Politik

EU bereitet erstmals seit Jahrzehnten Sanktionen gegen China vor

Lesezeit: 4 min
19.03.2021 12:54
Die EU und China stehen kurz vor einer historischen Vertiefung ihrer Wirtschaftsbeziehungen. Ob das Abkommen in Kraft treten wird, ist jedoch fraglich. Denn plötzlich haben „NGOs“, Medien und Politiker das Thema „Menschenrechte“ als politisches Werkzeug wiederentdeckt.
EU bereitet erstmals seit Jahrzehnten Sanktionen gegen China vor
Im Anschluss an das virtuelle Gipfeltreffen mit Chinas Präsident Xi gibt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU - M) im Kanzleramt eine Video-Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (l). (Foto: dpa)
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Die geplanten Sanktionen der EU gegen China haben eine weitere Hürde genommen. Die EU-Botschafter der 27 Mitgliedsstaaten bestätigten am Mittwoch in Brüssel ein entsprechendes Sanktionspaket, das Kontosperren und Einreiseverbote für vier Personen und eine Organisation aus China vorsieht, wie mehrere EU-Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten. Es soll am Montag von den EU-Außenministern angenommen werden. Es wären die ersten Sanktionen der EU gegen China seit der Niederschlagung der Unruhen am Platz des Himmlischen Friedens 1989 in Peking.

Organisationen aus dem Westen wie beispielsweise das im US-Bundesstaat Virginia ansässige Population Research Institute werfen der chinesischen Regierung vor, hunderttausende Uiguren in der nordwestlichen Provinz Xinjiang in „Umerziehungslagern“ zu inhaftieren. Peking zufolge handelt es sich dabei um Einrichtungen, in denen Schulungsprogramme gegen Radikalisierungstendenzen unter den muslimischen Uiguren durchgeführt werden.

Das Sanktionspaket zielt neben China auch auf andere Länder in mehreren Weltgegenden, denen die EU-Staaten Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Dies sind europäischen Diplomaten zufolge Libyen, Nordkorea, Eritrea, Südsudan und Russland. Bereits in der vergangenen Woche hatte sich das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der EU-Staaten nach längeren Verhandlungen auf das Paket verständigt.

Wütende Attacken gegen wirtschaftliche Vertiefung

Bemerkenswert ist, dass die „Menschenrechtskampagne“ in der EU kurz vor der Ratifizierung eines bahnbrechenden Investitionsabkommens zwischen China und der EU an Fahrt gewinnt.

Kurz vor dem Jahreswechsel hatte die EU mit China eine grundsätzliche Vereinbarung darüber erzielt. An dem Abkommen arbeiten beide Seiten seit sieben Jahren. Es soll das Verhältnis der EU zur Wirtschaftsmacht China grundsätzlich neu aufstellen. Europäische Unternehmen sollen einfacher und zu fairen Bedingungen (kein forcierter Technologietransfer durch chinesische Joint-Ventures etc.) in China investieren können und so besseren Zugang zu dem riesigen und weiter solide wachsenden Markt bekommen. China verpflichtet sich im Gegenzug zu Umwelt- und Sozialstandards in seinen Lieferketten. Bei diesem Investitionsabkommen handelt sich aber nicht um ein Freihandelsabkommen, das noch weit umfassender wäre.

Die im Anhang festgeschriebenen vertraglichen Details des Rahmenabkommens will die EU in den nächsten Tagen veröffentlichen, bevor der Ratifizierungsprozess beginnen wird. Ob das Projekt – welches nach Aussage der EU-Kommission „europäischen Unternehmen einen massiven Schub“ geben und diese auf „Augenhöhe mit den Konkurrenten aus den USA hieven“ soll – realisiert wird, ist jedoch mehr als ungewiss.

Denn seit Wochen organisieren Organisationen und Politiker den Widerstand gegen die Annäherung und haben es inzwischen geschafft, große Teile der medialen Berichterstattung zu diesem Wirtschaftsprojekt mit Schlagworten wie „Menschenrechte“, „Uiguren“ oder „Hongkong“ inhaltlich zu überlagern.

Es ist mal wieder Zeit für die Menschenrechte

So hatte das Europaparlament das Abkommen Ende Januar kritisiert. Die Abgeordneten monierten einen „überstürzten Abschluss“, ohne dass gleichzeitig konkrete Maßnahmen gegen die „anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen“ ergriffen worden seien, deren China pauschal beschuldigt wird. Die Staatengemeinschaft laufe so Gefahr, ihre „Glaubwürdigkeit als globaler Akteur im Bereich der Menschenrechte“ auszuhöhlen, hieß es in einer angenommenen Entschließung des Parlaments. Die EU-Abgeordneten forderten darüber hinaus gezielte Sanktionen wie etwa gegen Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam und gegen Funktionäre aus China und Hongkong. EU-Kommissionsvize Helena Dalli sagte im Plenum des Parlaments, Hongkong bleibe „weit oben auf der politischen Agenda.“ Auch aus Hongkong selbst wird Druck aufgebaut. So schrieben „Demokratie-Aktivisten“ Mitte März einen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in dem sie diese aufforderten, das Abkommen nicht zu ratifizieren.

