es für die Funktionäre der Außenhandelskammer ist, in Russland Lobby-Arbeit für die deutschen Firmen zu betreiben. Einerseits müssen sie den Handel und die Investitionen fördern, so dass ihnen an den EU-Sanktionen nicht gelegen sein kann. Anderseits müssen sie sich loyal zur Bundesregierung zeigen, die das Embargo unterstützt. Dies ist eine diplomatische Zwickmühle, aus der es kein Herauskommen gibt.
Dabei hat die Bundesregierung den Großteil der deutschen Bevölkerung hinter sich, die sich mit einer knappen Mehrheit für neue Restriktionen gegenüber Moskau ausspricht. Denn viele haben den Fall Nawalny in den deutschen Medien verfolgt und nehmen grundsätzlich eher eine kritische Haltung gegenüber Russland ein. Das ging aus einer aktuellen ZDF-Umfrage hervor, die allerdings klare Unterschiede zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern zeigte.
So waren insgesamt 46 Prozent der Befragten dafür und 42 Prozent dagegen. Im Westen Deutschlands sprachen sich 51 Prozent dafür und 37 Prozent gegen eine Verschärfung der Sanktionen aus. In den östlichen Bundesländern hingegen stimmten 64 Prozent dagegen und 24 Prozent dafür.
Zur Einordnung: Eine weitere Verschärfung wäre deswegen so ungünstig, weil die deutsch-russischen Geschäfte jetzt schon stark unter Druck stehen. Der deutschen Exporte nach Russland sind im vergangenen Jahr um 13,1 Prozent auf 23,1 Milliarden Euro eingebrochen.
Bei den Importen sah die Lage sogar noch schlimmer aus: Hier verringerten sich die Umsätze sogar um fast ein Drittel auf 21,9 Milliarden Euro. Diese Rückgänge gehörten zu den größten Verlusten, die Deutschland im Außenhandel mit den großen Industrienationen hat hinnehmen müssen. In erster Linie hat sich hier die Corona-Krise negativ ausgewirkt. Doch kamen dazu noch die EU-Sanktionen als zusätzliche Belastung.
Immer weniger deutsche Firmen in Russland
Darüber hinaus ist die Zahl der deutschen Firmen zum Jahresende 2020 immer weiter zurückgegangen. So waren nur noch 3.971 Unternehmen und Repräsentanzen mit deutschem Kapital in Russland registriert. Wie die russische Steuerbehörde berichtet, waren dies sieben Prozent weniger als noch zwölf Monate zuvor.
Schon seit einem Jahrzehnt interessieren sich immer weniger deutsche Firmen für ein Engagement mit russischen Partnern. 2011 waren 6300 deutsche Unternehmen in Russland tätig. Seither ist ihre Anzahl um mehr als ein Drittel gesunken. „Bereits seit Einführung der EU-Sanktionen gegen Russland im Zuge der Ukrainekrise 2014 ist die Firmenzahl stark rückläufig“, bestätigte Rainer Seele, der Präsident der deutsch-russischen AHK.
Wie sehr das Embargo bereits jetzt schon seit seiner Verhängung das Business belastet, wird durch eine Studie deutlich, die das ifo-Institut gerade herausgegeben hat. Die Verluste gehen in die dreistellige Milliarden-Euro-Höhe und hinterlassen einen kräftigen Abdruck auf der volkswirtschaftlichen Rechnung Deutschlands.
„Die deskriptive Analyse der Handelsströme zeigt, dass nach Verhängung der Sanktionen die russischen Importe um 32 Prozent beziehungsweise 115 Milliarden Euro und die Exporte um 24 Prozent beziehungsweise 100 Milliarden Euro zurückgingen. Der russische Handel mit der EU ging stärker zurück als der Handel mit dem Rest der Welt. Insbesondere mit China haben sich die Handelsbeziehungen verstärkt“, schreiben die Wissenschaftler.
Dabei zeigen die Experten deutlich, wie wichtig die Abschaffung der Sanktionen aus volkswirtschaftlicher Sicht ist. Wenn die Restriktionen zwischen der EU und Russland auf beiden Seiten verschwinden würden, dann gäbe es in fast allen deutschen Wirtschaftssektoren Steigerungen in der Wertschöpfung (mit Ausnahme des Bergbaus und des Rohstoffsektors).
Durch Abschaffung der Sanktionen Corona-Verluste ausgleichen
Dadurch könnte Deutschland die Exporte nach Russland um fast 16 Prozent erhöhen – also die Rückgänge von 13 Prozent, die 2020 angefallen sind, mehr als ausgleichen. Bei einer einseitigen Abschaffung der Sanktionen durch die EU stiege das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU-Mitgliedstaaten im Durchschnitt um 0,12 Prozent (20,85 Milliarden Euro). Das BIP Russlands erhöhte sich dadurch um 1,13 Prozent (17,13 Milliarden Euro). Die deutsche Wirtschaftsleistung stiege sogar um 0,16 Prozent (5,42 Milliarden Euro).
Die Ausfuhren würden in nahezu allen Wirtschaftszweigen ansteigen. Bei den Dienstleistungen könnten die Ausfuhren um 0,02 Prozent klettern – also eher weniger sichtbar sein. Bei Textilien wäre hingegen eine Steigerung um fast 1,7 Prozent zu erwarten, die klar in den Statistiken zu sehen wäre.
Dabei kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass daraus die Regionen Deutschlands in unterschiedlichem Maße ihren Nutzen ziehen. Die ostdeutschen Bundesländer profitierten relativ zum Einkommen besonders stark. Die Unternehmensbefragung, die das ifo-Institut organisiert hat, zeigt ebenfalls, dass ostdeutsche Firmen in besonderem Maße durch die Sanktionen beeinträchtigt werden – so sehen sich beispielsweise in Sachsen 60 Prozent der Unternehmen beim Export nach Russland behindert.
Probleme beim Export werden deutlich häufiger (von 28 Prozent der Unternehmen) angeführt als Schwierigkeiten bei Import (von fünf Prozent) oder Investitionen (von sieben Prozent). Die Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe, insbesondere im Maschinenbau sind relativ betrachtet am häufigsten beeinträchtigt. Auch die Sektoren Kfz, Chemie und Logistik sind weitflächig betroffen. Von der Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland würden 55 Prozent großer und 42 Prozent kleiner und mittlerer der befragten Unternehmen profitieren, besonders im verarbeitenden Gewerbe.
Doch sieht es derzeit nicht danach aus, dass es derzeit zu einem Tauwetter zwischen den Ländern kommt:
„In Bezug auf das gegenseitige Vertrauen durchleben die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland gegenwärtig die schlimmste Zeit seit der deutschen Einheit 1990“, sagte Dmitri Trenin, Direktor der Moskauer Denkfabrik Carnegie. „Um dieses Problem zu lösen, müssten beide Staaten nach neuen Plattformen für Zusammenarbeit und Dialog suchen. Das wäre der einzige Ausweg“, erklärte der Fachmann auf dem digitalen AHK-Treff im Januar.
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