Politik

Die Syrien-Hilfe im Strudel der Geopolitik

Lesezeit: 3 min
01.04.2021 17:27  Aktualisiert: 01.04.2021 17:27
Die USA und Großbritannien kürzen ihre Hilfen für Syrien zusammen. Die Bundesregierung und die EU stocken deutlich auf. Das Resultat der jüngsten Spendenaktion ist mager, gehemmt wird sie von geopolitischen Interessenkonflikten.
Die Syrien-Hilfe im Strudel der Geopolitik
Der 7-jährige Abdel Karim Hassan (r) hält eine nicht explodierte Mörsergranate und sitzt neben dem 9-jährigen Malik Junaid auf einem ausgeschlachteten Auto auf einer von Familie Junaid betriebenen Deponie für Munitions- und Artilleriereste. (Foto: dpa)
Foto: Anas Alkharboutli

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Die Hilfsorganisation Oxfam hält das Ergebnis der jüngsten internationalen Geberkonferenz für die Leidtragenden des Syrien-Konflikts für unzureichend. Der zugesagte Betrag bestätige die Befürchtung, dass die Appelle der vom Stellvertreterkrieg betroffenen Menschen nicht gehört würden, kommentierte der für Syrien zuständige Oxfam-Direktor Moutaz Adham.

Zwar möge die Gewalt in dem Land zum Teil zurückgegangen sein, Millionen Syrer kämpften in ihrer Heimat und der Region aber noch immer um ihr Überleben und seien mit den Folgen der Corona-Pandemie, zunehmender Arbeitslosigkeit und einem Zusammenbruch der Wirtschaft konfrontiert. Oxfam und zahlreiche weitere Organisationen kritisierten die Ergebnisse am Mittwoch auch in einem Schreiben.

Deutschland stockt Hilfen auf, USA und Großbritannien kürzen

Bei der von der EU und den Vereinten Nationen organisierten Online-Geberkonferenz hatten die Teilnehmer am Dienstag 5,3 Milliarden Euro zugesagt, um die katastrophalen Folgen des Syrien-Konflikts abzumildern. Dies waren rund 1,6 Milliarden Euro weniger als bei der Konferenz 2020, obwohl zum Beispiel allein Deutschland 1,734 Milliarden Euro versprach und damit die höchste Summe seit vier Jahren. Die EU steuert in den kommenden beiden Jahren über 1,2 Milliarden Euro bei.

Man begrüße Zusagen der Länder, die ähnlich viel oder mehr Mittel zugesagt hätten, heißt es in einem Schreiben von elf Organisationen wie Aktion gegen den Hunger, Save the Children und CARE Deutschland, das mehr als 35 nationale und internationale Organisationen unterschrieben haben.

„Es ist aber außerordentlich enttäuschend, dass zwei große Geber, Großbritannien und die USA, der Not der Menschen in Syrien den Rücken kehren. Dies wird verheerende Auswirkungen auf ihr Leben haben“, warnten die Helfer. Großbritannien hatte seinen ohnehin knappen Beitrag noch einmal um ein Drittel auf umgerechnet 234 Millionen Euro heruntergekürzt, berichtet die Deutsche Welle. Die US-Regierung kürzte ihren Betrag gegenüber dem vergangenen Jahr um rund 100 Millionen Dollar, berichtet das Portal Devex.

Die humanitäre Lage im Land habe sich massiv verschlechtert, mahnte auch die Welthungerhilfe angesichts des „enttäuschenden“ Ergebnisses. „Die Aussichten für 2021 sind düster“, sagte Syrien-Koordinator Konstantin Witschel. Benötigt würden umgerechnet rund 8,5 Milliarden Euro für das Jahr 2021.

Insbesondere die von den US-Regierungen seit Trump und den anderen westlichen Ländern verfolgte Sanktionspolitik gegen das unter der Kontrolle der Regierung in Damaskus stehe Syrien ist einer der Hauptgründe für das wirtschaftliche Elend im Land wie die Deutschen Wirtschaftsnachrichten vergangenes Jahr berichteten. Verschärft wird die Lage von der Corona-Pandemie und den Folgen des Krieges.

Mit dem bei der Online-Konferenz gesammelten Geld sollen unter anderem Nahrungsmittel, medizinische Hilfen und Schulbildung für Kinder finanziert werden. Es wird über Hilfsorganisationen direkt nach Syrien fließen oder Ländern in der Region zugute kommen, die viele Flüchtlinge aus dem Stellvertreterkriegsland aufgenommen haben. Allein die Türkei beherbergt nach eigenen Angaben rund 3,7 Millionen Menschen aus dem Nachbarstaat.

In Syrien selbst litten nach UN-Angaben zuletzt 12,4 Millionen Menschen und damit fast 60 Prozent der Bevölkerung unter Hunger. Der Konflikt in dem Land dauert mittlerweile seit dem Jahr 2011 an. Zwar ist die Gewalt zuletzt zurückgegangen, doch bei den Bemühungen um eine politische Lösung gibt es derzeit keine nennenswerten Fortschritte.

Westen fordert Abgang Assads

Erschwert wird die Spendenaktion von geopolitischen Interessen. So ist für die westlichen Staaten eine Unterstützung Syriens unter Präsident Assad ausgeschlossen. Das ZDF berichtet zur Position von Bundesaußenminister Heiko Maas: „Maas rief die Führung in Damaskus zugleich zu ernsthaften Bemühungen zur Befriedung des Landes auf. ‚Scheinwahlen in einem zerstörten Land sind kein Ersatz für einen echten politischen Prozess.‘ Eine Unterstützung beim Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur in Syrien bleibe bis auf Weiteres ausgeschlossen, so der SPD-Politiker. ‚Ohne einen substanziellen politischen Prozess wird es keinen Wiederaufbau geben.“

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister, wird von der Deutschen Welle mit den Worten zitiert, man müsse sicherstellen, dass keine Hilfsgelder für den Wiederaufbau abgezweigt würden. Assad habe keinen Platz am Tisch, „an diesem Prinzip führt kein Weg vorbei“.

Die Linken-Europaabgeordnete Özlem Demirel forderte im Gespräch mit der Deutschen Welle hingegen, dass die Sanktionen gegen die syrische Regierung aufgehoben werden sollten. Auch einige Hilfsorganisationen sollen sich dieser Forderung – die auch Russland vertritt – inzwischen angeschlossen haben.

Damaskus verdient trotzdem an den Hilfen

Die FAZ berichtet, dass die syrische Regierung indirekt von den Hilfszahlungen profitiert – etwa zählt der „Syria Trust for Development“ von Assads Frau Asma zu den Partnerorganisationen, die ausländischen Helfern bei der Arbeit im von der Regierung kontrollierten Gebiet zugewiesen werden.

Nun stehen Verhandlungen über grenzüberschreitende Hilfslieferungen in Regionen Syriens an, die nicht von der Regierung in Damaskus sondern von ausländischen Söldnertruppen kontrolliert werden. Hier hält Russland im UN-Sicherheitsrat seine schützende Hand über Assad: Denn die Zahl der Übergänge, die vom Ausland in von Söldner kontrollierte Gebiete Hilfslieferungen zulassen, ging von vier auf derzeit nur einen zurück. Im Juli läuft die Genehmigung für den letzten Übergang aus.


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