Die Ukraine verwandelt sich zusehends in ein für die internationale Gemeinschaft hochexplosives Pulverfass. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den seit Jahren schwelenden Konflikt vor Wochen bewusst angefacht, indem er ankündigte, die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim und die von pro-russischen Separatisten beherrschte Region Donbass zurückerobern zu wollen.
Mit seiner jüngst aufgestellten Forderung, die NATO möge die Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis beschleunigen, hat er zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Noch extremer äußerte sich in dieser Woche der ukrainische Botschafter in Deutschland. Er drohte für den Fall, dass die Ukraine nicht schnell genug in die NATO aufgenommen wird, mit atomarer Aufrüstung.
Neben diesen immer härteren Drohungen lassen auch die militärischen Bewegungen in und um das Land nichts Gutes ahnen. Russland hat nach Angaben der ukrainischen Regierung mehr als 40.000 Soldaten an der Grenze zur Ostukraine zusammengezogen. Die USA haben bei der türkischen Regierung beantragt, zwei Kriegsschiffen die Durchfahrt ins Schwarze Meer zu genehmigen; das Oberkommando der NATO hat gemeinsame Manöver mit der ukrainischen Armee angekündigt.
Der ukrainische Hintergrund: Die politische Bauchlandung eines Ex-Komikers
Dass der ukrainische Präsident Selenskyj den Konflikt auf solch drastische Weise verschärft, ist kein Zufall: Er steht politisch mit dem Rücken zur Wand.
Vor zwei Jahren noch sah das anders aus: Im April 2019 gewann Selenskyj die Stichwahl gegen seinen Vorgänger Poroschenko deutlich mit 73,22 Prozent der Stimmen. Viele Ukrainer hofften darauf, dass der politisch unerfahrene Schauspieler und Komiker, der angetreten war, die Korruption im Lande zu beenden, sich politisch für die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung stark machen würde.
Doch schon bald wurde klar, dass mit Selenskyj kein Fürsprecher des kleinen Mannes die Macht übernommen hatte. Bis heute blüht in dem bettelarmen Land (das monatliche Pro-Kopf-Einkommen liegt unter 250 Euro) die Korruption, die Wirtschaft schrumpft, Armut und Obdachlosigkeit greifen um sich.
Das alles verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass sich die Ukraine fest im Würgegriff des Internationalen Währungsfonds (IWF) befindet. Ohne seine Kredite könnte das Land, dessen Staatshaushalt in den vergangenen Jahren stets unter 40 Milliarden US-Dollar lag, finanziell kaum überleben. Allein der jüngste Kredit vom Juni 2020 macht mit fünf Milliarden Dollar fast 15 Prozent der Staatsausgaben aus.
Das große Problem der Ukraine besteht darin, dass die Kredite des IWF an eisenharte Bedingungen geknüpft sind. Die Sozialausgaben müssen reduziert, Renten gekürzt, die Energiekosten erhöht und Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden. Der IWF sorgt also für eine drastische Senkung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsteile und für ständig zunehmende soziale Spannungen. Wirtschaftlich erschwert wird die Lage dadurch, dass die Devisenreserven des Landes weitgehend aufgebraucht sind und die ukrainische Währung, der Hrywnja, seit Jahren vor sich hin schwächelt.
Die Macht im Hintergrund: Die USA
Nicht nur die Abhängigkeit vom IWF zeigt, wie sehr die Ukraine am Tropf der USA hängt. Seitdem die Weltfinanzkrise von 2007/08 das Land hart getroffen hat - die Exporte gingen um 40 Prozent zurück, die industrielle Produktion schrumpfte um circa 22 Prozent -, drang immer mehr amerikanisches Kapital ins Land.
Nach den Maidan-Protesten von 2014, die von den USA mit fünf Milliarden Dollar mitfinanziert wurden, und der Ersetzung der pro-russischen Regierung durch das neue pro-westliche Kabinett unter Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, reiste der damalige Vizepräsident Joe Biden im April 2014 als Obamas Ukraine-Beauftragter nach Kiew.
Wie die Welt inzwischen durch die Veröffentlichung von Mitschnitten mehrerer Telefonate zwischen ihm und Ex-Präsident Poroschenko erfahren hat, nutzte Biden seinen Einfluss, um politische Parteien zu finanzieren, hohe Regierungsbeamte zu ernennen und alles dafür zu tun, die Abhängigkeit der Ukraine von russischen Energielieferungen zu reduzieren.
Ganz nebenbei verschaffte er seinem Sohn Hunter einen hochbezahlten Job im Erdgasunternehmen eines ukrainischen Oligarchen. Als ein ukrainischer Staatsanwalt deshalb Ermittlungen wegen Begünstigung aufnahm, drohte Biden der ukrainischen Regierung, US-Kreditgarantien über eine Milliarde Dollar auszusetzen, und bewirkte so die Entlassung des Juristen.
