Politik

Geopolitik: Russland und Taliban gehen in Afghanistan Bündnis gegen den IS ein

Lesezeit: 5 min
25.03.2021 16:57  Aktualisiert: 25.03.2021 16:57
Die Taliban entwickeln sich zu einem Verbündeten Russlands in Afghanistan. Diesem Ansatz Moskaus liegen realpolitische Gründe zugrunde. Es geht um die Bekämpfung des IS in Afghanistan, um den Schutz Zentralasiens und um den internationalen Opiumhandel. Es geht um alles oder nichts.
Geopolitik: Russland und Taliban gehen in Afghanistan Bündnis gegen den IS ein
Die Taliban sind aus den „Mujaheddin“ entstanden. (Foto: dpa)

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Die Taliban haben sich in Afghanistan als die führende Kraft etabliert. Sie werden mittlerweile von Russland favorisiert. Moskau tut dies nicht aus ideologischen, sondern aus realpolitischen Gründen. Moskaus Verbindungen zu den Taliban reichen einige Zeit zurück. Der erste persönliche Kontakt der Russen mit den Taliban wurde 1995 hergestellt, als ein russischer Hubschrauber, der Waffen transportierte, von den Taliban gezwungen wurde, in Kandahar zu landen, und sieben russische Bürger festgenommen wurden, berichtet „France 24“. Es war kein anderer als Zamir Kabulov, der nach Kandahar reiste und den zurückgezogenen Führer der Taliban, Mullah Mohammed Omar, traf. Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, flohen die sieben verhafteten russischen Piloten mit dem Hubschrauber in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und nahmen auch drei Taliban mit. Kabulov ist der aktuelle russische Sonderbeauftrage für Afghanistan, so der geopolitische Analyst Hashim Wahdatyar in einem Beitrag des Magazins „The Diplomat“.

Nach einem Bericht der „Sunday Times“ fand im September 2015 ein neueres Treffen zwischen dem ehemaligen Führer der Taliban und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Zweck der Zusammenarbeit statt. Putin traf Mullah Akhtar Mansour bei einem Geheim-Treffen auf einer Militärbasis in Tadschikistan, so die Zeitung „The Times“. Das Treffen wurde Berichten zufolge durchgeführt, um die gegenseitige Zusammenarbeit im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zu erörtern. Die Taliban bestritten, dass ein solches Treffen stattgefunden habe. Nachdem Mansour durch einen US-Drohnenangriff in der pakistanischen Provinz Belutschistan getötet worden war, setzten die Russen ihre Kontakte zu den Taliban unter Mullah Haibatullah Akhundzada, dem derzeitigen Führer der Taliban, fort.

Russland hat aus vier strategischen Gründen die Nähe zu den Taliban gesucht:

Erstens erinnert Russland den Westen durch die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu den Taliban daran, die Interessen Moskaus bei Diskussionen über die Afghanistan-Agenda auf regionalen und internationalen Plattformen nicht zu ignorieren. Im Januar 2016 wurde unter Beteiligung der USA, Chinas, Pakistans und Afghanistans eine vierseitige Koordinierungsgruppe (QCG) gebildet, um den Friedensprozess voranzutreiben. Die vier Staaten führten Treffen zu Gesprächen mit den Taliban durch. Russland fühlte sich ausgegrenzt und dachte, die Bemühungen der QCG seien letztendlich gescheitert.

Moskau organisierte ein trilaterales Treffen über Afghanistan, an dem Russland, China und Pakistan teilnahmen, das später vom Iran unterstützt wurde. Damit machte Moskau den Westen darauf aufmerksam, dass Russland in Afghanistan eine Rolle spielen kann, unter anderem durch die Bildung einer weiteren regionalen Koalition. Der russische Außenminister Sergej Lawrow kündigte bei seinem Besuch in Kabul im Februar 2021 ein internationales Treffen zu einem Friedensprozess an, an dem Russland, Afghanistan, Pakistan, China, Iran und Indien im Februar dieses Jahres in Moskau teilnahmen. Weder die USA noch ein NATO-Mitgliedstaat wurden eingeladen.

Zweitens wollen die russischen Politiker durch die Unterstützung der Taliban die Hindernisse für die Interessen der USA und der NATO in der Region ausbauen. Moskau beabsichtigt auch, seinen Einfluss über Zentralasien hinaus auszudehnen – und zwar auch auf Afghanistan und Pakistan.

Um die Verbindungen zu den Taliban zu stärken, nähert sich Moskau auch Pakistan an. Im September 2016 führten 70 Russen und 130 pakistanische Spezialeinheiten ihre erste gemeinsame Militärübung im Norden Pakistans durch. Pakistan unterstützt die Taliban seit ihrer Gründung und holt nun offenbar auch die Russen mit ins Boot. Pakistan wurde bisher für seine Unterstützung der Taliban, die ebenfalls rein geopolitische Hintergründe hat, international kritisiert. Doch mit Russland als Verbündeter in Afghanistan dürfte es schwerer werden, Pakistan in die Schranken zu weisen.

