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Grüne nominieren Baerbock als Kanzlerkandidatin - oberstes Ziel ist die „Klima-Neutralität“

Lesezeit: 3 min
19.04.2021 12:11  Aktualisiert: 19.04.2021 12:11
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock soll ihre Partei als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl führen. Baerbock wird dem Ziel, die „Erwärmung des Weltklimas“ auf 1,5 Grad zu begrenzen, alles unterordnen.
Grüne nominieren Baerbock als Kanzlerkandidatin - oberstes Ziel ist die „Klima-Neutralität“
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock am Montag in Berlin. (Foto: dpa)
Foto: Kay Nietfeld

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Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock soll ihre Partei als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl führen. Der Bundesvorstand der Grünen nominierte die 40-Jährige am Montag für den Spitzenposten. "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieses Land einen Neuanfang braucht", sagte sie anschließend. Sie wolle eine Politik anbieten, die vorausschaue. Die Entscheidung muss noch auf einem Parteitag vom 11. bis 13. Juni bestätigt werden. Die Zustimmung gilt als sicher. Die Bundestagswahl findet am 26. September statt.

"Klimaneutralität" über alles

Das Ziel der "Klimaneutralität" müsse nach Worten Baerbocks die Leitlinie der nächsten Bundesregierung sein. Andernfalls mache eine Bundesregierung "nicht wirklich Sinn", sagte die Co-Parteichefin am Montag in ihrer ersten Pressekonferenz als Kanzlerkandidatin. "Ein bisschen Klimaschutz wird nicht funktionieren." Nach der Corona-Krise müsse ein Klimaschutz-Sofortprogramm aufgelegt werden, um den Pfad einer Begrenzung der Erderwärmung bei 1,5 Grad überhaupt noch einschlagen zu können. Es gehe um "klimagerechten Wohlstand im Sinne des Industriestandortes". Dies müsse für die Stahlproduktion ebenso funktionieren wie für Pendler.

Baerbock unterstrich, dass sie trotz ihrer herausgehobenen Position als Kanzlerkandidatin die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Co-Parteichef Robert Habeck fortsetzen werde. "Wir werden diesen Wahlkampf gemeinsam anführen", sagte Baerbock. Gemeinsam hätten sie auch die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur bereits vor Ostern getroffen. Im Fall eines Erfolges bei der Bundestagswahl solle auch Habeck der Regierung angehören: "Dann werden Robert Habeck und ich gemeinsam in einer nächsten Bundesregierung auch eine entscheidende Rolle spielen."

Die 40-jährige Völkerrechtlerin ließ offen, welche Aspekte ausschlaggebend gewesen seien bei der Frage, wer von beiden für das Kanzleramt kandidiere. "Aber natürlich hat auch die Frage der Emanzipation eine zentrale Rolle bei dieser Entscheidung gespielt", gestand Baerbock zu. Sie räumte ein, dass sie keine Regierungserfahrung mitbringe. Sie habe aber große Demut und großen Respekt vor der Aufgabe und sei überzeugt davon, dass ein Neuanfang nötig sei. "Und dafür bringe ich Entschlossenheit, Durchsetzungskraft und einen klaren Kompass und Lernfähigkeit mit - ich glaube all das, was es für ein solches Amt braucht."

Mit der Entscheidung enden monatelange Spekulationen. Die Partei hatte die Klärung der Kandidatenfrage ihren beiden Parteivorsitzenden Baerbock und Robert Habeck (51) überlassen, die sich geräuschlos untereinander verständigten.

Habeck sagte, er selbst und Baerbock hätten in den vergangenen Wochen vertraute, manchmal auch schwierige Gespräche darüber geführt, wer von beiden die Kandidatur übernehmen solle. "Wir beide wollten es, aber am Ende kann es nur eine machen", sagte er. Er selbst wolle sich aber gleichfalls in den Wahlkampf werfen. Die Gemeinsamkeit habe die Grünen so erfolgreich gemacht. "In dieser Situation führt der gemeinsame Erfolg dazu, dass einer einen Schritt zurücktreten muss." Habeck beschrieb Baerbock als "kämpferische, fokussierte, willensstarke Frau", die genau wisse, was sie wolle.

Die Grünen hatten sich angesichts der seit 2018 hohen Umfragewerte erstmals für eine Kanzlerkandidatur entschieden. Derzeit sind sie mit mehr als 20 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der CDU/CSU und vor der SPD. Baerbock ist bei der 20. Bundestagswahl seit 1949 erst die zweite Frau nach Angela Merkel, die sich um das höchste Regierungsamt bewirbt. Keiner der bisherigen Kanzlerkandidaten war jünger.

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Baerbock wird bei der Wahl gegen zwei Männer antreten: Die SPD hat Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz nominiert, die Union muss sich noch zwischen den Vorsitzenden von CDU und CSU entscheiden, Armin Laschet und Markus Söder. Die anderen drei im Bundestag vertretenen Parteien stellen Spitzenkandidaten auf, die sie aber nicht Kanzlerkandidaten nennen wollen. Für die FDP wird das Partei- und Fraktionschef Christian Lindner sein. Bei AfD und Linken gibt es noch keine Entscheidung.

Anders als bei CDU und CSU hat es bei den Grünen weder Streit noch größere öffentliche Diskussionen über die Kandidatenkür geben. Deswegen wird auch auf dem Parteitag im Juni eine große Zustimmung erwartet.

Baerbock wuchs in der Nähe von Hannover auf dem Dorf auf und studierte Politikwissenschaften und Völkerrecht in Deutschland und London. Bei den Grünen hat die Mutter von zwei Töchtern schnell Karriere gemacht: 2009 Vorstand der europäischen Grünen und Landesvorsitzende in Brandenburg; 2013 Einzug in den Bundestag; 2018 Bundesvorsitzende der Grünen gemeinsam mit Habeck.

Bisher haben in der Regel nur CDU/CSU und SPD Kanzlerkandidaten nominiert, mit einer Ausnahme: 2002 stellte die FDP Guido Westerwelle auf, wurde dann aber mit 7,4 Prozent nur viertstärkste Kraft im Bundestag hinter SPD, CDU/CSU und Grünen.

Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hat als Wahlziel ausgegeben, dass die Grünen das Kanzleramt erobern. "Wir wollen das Land in die Zukunft führen. Darum kämpfen wir für das historisch beste grüne Ergebnis aller Zeiten und die Führung der nächsten Bundesregierung." Ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielten die Grünen 2009 mit 10,7 Prozent. Bei der Wahl 2017 kamen sie nur auf 8,9 Prozent.


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