Politik

Harte Corona-Maßnahmen: Bundesregierung zieht Zuständigkeit an sich, Infektionsschutzgesetz wird geändert

Die Bundesregierung zieht die Regelung harter Corona-Maßnahmen an sich und will dafür das Infektionsschutzgesetz ändern.
09.04.2021 14:49
Aktualisiert: 09.04.2021 14:49
Lesezeit: 3 min
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Die Bundesregierung zieht die Regelung harter Corona-Maßnahmen an sich und will dafür das Infektionsschutzgesetz ändern. Eine Regierungssprecherin bestätigte am Freitag einen Reuters-Bericht, dass der Bund künftig Vorgaben für alle Landkreise machen will, bei denen die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz über 100 steigt. Vorgesehen sind etwa nächtliche Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Zuvor hatten sich die 16 Bundesländer nicht über den weiteren Corona-Kurs einigen können. Sowohl Gesundheitsminister Jens Spahn als auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnten vor einer Überlastung des Gesundheitssystems, weil die Zahl der Intensivpatienten in den kommende Wochen steigen werde. "Wenn wir nicht in einen Lockdown gehen, wenn wir die Mobilität nicht stärker einschränken, dann werden die Zahlen steigen, dann werden viele Menschen ihr Leben verlieren", warnte Wieler.

Am Dienstag soll das Kabinett bereits über einen Entwurf des Infektionsschutzgesetzes entscheiden. Die Regierungsfraktionen und die Länder hätten diesem Weg zugestimmt, sagte die Regierungssprecherin. Alle Fraktionen im Bundestag sollten einbezogen werden. Geklärt werden muss nun unter anderem, ob die Umsetzung einer Notbremse ab Inzidenzwerten von 100 in Landkreisen oder einem Bundesland getroffen werden soll - und was alles unter die Notbremse fallen soll, die bisher auch die Rücknahme von Öffnungsschritten vorsieht. "Abstandsgebote, Maskenpflicht, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sollten bundeseinheitlich geregelt werden", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet. Dies würde aber etwa Regeln für Schulen und Einzelhandel in Länderhand lassen.

Vizekanzler Olaf Scholz sagte, dass eine bundesweite Regelung "richtig und vernünftig" sei. Schulen müssten ab einer Inzidenz von 200 in den Wechselunterricht gehen. Eine bundeseinheitliche Regelung etwa von Ausgangsbeschränkungen sei auch nötig, damit die Regelungen vor Gericht besser Bestand hätten, betonte der Finanzminister.

Kanzlerin Angela Merkel hatte schon vor knapp zwei Wochen einen härteren Kurs von den Ländern gefordert und notfalls mit einer bundeseinheitlichen Regelung gedroht. Neben Merkel hatten auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen kurzen harten Lockdown gefordert. Dieser wird aber von SPD- und einigen CDU-geführten Bundesländern abgelehnt. Beide Seiten hatten dennoch gefordert, dass eine Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) klare Beschlüsse bringen müsse. Während die SPD-Seite dafür eine Vorlage des Kanzleramts einforderte, wurde in der Regierung und einigen Unionsländern auf die Verantwortung von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) als MPK-Vorsitzendem und dessen MPK-Vize Söder verwiesen, die die Länder koordinieren und einen Vorschlag unterbreiten sollten. Zudem hatten die Regierungsfraktionen eine stärkere Mitsprache gefordert. Am Ende wurde das für Montag geplante Treffen am Freitag abgesagt.

Merkel hatte sich vor allem unzufrieden mit der Umsetzung der vereinbarten "Notbremse" für Landkreise mit einer Inzidenz über 100 gezeigt. Nachdem sie dabei vor zwei Wochen Berlin und Nordrhein-Westfalen erwähnt hatte, ließ sie am Freitag auch die bayerische Regelung für den Einzelhandel kritisieren. "Die jetzt gefundene Lösung (für eine bundeseinheitliches Gesetz) war nötig, weil die Notbremse sehr unterschiedlich ausgelegt worden ist. Dazu gehört natürlich auch das bayerische Modell", sagte die Regierungssprecherin. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte bekanntgegeben, dass Geschäfte bei einer Inzidenz von 100 bis 200 nicht schließen müssen, sondern dass das "Click & Meet"-Verfahren mit einer Testpflicht verbunden wird.

"Es braucht einen Lockdown", sagte Gesundheitsminister Spahn und kritisierte, dass einige Ministerpräsidenten offenbar den Ernst der Lage nicht begriffen hätten. "Mich erinnert dies an Oktober vergangenen Jahres", sagte er. Auch damals zu Beginn der zweiten Corona-Welle hatte die Kanzlerin für einen härteren Kurs der Länder geworben, der dann aber erst im November kam. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte noch am Donnerstag betont, er sei gegen einen bundesweiten Lockdown, weil sich die Lage in Niedersachsen entspanne. "Es kann nicht sein, dass man sich durch niedrige Zahlen über einige Tage irritieren lässt", kritisierte dagegen RKI-Präsident Wieler. Es zeige sich in allen Ländern, dass ein kurzer, harter Lockdown die besten Erfolge zur Reduzierung der Infektionszahlen bringe. Einzig verlässliche Zahl seien derzeit die täglich steigenden Zahl der Corona-Intensivpatienten. Laut Divi-Intensivregister kletterte sie am Freitag weiter auf 4501 Patienten.

Das RKI meldete am Freitag 25.464 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Das waren 3576 mehr als vor einer Woche. 296 weitere Menschen sind in Verbindung mit dem Coronavirus gestorben. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 110,4 von 105,7 am Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen sich pro 100.000 Einwohner in einer Woche anstecken. Damit drehte sich der Abwärtstrend der vergangenen Tage. Diesen hatte das RKI auch damit erklärt, dass wegen Ostern weniger Menschen einen Arzt aufgesucht hätten und weniger getestet wurde. Auch könne es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter und Landesbehörden ihre Fallzahlen übermittelt hätten. Umgekehrt könnte es sein, dass die Zahlen jetzt höher ausfallen, weil es sich um Nachmeldungen der vergangenen Tagen handelt. Man werde erst Mitte kommender Woche wieder verlässliche Zahlen haben, sagte Wieler.

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