Drittens fühlt sich Russland vom IS in Afghanistan und im Nahen Osten bedroht. 2014 expandierte der IS nach Afghanistan, was nach Ansicht des Kremls dazu führen könnte, dass der IS insbesondere über den Norden Afghanistans nach Zentralasien und Russland durchsickert. Die Taliban und der IS kämpfen seit dem Einmarsch des IS in Afghanistan gegeneinander, daher ist Moskau gezwungen, mit den Taliban zu kooperieren. Sollte es dem IS gelingen, sich in Afghanistan zu etablieren, könnte die Terror-Miliz vor allem über Tadschikistan nach Zentralasien einsickern, um die Russische Föderation zu destabilisieren. Die Taliban verfolgen hingegen keine expansionistischen Ziele in Richtung Zentralasien, zumal sie über keinerlei Stammesverbindungen in diese Regionen verfügen.

Im vergangenen Dezember hatte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, öffentlich gemacht, dass Moskau im Kampf gegen den IS mit den Taliban Informationen austauscht, so „CNN“. Die regionale Zusammenarbeit Russlands mit dem Iran und der Türkei in Bezug auf Syrien, die einige Erfolge gebracht hat, lässt darauf schließen, dass Russland einen ähnlichen Ansatz in Afghanistan verfolgen könnte, indem es Iran, China und Pakistan zusammenbringt.

Viertens ist afghanisches Opium ein weiteres Problem für Moskau. Afghanistan liefert 90 Prozent der illegalen Opiate der Welt, die hauptsächlich in Gebieten produziert werden, die von den Taliban kontrolliert werden. Die Opiatproduzenten zielen auf Russland als einen der größten Märkte der Welt ab. Jedes Jahr sterben in Russland 70.000 Menschen an illegalem Drogenkonsum. Die politischen Entscheidungsträger in Moskau glauben daher, dass die Taliban im Kampf gegen Betäubungsmittel ein besserer Partner sein können als die afghanische Regierung der nationalen Einheit.

Afghanisches Opium ist seit mehr als einem Jahrzehnt nicht nur für Russland, sondern für die gesamte Region und Europa ein Thema. Daher kann Russland seine Beziehungen zu den Taliban eigentlich nicht allein mit der Beseitigung von Opium rechtfertigen. Es ist klar, dass die Taliban nicht aufhören werden, die Opiumproduktion anzukurbeln, da Opium den größten Teil des Einkommens der Gruppe generiert. Die Taliban verdienen jährlich etwa 400 Millionen US-Dollar mit der Opiumproduktion, so das „Council on Foreign Relations“. Russische Treffen mit den Taliban seit 2007 haben nicht im geringsten zur Opiumreduzierung beigetragen. Nur ein stabiles Afghanistan und eine mächtige afghanische Regierung können die Herausforderung der Betäubungsmittel in Afghanistan bewältigen, nicht die Taliban.

Eine Schlüsselrolle bei der Formung der Allianz mit den Taliban spielt Kabulov. Am 17. Februar 2021 sagte Kabulov in einem Exklusiv-Interview mit der staatlichen russischen Nachrichtenagentur „Sputnik“: „Wir betrachten die heutigen Taliban als eine militärpolitische Bewegung in Afghanistan, die ein wesentlicher Bestandteil der afghanischen Gesellschaft ist. Ich werde nicht auf die Frage eingehen, wie akzeptabel oder inakzeptabel ihre Ideologie für uns ist, obwohl dies ein sehr wichtiges Thema ist. Wir betrachten die Taliban als eine nationale Bewegung mit eigenen politischen und ideologischen Zielen. Wie jede nationale Bewegung hat sie das Recht zu existieren, zumal die Taliban ihre Lebensfähigkeit und Rolle in den 20 Jahren Krieg in Afghanistan, auch gegen ausländische Truppen, unter Beweis gestellt haben. Eine andere Sache ist, dass sie sich als die wichtigste und fast einzige Kraft positionieren (…) Wir glauben, dass es in Afghanistan eine gewisse soziale Unterstützung gibt, natürlich nicht im ganzen Land (...) Wir befürworten, dass sich die Afghanen selbst, zu denen auch die Taliban gehören, untereinander auf die künftige Staatsstruktur einigen sollten. Wie das zukünftige Afghanistan nach Erreichen politischer Kompromisse zwischen mindestens zwei seiner Teile aussehen wird, ist eine rein afghanische Frage. Wenn durch die in Afghanistan und in der internationalen Gemeinschaft anerkannten Mechanismen eine solche staatliche Struktur von den Afghanen selbst vereinbart wird, dann ist dies bitte ihre interne Angelegenheit. Daher betrachten wir die Taliban als eine echte militärpolitische Kraft, die ihre Ziele jetzt hauptsächlich mit Gewalt erreicht, aber wir befürworten, dass diese Bewegung eine rein politische Einigung erzielt.“

Die Worte des russischen Sonderbeauftragten für Afghanistan unterstreichen somit, dass die Taliban eine Realität in Afghanistan darstellen, was jedes Land zwangsweise anerkennen müsse. Tatsächlich wurden die Taliban als Organisation im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan gegründet, das vor allem von Paschtunen bewohnt wird. Sie rekrutieren ihre Kämpfer hauptsächlich aus dem Paschtunen-Stamm der Ghilzai.

Die Taliban sind weitgehend die Nachfolger der sogenannten „Mujaheddin“, die die Sowjets aus Afghanistan vertrieben hatten. Ihren ersten Rekrutenzustrom erfuhren die „Mujaheddin“ in den 1980er Jahren aus den bettelarmen Flüchtlingslagern zwischen Afghanistan und Pakistan.


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