Politik

Die bittere Konsequenz aus Merkels Energiewende: Ohne Atomstrom aus Frankreich gehen die Lichter aus

Die Bundesregierung setzt für das Gelingen des Atom- und Kohleausstiegs in Zukunft umfangreiche Strom-Importe aus dem Ausland voraus.
21.03.2021 10:06
Aktualisiert: 21.03.2021 10:06
Lesezeit: 6 min
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Die bittere Konsequenz aus Merkels Energiewende: Ohne Atomstrom aus Frankreich gehen die Lichter aus
Das französische Kernkraftwerk Cattenom nahe der deutschen Grenze. (Foto: dpa)

Umfangreiche Importe von ausländischem Strom sollen nach dem Willen der Bundesregierung in den kommenden Jahren den angestrebten Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft ermöglichen. So wird im aktuellen Netzentwicklungsplan, welcher die zur Realisierung der „Energiewende“ notwendigen Maßnahmen und Umbauten im deutschen Stromnetz bis zum Jahr 2035 vorzeichnet, mit einer starken Abhängigkeit von ausländischem Stromlieferungen gerechnet.

Wie das Handelsblatt berichtet, prognostizieren die Verfasser des Plans für das Jahr 2035 eine maximale Spitzen-Stromnachfrage in Deutschland von 106 Gigawatt. Wird der beschlossene Ausstieg aus Atomkraft und Kohleverstromung bis dahin wie geplant realisiert, würde das Land zu diesem Zeitpunkt aber nur noch über eine konventionelle - dass heißt steuerbare - Kraftwerksleistung von 71,9 Gigawatt verfügen.

Dunkelflauten und die kommende Stromlücke

Kommt es in einem solchen Szenario nun zu einer sogenannten „Dunkelflaute“, wäre ein Netto-Import von ausländischem Strom im Umfang von etwa 35 Gigawatt notwendig. 35 Gigawatt entsprechen in etwa dem halben heutigen Leistungsbedarf Deutschlands. Nachts pendelt dieser um 60 Gigawatt und erreicht um die Mittagszeit Werte über 80 Gigawatt. Von einer Dunkelflaute spricht man, wenn an einem bestimmten Tag kaum Wind weht und die Sonne nicht scheint und folglich die beiden wichtigsten alternativen Stromquellen Wind- und Solarenergie für die Energieerzeugung ausfallen.

Zu beachten ist insbesondere, dass die oben beschriebenen rund 72 Gigawatt konventioneller Stromleistung - mit denen die Politik im Jahr 2035 rechnet - dann zum allergrößten Teil von Erdgaskraftwerken erbracht werden müssen, weil die letzten drei deutschen Atomkraftwerke bereits Ende 2022 vom Netz gegangen sind und im Jahr 2035 auch nur noch ein Bruchteil der einst verfügbaren Braun- und Steinkohlekraftwerke am Netz sein werden, bevor deren Zahl im Jahr 2038 auf null sinken wird. Problematisch erscheint vor diesem Hintergrund, dass der Ausbau der Erdgaskraftwerke in Deutschland aber so gut wie gar nicht vorankommt – es ist deshalb fraglich, wie hoch die durch Erdgas erzeugte kontrollierbare Kapazität im Jahr 2035 sein wird.

Ein Beleg für die vermehrt in den dunklen und kalten Monaten stattfindenden Dunkelflauten ist der Umstand, dass die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle sowohl im vierten Quartal 2019 als auch im dritten Quartal 2020 die wichtigste Stromquelle in Deutschland darstellte.

Besonders pikant: Es ist nicht zuletzt die immer strikter werdende „Klimapolitik“ der EU, welche den Bau der Erdgas-Kapazitäten blockiert. So schrieb Henrik Paulitz kürzlich in den Deutschen Wirtschaftsnachrichten:

In der „Kohlekommission“, die in Folge des Atomausstiegs-Beschlusses über einen Ausstieg aus der Kohleverstromung verhandelte, kam man zu dem klaren und eindeutigen Ergebnis, dass man ersatzweise dringend sehr viele neue Gaskraftwerke als Backup-System für die erneuerbaren Energien benötigt. Große Gaskraftwerks-Kapazitäten müssten dann den benötigten Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht (genug) scheint und der Wind nicht kräftig genug weht. Die einfache Formel lautet: Atomausstieg + Kohleausstieg = Gaskraftwerke. Die logische Forderung war: Wir müssen viele Dutzend Gaskraftwerke schnellstmöglich „bauen, bauen, bauen“, um die Energiewende bei einem Atom- und Kohleausstieg auch weiterhin versorgungssicher zu gestalten.