Im November 2014 wurde die US-Staatsbürgerin und Wall-Street-Investmentbankerin Natalija Jaresko unter Bidens Ägide eingebürgert und am gleichen Tag zur Finanzministerin der Ukraine ernannt. Die von ihr betriebene Politik begünstigte unter anderem Agrar-Multis wie Monsanto, die der verarmten Bauernschaft große Teile des Landes abkauften.
Im selben Monat, als Jaresko ihren Job antrat, verschwanden die ukrainischen Goldbestände von 42,3 Tonnen aus unerklärlichen Gründen, wobei alle Anzeichen darauf hindeuteten, dass sie in die USA ausgeflogen wurden.
Die USA stecken in historischen Schwierigkeiten
Seit seinem Einzug ins Weiße Haus setzt Joe Biden alles daran, seine alten Mitstreiter in Kiew bei der Verschärfung der Spannungen mit Russland zu unterstützten. Anfang März bekräftigte er, dass die Krim zur Ukraine gehört. Mitte März nannte er den russischen Präsidenten in einem Interview des Fernsehsenders ABC einen „Mörder“. Vergangene Woche sicherte er Selenskyj online die „uneingeschränkte Unterstützung der USA gegen Russland“ zu; am vergangenen Donnerstag ließ er die Ausweisung von zehn russischen Diplomaten aus den USA ankündigen.
Diese extreme Verschärfung des Ukraine-Konfliktes von Seiten der USA ist ebenfalls kein Zufall. Ein Jahr nach dem Einsetzen der globalen Rezession und dem Herunterfahren der Weltwirtschaft infolge der Pandemie-Maßnahmen stehen die US-Wirtschaft und das US-Finanzsystem nämlich vor riesigen Problemen.
Wie 2007/08 hat man das ins Taumeln geratene System durch gewaltige Geldinjektionen kombiniert mit Zinssenkungen vor dem Zusammenbruch gerettet. Diesmal allerdings ist man an einer historischen Schwelle angelangt. Durch die Senkung der Zinsen auf fast null verbleibt der US-Zentralbank in der nächsten Krise nur noch das Mittel ungehemmten Gelddruckens.
Aus diesem Grunde arbeitet man mit Hochdruck an der Abschaffung des Bargeldes und der Einführung einer digitalen Zentralbankwährung. Dabei allerdings ist man gegenüber dem weltweit größten Konkurrenten gewaltig ins Hintertreffen geraten. China, das ebenfalls an einer digitalen Zentralbankwährung arbeitet, könnte seinen E-Yuan nicht nur vor dem elektronischen Dollar herausgeben, sondern über die seit 2015 betriebene digitale Seidenstraße sofort international im Umlauf bringen und zudem mit Gold decken.
Ein solches Vorpreschen Chinas würde der Position des US-Dollars den bisher schwersten Schlag versetzen und mit großer Sicherheit das Ende der finanziellen Übermacht der USA einläuten. Aus diesem Grunde hat man in Washington bereits vor Jahren begonnen, China mit immer neuen Sanktionen zu belegen und den Währungskrieg mit dem Land zu verschärfen.
Dabei gibt es allerdings ein unlösbares Problem: Zum einen ist China noch immer der größte Halter von US-Staatsanleihen und damit einer der wichtigsten US-Finanziers, und zum anderen hat es sich in den vergangenen Jahrzehnten zur Werkbank der USA entwickelt. Ein direkter Krieg gegen China würde für die USA daher einen Schnitt ins eigene Fleisch bedeuten.
Es gäbe aber auch eine andere Möglichkeit, China zu torpedieren, und die würde auch einem zweiten Konkurrenten der USA, nämlich der Europäischen Union (EU), extrem schaden. Sie bestünde darin, die Neue Seidenstraße zu zerstören.
Die Ukraine wäre für die USA der ideale Ort, um auch der EU zu schaden
Bei der Neuen Seidenstraße handelt es sich um das größte Wirtschaftsprojekt in der gesamten Geschichte der Menschheit. Sie soll aus Asien, dem Nahen Osten und Europa den größten Wirtschaftsraum der Erde machen.
Die Ukraine spielt dabei eine ganz besondere Rolle. Sie ist für die westeuropäischen Länder nicht nur strategisch bei der Annäherung an den Osten von höchster Bedeutung, sondern auch das wichtigste Transitland für russische Erdgasexporte und damit ein Dorn im Auge der US-Fracking-Industrie, die unbedingt mit Europa ins Geschäft kommen will.
Für die USA gibt es also im Moment mehr als einen Grund, der Versuchung eines Krieges in der Ukraine zu erliegen. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, kann niemand vorhersagen, aber es mehren sich die Anzeichen, dass sich hier eine militärische Auseinandersetzung anbahnt, die rasch eskalieren könnte.