Nun ist die Vermischung und Überlagerung von wirtschaftlichen oder politischen Sachverhalten mit der Unterstützung grundlegender Menschenrechte weder neu noch ungerechtfertigt. Im Gegenteil, tatsächlich ist es wünschenswert, wenn über die rein wirtschaftliche Rendite hinaus auch die materielle Lebenssituation, die persönliche Freiheit und Unversehrtheit und die freie Meinungsäußerung derjenigen berücksichtigt wird, die von einem Unterfangen betroffen sind. Streitfragen wie die angeblichen Internierungen in Xinjiang und oder eine insbesondere von angelsächsischen Organisationen und Staaten behauptete „Unterdrückung“ der nach Freiheit strebenden Hongkonger durch China sollen durchaus diskutiert werden.

Ganz offensichtlich jedoch ist, dass diese Themen – zu der auch die Taiwan-Frage gehört – im gegenwärtigen Diskurs in Europa nicht angesprochen werden, um sie ernsthaft und lösungsorientiert mit allen Beteiligten zu diskutieren und sich politisch über einen Lösungskompromiss vielleicht sogar anzunähern, sondern um sie als Werkzeuge im Machtkampf der Supermacht USA gegen die aufstrebende Weltmacht China einzusetzen.

Ein kurzer Blick in die jüngere Vergangenheit genügt, um zu erkennen, dass an anderer Stelle eben genau diese „Menschenrechte“ überhaupt keine Rolle spielen, wenn es darum geht, dass Staaten oder Unternehmen aus Nordamerika oder Europa reibungslos Geschäfte machen oder ihren geopolitischen Einfluss weltweit ausbauen. Als einziger Hinweis soll hier der nachweislich auf Lügen beruhende Irak-Krieg mit hunderttausenden Toten und einem anschließenden Zerfall des Landes genannt werden – dutzende weitere Eskapaden ließen sich problemlos aufzählen.

Unternehmen verwundert die Emotionalität der Debatte

Die Instrumentalisierung der Menschenrechtsdebatte im Verhältnis zu China führt zu einem konfrontativen Ansatz, der in der Wirtschaft mit Verwunderung aufgenommen wird. So erklärte der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA) vor einiger Zeit in einer Medienmitteilung:

„Über die gegenwärtige Kritik an dem Abkommen, über dessen Eckpunkte am 31. Dezember 2020 zwischen der EU und China nach über sieben Jahren der Verhandlungen eine Verständigung im Grundsatz erzielt wurde, sind wir sehr verwundert. Der aktuelle Stand dieses Abkommens bildet einen historischen Meilenstein in den chinesisch-europäischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Der verbesserte Zugang zum chinesischen Markt, die Verankerung fairer Wettbewerbsbedingungen sowie der Ausbau der Rechtssicherheit für Investoren sind besonders hervorzuheben. Auch wurden neue und effiziente Mechanismen zur Streitbeilegung geschaffen, die für Geschäftsaktivitäten in China zusätzliche Sicherheiten bereitstellen. Dieses Abkommen ist das ambitionierteste seiner Art, welches China bisher mit einem Drittstaat bzw. einem Staatenverbund bereit war, zu verhandeln.

Diese Erfolge dürfen wir jetzt nicht kleinteilig zerreden, sondern sollten die Chancen nutzen, den konstruktiven Dialog mit China als Partner der europäischen und deutschen Wirtschaft zu intensivieren. Die Tonalität und uns höchst unverständliche Ambitionslosigkeit, mit der die aktuelle Debatte über das CAI geführt wird, geben aus unserer Sicht Anlass zur Sorge und gefährden die Zukunft Europas und des Wirtschaftsstandorts Deutschland in einer globalen Krisenzeit. Der BWA wendet sich aus diesem Anlass fraktionsübergreifend an alle deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments: Übernehmen Sie Verantwortung für die Zukunft der europäisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, die Sicherung von Beschäftigung und Wohlstand, und engagieren Sie sich für eine Ratifizierung dieses Abkommens!“

Die nun von der EU angestrebten Sanktionen gegen China sind deshalb sehr begrenzt und eher symbolischer Natur. Sie dürften dazu geschaffen sein, Ruhe an der „Menschenrechtsfront“ herzustellen, um das Abkommen zu ratifizieren, von dem beide Seiten wirtschaftlich in großem Umfang profitieren werden.


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