Ende des Jahres 2020 ist aber festzustellen: Die dringend benötigten Gaskraftwerks-Kapazitäten wurden nicht gebaut; im Gegenteil: Wegen fehlender Rentabilität unter den aktuellen „Marktbedingungen“ kam es sogar zu Stilllegungen und nun geraten die bestehenden Gaskraftwerke auch noch durch die EU-Umweltgesetzgebung unter Druck.

Entweder E-Mobilität oder Energiewende

Ebenso pikant: Das Ziel Bundesregierung, den Individualverkehr auf elektrische Antriebe umzustellen, wirkt dem Ziel der Energiewende diametral entgegen. Der infolge von Millionen neuer Elektroautos ansteigende Strombedarf kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr vom steigenden Anteil der schwankungsanfälligen Stromquellen Wind- und Solarenergie aufgebracht werden, weil die regel- und planbaren Stromquellen zurückgefahren werden.

So warnte der Bundesverband Solarwirtschaft selbst vor Kurzem in einer Medienmitteilung:

Eine bereits 2022 aufreißende Stromlücke wird sich nach Berechnungen von Bonner Marktforschern nur im ersten Jahr durch Stromimporte aus dem Ausland vollständig ausgleichen lassen. „Bereits im Jahr 2023 wird der europäische Stromverbund die Stromlücke nicht mehr schließen können. Die Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken wird dann unausweichlich,“ so Dr. Martin Ammon, Geschäftsführer von EUPD Research. 2023 werde die Stromlücke bereits nahezu 100 Milliarden Kilowattstunden betragen. Das entspräche fast einem Fünftel des zu diesem Zeitpunkt erwarteten Strombedarfs. Der simulierte Importbedarf an Strom aus dem europäischen Ausland steigt in der Spitze für das Jahr 2023 zeitweise bis auf 30 GW.

„Die Bundesregierung rennt sehenden Auges in eine Stromlücke. Trotz wiederholter und zahlreicher Warnungen aus der Wissenschaft ignoriert sie den wachsenden Strombedarf infolge einer zunehmenden Verstromung der Mobilität und Wärmeversorgung.

Die Politik versucht indes, die gegeneinander wirkenden Kräfte von Elektromobilität und Energiewende zu bändigen, indem künftig einfach breitflächig der Strom abgestellt oder rationiert wird, wenn es die Wetterbedingungen nicht mehr anders zulassen, wie aus einem Entwurf des Wirtschaftsministeriums hervorgeht, welcher vor einigen Wochen für viel Wirbel gesorgt hatte.

Strom-Import aus dem Ausland

Das Handelsblatt zitiert im oben angesprochenen Artikel zum Netzentwicklungsplan: „Die erheblichen Defizite, die bei deutschen ‚Dunkelflauten‘ auftreten, (…), sollen durch Importe aus dem Ausland abgedeckt werden, wofür ein massiver Ausbau der grenzüberschreitenden Stromleitungen geplant ist.“ Dieser Umstand ist interessant, denn Deutschlands wichtigster ausländischer Energielieferant ist Frankreich. Das Land importierte Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge im vergangenen Jahr Strom im Umfang von 13 Terawattstunden (13 Billionen Wattstunden) nach Deutschland. Der französische Energiemix wird jedoch von der Kernenergie dominiert, welche im Jahr 2019 mehr als 70 Prozent des bei unseren westlichen Nachbarn benötigten Stroms erzeugte.

