Finanzen

Türkei: Entlassung des Notenbank-Chefs löst Verwerfungen in den Finanzmärkten aus

Zum dritten Mal innerhalb weniger Jahre hat der türkische Präsident den Chef der Notenbank entlassen. Die Landeswährung Lira stürzt ab, im Finanzsystem herrscht Panik.
22.03.2021 09:19
Aktualisiert: 22.03.2021 09:19
Lesezeit: 3 min

In der Türkei haben die Finanzmärkte mit drastischen Kurseinbrüchen auf die überraschende Entlassung des Notenbankchefs des Landes reagiert. Am Montag gerieten die türkische Währung, die Börse in Istanbul und Staatsanleihen des Schwellenlandes massiv unter Druck. Zeitweise verlor die türkische Lira mehr als 15 Prozent an Wert.

Am Vormittag machte die Lira allerdings einen Teil der frühen Verluste wieder wett. Zuletzt wurden am Devisenmarkt für einen US-Dollar 7,93 Lira gezahlt. In der vergangenen Nacht war die türkische Währung stärker abgerutscht, für einen Dollar wurden bis zu 8,47 Lira gezahlt. Die türkische Währung schrammte damit nur knapp an ihrem Rekordtief vorbei, dass im vergangenen November bei 8,57 Lira für einen Dollar erreicht worden war. Auch zum Euro stand die Lira stark unter Druck und wurde zuletzt für 9,44 Lira je Euro gehandelt.

Eine ähnlich verheerende Wirkung zeigte der überraschende Wechsel an der Führungsspitze der türkischen Notenbank auch bei der Kursentwicklung von Staatsanleihen. Die in der heimischen Währung begebenen Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren erlitten einen heftigen Kurseinbruch, während die Rendite im Gegenzug um mehr als drei Prozentpunkte anstieg und ein Rekordhoch über der Marke von 17 Prozent erreichte.

Der Wechsel an der Spitze der Notenbank sorgte auch für einen Ausverkauf am türkischen Aktienmarkt. Der türkische Aktienindex BIST National 100 fiel im Vormittagshandel um 9,66 Prozent auf 1381,22 Punkte.

Der Absturz der Lira macht auch der spanischen Bank BBVA zu schaffen. Die Aktien des Geldhauses geben rund sechs Prozent nach. BBVA hält Refinitiv-Daten zufolge knapp unter 50 Prozent an der türkischen Garanti Bank. Auf der Verkaufsliste stehen auch weitere Kreditgeber in Europa. Die Institute Unicredit, ING, HSBC und BNP notieren bis zu 1,5 Prozent schwächer.

Als Folge der wachsenden Misstrauens unter den Banken des Landes stieg der Zinssatz für einwöchige Ausleihungen unter den Finanzinstituten des Landes sprunghaft an:

Vertrauen in die Unabhängigkeit der Geldpolitik verloren

Die Abwertung der Lira besorgt die deutsche Wirtschaft. "Die Schwankungen der türkischen Lira sind für die Unternehmen im Exportgeschäft eine große Herausforderung", sagte der Leiter der Außenwirtschaft beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Ulrich Ackermann, am Montag. Zwar hätten die Kunden des Maschinenbaus gelernt, damit umzugehen. "Auch hier gilt jedoch, dass ein Wechselkurs, der sich in ruhigen Bahnen bewegt, für Investitionen und Exporte hilfreich wäre", sagte Ackermann. Die deutsche Wirtschaft verkaufte 2020 Waren im Wert von mehr als 21 Milliarden Euro in die Türkei, die damit Platz 16 in der Rangliste der wichtigsten Kunden einnimmt. Angesichts dieser Bedeutung hat auch die Chemieindustrie ein großes Interesse an einer wirtschaftlich stabilen Türkei. "Politisch motivierte Eingriffe in die Geldpolitik und die dadurch ausgelösten Wechselkursschwankungen bereiten den Unternehmen zunehmend Sorgen", hieß es beim Verband der Chemischen Industrie (VCI).

"Das Vertrauen in die türkische Geldpolitik und deren Unabhängigkeit nahm mit dem Beschluss des Staatsoberhauptes bitterlichen Schaden", kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, den Schritt. Da das Land unter einem großen Berg von Fremdwährungskrediten leide, werde die Währungsschwäche zu einem akuten Problem. Durch den Lira-Absturz wird es teurer, die Darlehen zu bedienen.

"Das in weiten Teilen auf Konsum, finanziert durch Kapitalimport, ausgelegte Wachstumsmodell funktioniert bereits seit 2014 nicht mehr", sagte auch BayernLB-Ökonom Manuel Schimm. Anstelle wirtschaftspolitischer Reformen - von der Stärkung der Industrie bis hin zu Investitionen in Bildung sowie Forschung und Entwicklung - habe sich die politische Führung dafür entschieden, das ausgediente Wachstumsmodell durch geld- und kreditpolitische Lockerung und viel zu hoher Inflation bis zum Ende auszureizen. "In Kombination mit steigender gesellschaftspolitischer Repression, Verwicklung in kriegerische Auseinandersetzungen und Streitigkeiten mit dem größten Handelspartner (EU) und den USA hat das Vertrauen von externen Geldgebern und Investoren stark und nachhaltig gelitten", betonte Schimm.

Dritte Entlassung seit 2019

In der Nacht zu Samstag hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Zentralbankchef Naci Agbal nach nur wenigen Monaten im Amt entlassen. Die Entscheidung erfolgte kurz nachdem die türkische Notenbank den Leitzins im Kampf gegen die hohe Inflation überraschend deutlich um 2,0 Prozentpunkte auf 19 Prozent angehoben hatte. Neuer Notenbankchef wird der staatliche Nachrichtenagentur Anadolu zufolge Sahap Kavcioglu, ehemaliger Abgeordneter von Erdogans Regierungspartei AKP. Zuvor hatte sich Erdogan immer wieder für niedrigere Zinsen stark gemacht.

Nach Einschätzung des Experten Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank hat der erneute Wechsel an der Spitze der türkischen Notenbank eines deutlich gemacht: "In der Türkei ist keine Geldpolitik möglich, die halbwegs stabilitätsorientiert ist." Viele Anleger hätten im November gehofft, dass mit dem Wechsel von Führungspersonal in Zentralbank und Regierung alles besser werde. "Diese Hoffnung ist am Wochenende zerstoben", sagte Leuchtmann.

Mit der jüngsten Zuspitzung an den Finanzmärkten hat sich die Lage für die Türkei insgesamt verschärft. "Kehrt kein nachhaltiges Vertrauen in die türkische Geldpolitik zurück, bleibt das Risiko eines Zahlungsausfalls bestehen", mahnte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank.

Am Markt wurde die Wahrscheinlichkeit einer türkischen Staatspleite nach dem Wochenende deutlich höher eingeschätzt. Die Versicherungen für türkische Kreditausfälle verteuerten sich am Vormittag stark.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...

DWN
Finanzen
Finanzen USA dominieren die Börsen
03.07.2025

Die Börsenwelt bleibt fest in US-Hand, angeführt von Tech-Giganten wie Nvidia und Apple. Deutsche Unternehmen spielen nur eine...