Politik

Richter wirft Merkel-Regierung Nichtachtung der Justiz vor

Der aktuelle Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und Ex-Vorsitzende des Deutschen Richterbunds, Jens Gnisa, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung.
12.04.2021 21:37
Aktualisiert: 12.04.2021 21:37
Lesezeit: 2 min

Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und bis 2019 Vorsitzender des Deutschen Richterbunds (DRB), kritisiert die Pläne der Bundesregierung zur Ausweitung ihrer Kompetenzen in der aktuellen Corona-Krise. Er teilt über Facebook mit:

„Man sieht mich selten fassungslos. Aber nun ist es so weit. Der Bund schießt deutlich über alle Verhältnismäßigkeitsgrenzen hinaus. Nur auf die Inzidenz abzustellen ist bei derartig drastischen Maßnahmen willkürlich, weil die reine Inzidenz davon abhängt wie viel getestet wird. Dies ist manipulierbar. Ab einer Inzidenz von 100 nächtliche Ausgangssperren zu verhängen, obwohl von Gerichten deren Wirksamkeit angezweifelt wurde, ist eine Nichtachtung der Justiz. Eltern ab einer Inzidenz von 100 zu verbieten ihre Kinder zu treffen entspricht für mich auch nicht dem Bild des Grundgesetzes. Das ist auch nicht der Brückenlockdown von 2 oder 3 Wochen der diskutiert wird, sondern ein nicht mehr einzufangender Dauerlockdown. Ich möchte daher alle bitten: schreiben Sie Ihrem Bundestagsabgeordneten und appellieren Sie an ihn, diesem Gesetz in dieser Form nicht zuzustimmen! Nur auf die Inzidenz abzustellen ist untauglich.“

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat davor gewarnt, im Zuge der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes einen schärferen Lockdown im Einzelhandel durchzusetzen. „Viele Nicht-Lebensmittelhändler verlieren aufgrund der angekündigten Veränderungen im Infektionsschutzgesetz jegliche Perspektive. Die Geschäfte ab einem Inzidenzwert von über 100 wieder zu schließen, wird der Lage nicht gerecht“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth am Montag in Berlin.

Er verwies auf eine HDE-Umfrage unter 1000 Unternehmen, die deutlich mache, wie kritisch die Lage bei vielen Nicht-Lebensmittelhändlern sei. Demnach sehen 45 Prozent der Befragten ihre unternehmerische Existenz im Laufe des Jahres in akuter Gefahr. Die Umsätze der klassischen Innenstadthändler hätten in der vergangenen Woche um 60 Prozent unter dem Vor-Krisen-Niveau gelegen, berichtete Genth. Wo im Zuge der Corona-Bekämpfung lediglich die Kundenzahl in den Geschäften begrenzt war, betrug das Minus demnach knapp 30 Prozent. Wo Kunden mit Terminvereinbarung einkaufen durften, lagen die Umsatzeinbußen bei knapp 50 Prozent. Wo nur negativ getestete Kunden in die Läden durften, gingen die Umsätze um 62 Prozent zurück.

„Die Politik greift an den falschen Stellen ein“, klagte Genth. Denn es sei belegt, dass der Einkauf mit Hygienekonzept kaum Infektionsrisiken berge. Angesichts der großen Umsatzverluste forderte der HDE zugleich Nachbesserungen bei den staatlichen Nothilfen. „Wenn die Hilfsmaßnahmen jetzt nicht schnell greifen, erreichen viele Handelsunternehmen einen Kipppunkt, ab dem es sehr schnell abwärts geht.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie Lokale Rechenzentren: Auslaufmodell oder Bollwerk digitaler Souveränität?
19.07.2025

Cloud oder eigenes Rechenzentrum? Unternehmen stehen vor einem strategischen Wendepunkt. Lokale Infrastruktur ist teuer – aber oft die...

DWN
Panorama
Panorama Rentenvergleich: So groß ist der Unterschied zwischen Ost und West
19.07.2025

Im Osten der Republik erhalten Frauen im Schnitt deutlich mehr Rente als im Westen. Jahrzehntelange Unterschiede in der Erwerbsbiografie...

DWN
Finanzen
Finanzen Erbe aufteilen: So sichern Sie den Verbleib Ihres Partners im gemeinsamen Haus
19.07.2025

Sind Sie wiederverheiratet und haben Kinder aus früheren Beziehungen? Dann ist besondere Vorsicht geboten, wenn es darum geht, Ihr Erbe...

DWN
Finanzen
Finanzen Unser neues Magazin ist da: Kapital und Kontrolle – wem gehört Deutschland?
19.07.2025

Deutschland ist reich – doch nicht alle profitieren. Kapital, Einfluss und Eigentum konzentrieren sich zunehmend. Wer bestimmt wirklich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung: Wann Verspätungszuschläge unzulässig sind
19.07.2025

Viele Steuerzahler ärgern sich über Verspätungszuschläge, wenn sie ihre Steuererklärung zu spät abgeben. Doch nicht immer ist die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeiten nach der Schule: Warum viele keine Ausbildung beginnen
19.07.2025

Schnell Geld verdienen statt jahrelang pauken – das klingt für viele junge Menschen verlockend. Doch wer direkt nach der Schule in den...

DWN
Politik
Politik Militär statt Frieden? Was das EU-Weißbuch 2030 wirklich bedeutet
19.07.2025

Mit dem Weißbuch „Bereitschaft 2030“ gibt die EU ihrer Sicherheitspolitik eine neue Richtung. Doch Kritiker warnen: Statt...

DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...