Auf Platz 2 der wichtigsten Stromlieferanten für Deutschland lagen im selben Jahr die Niederlande, die Strom im Gesamtumfang von mehr als 8,7 Terawattstunden importierten. Der Strommix der Niederlande wird nach wie von fossilen Energieträgern und der Atomkraft dominiert, Pläne bis 2023 sehen einen eher bescheidenen Anteil für Windkraft und Solarenergie vor. So schreibt die Deutsch-Niederländische Handelskammer: „Bei der Energieversorgung setzen die Niederlande auf einen bereiten Mix aus Erdgas, Erdöl, Kohle, erneuerbaren Energien und Atomkraft – wobei Erdgas mit Abstand den wichtigsten Energieträger darstellt. Das soll sich jedoch ändern. Die Niederlande haben eine große Energiewende eingeleitet: weg vom Gas, hin zu den Erneuerbaren. Bis 2023 sollen 16 Prozent des Energiebedarfs im Nachbarland aus regenerativen Quellen gedeckt werden.“

Österreich war 2020 mit Importen von mehr als 6,1 Terawattstunden der drittwichtigste Strom-Lieferant Deutschlands. Dort stammen zwar nur rund 35 Prozent des Stroms aus fossilen Quellen und der Rest aus erneuerbaren. Weil der Anteil erneuerbarer Kapazitäten mit rund 65 Prozent aber so hoch ist, muss das Land selbst wiederum rund 30 Prozent seines Strombedarfs – insbesondere in den kalten und dunklen Wintermonaten (Stichwort Dunkelflaute) – aus meist konventionellen Quellen aus dem Ausland importieren, wie das Portal Energate Messenger berichtet.

Im Klartext bedeutet das: Österreich könnte Deutschland bei der Energiewende mit relativ „grünem“ (65 Prozent) Notfall-Stromimporten aushelfen – aber nur, wenn die klimatischen Bedingungen es zulassen! An diesem Beispiel zeigt sich ganz konkret, dass es einer relativ hohen Grundsicherung an planbaren Stromkapazitäten bedarf, welche Europa unabhängig von klimatischen Zufällen und Unwägbarkeiten zuverlässig mit Strom versorgen können – seien dies nun Atomkraftwerke, Erdgaskraftwerke oder Kohlekraftwerke.

Das im Jahr 2020 viertplazierte Tschechien (Import von mehr als 3,2 Terawattstunden nach Deutschland) steigt indes derzeit in großem Umfang die Atomkraft ein. Die Atomaufsicht hatte Anfang März den Weg für den Bau von bis zu zwei neuen Reaktorblöcken am Standort Dukovany frei gemacht. Dukovany liegt knapp 100 Kilometer nördlich von Wien und rund 200 Kilometer östlich von Passau. Derzeit sind dort vier mehr als 30 Jahre alte Reaktorblöcke mit einer Gesamtnennleistung von 2040 Megawatt in Betrieb. Der erste neue Reaktor soll nach den Plänen der Regierung in den Jahren 2035 bis 2037 ans Netz gehen. Das Akw Dukovany deckt derzeit rund ein Fünftel des tschechischen Stromverbrauchs. Die Regierung in Prag will den Anteil der Atomkraft am Strommix bis 2040 auf mehr als die Hälfte erhöhen.

Auch Polen, das traditionell auf die Kohlekraft setzt (ihr Anteil am Strommix im Jahr 2019 belief sich auf 74 Prozent), will neben erneuerbaren Quellen auch die Nuklearenergie verstärkt nutzen und befindet sich in Verhandlungen zum Bau eines neuen Atomkraftwerks.

Weitere wichtige Importeure sind traditionell Dänemark und die Schweiz. Zum dänischen Strommix schreibt das Magazin Euractiv: „Während Dänemark im vergangenen Jahr zwar 62 Prozent seines Stroms aus Wind- und Solarenergie erzeugte – doppelt so viel wie das zweitplatzierte Irland -, ist sein Markt mit 18 TWh in absoluten Zahlen relativ klein. Derweil haben sieben Länder seit 2015 kaum Wachstum bei Solar und Wind verzeichnet – Portugal, Rumänien, Österreich, Italien, Tschechien, die Slowakei und Bulgarien, so Ember.“ Auch die Schweiz ist mit Blick auf die vergangenen Jahre ein wichtiger Energielieferant für Deutschland. Tatsächlich wird der Schweizer Energiemix mit 56,4 Prozent von der umweltfreundlichen Wasserkraft dominiert, wie aus einem Dokument der Regierung hervorgeht. Aber nicht vergessen werden darf, dass auch mehr als 35 Prozent der Energie im Alpenland aus der Kernkraft stammt.

Generell gilt aber, dass Deutschland (derzeit noch) eher ein Netto-Exportland von Strom ist. So wurden im vergangenen Jahr 48 Terawattstunden importiert und etwa 67 Terawattstunden exportiert.

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