Weltwirtschaft

Die Rezession ist nur vorübergehend: Corona beschert der Welt einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung

Lesezeit: 7 min
24.04.2021 14:10
DWN-Kolumnist Ronald Barazon zeigt auf, wie die Corona-bedingten Lockdowns zu technologischem Fortschritt führen - und somit zu einem wirtschaftlichen Boom.
Die Rezession ist nur vorübergehend: Corona beschert der Welt einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung
Eine Mitarbeiterin kontrolliert einen Silizium-Wafer. (Foto: dpa)

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Die ganze Welt schaut gebannt auf Corona und übersieht dabei, dass sich im Hintergrund aufregende Ereignisse abspielen. Ereignisse, die kurzfristig zwar ein ernstes Problem darstellen, aber dennoch zu begrüßen sind, weil sie ein Indikator dafür sind, dass es mit der Wirtschaft wieder bergauf geht, ja, dass uns ein wirtschaftlicher Boom bevorsteht. Warum es sich handelt? Um den Mangel an Computer-Chips, der Auto-Fabriken lahmlegt, bei den Firmen und Home-Office-Arbeitern einen Kampf um Laptops auslöst und die junge Generation, die nicht in Schule und Uni darf, verzweifelt auf neue Spiel-Konsolen warten lässt. Und um den Mangel an anderen Rohstoffen, beispielsweise Holz für die Bau-Industrie. Diese Mängel sind die Folge eines kräftigen Wirtschaftswachstums, das seit einigen Monaten in vielen Bereichen zu beobachten ist. Nachdem der Ausbruch der Corona-Krise im Frühjahr 2020 eine allgemeine Lähmung auslöste, ist seit Herbst 2020 und verstärkt im ersten Quartal 2021 eine breitflächige Investitionstätigkeit zu beobachten, die die Nachfrage nach Chips und anderen Computer-Elementen sowie nach mancherlei Grundstoffen und Vorleistungsgütern explodieren lässt. Natürlich ist die Schließung der Gastronomie-Betriebe, der Hotels und Kulturzentren eine Katastrophe – aber insgesamt sind die Aussichten positiv und lässt sich konstatieren, dass die Wirtschaft neue Höhenflüge erklimmt.

Die Hersteller horten – und treiben so die Preise in die Höhe

Um die Situation, die derzeit am Markt herrscht, beurteilen zu können, muss man ein paar Details wissen.

Die Chip-Industrie gilt als Speerspitze der Innovation, als vorbildlich in Sachen Forschungstätigkeit, doch zeigt sich nun, dass die bisherigen Bemühungen nicht ausreichen, dass die aktuellen Anforderungen die Entwicklung noch leistungsfähigeren Halbleiterplatten notwendig machen. Wobei sich der Weltmarktführer und Vorreiter bei der Entwicklung neuer Technologien, Intel, besonders gefordert sieht.

Unterdessen waren die Verantwortlichen von TMSC in Taiwan, dem größten Auftragshersteller, der insbesondere für Apple produziert, überzeugt, dass die weltweit verfügbare Produktionskapazität an Chips ausreichen würde. Im Jahr 2020, unter dem Schock der Pandemie, gaben die Unternehmen ja auch zu wenige Order auf, weil sie mit dem Boom im ersten Quartal 2021 überhaupt nicht gerechnet hatten. Jetzt, in der Aufholphase, kommt es zu Lieferproblemen.

Es ist nicht zu übersehen, dass so manche Produzenten und Händler die aktuelle Mangel-Situation ausnützen. Durch Hortung verschärfen sie die Verknappung und treiben auf diese Weise die Preise in die Höhe.

Problematisch ist zudem, dass in den USA und in Europa nur relativ wenige Halbleiterplatten hergestellt werden – die meisten Werke stehen in China und Taiwan.

Weniger Dienstreisen und leere Bürotürme

Nun zum aktuellen Investitionsboom: Den ersten Anstoß bildete die Verlagerung der Büroarbeiten in die Privatwohnungen der Mitarbeiter. Nach anfänglicher Ablehnung gewöhnten sich die meisten ans Arbeiten ohne Kollegen, an Video-Konferenzen, die die früheren Besprechungen und Tagungen ablösten. Und da zeigt sich schon ein erster Rationalisierungseffekt: Die Fahrt zur Arbeit entfällt, genau wie der Weg von einem Büro zum anderen beziehungsweise sogar von einem Standort zum nächsten. Alle Organisationsmanager sind sich einig, dass es in Zukunft deutlich weniger Dienstreisen geben wird. Darüber hinaus werden viele Angestellte wahrscheinlich überhaupt nicht ins Büro zurückkehren (was den Effekt hat, dass so mancher Büroturm als – um einen amerikanischen Ausdruck zu verwenden – „gestrandete Investition“ leer und ungenutzt dastehen wird).

Zweistellige Zuwachsraten in den Software-Häusern

Dieser Effekt mag auf den ersten Blick banal erscheinen, fest steht jedoch, dass er sämtliche Abläufe in den Unternehmen auf den Prüfstand stellt(e). Man hat bereits vor einigen Monaten damit begonnen, sämtliche Prozesse unter die Lupe zu nehmen und neu zu konzipieren, und diese Tendenz wird sich fortsetzten. Die Konsequenz ist ein Auftragsboom bei den Computer-Unternehmen: Die Software-Häuser verzeichnen hohe, zum Teil zweistellige Wachstumsraten und haben Mühe, die zahlreichen Aufträge rechtzeitig zu erfüllen. Auch wenn von Microsoft über Oracle bis hin zu SAP und in vielen anderen Unternehmen bereits Modelle verfügbar sind, so hat doch jedes einzelne Unternehmen spezifische Bedürfnisse, die die Programmierer fordern. Und wenn ein Konzept fertig auf dem Tisch liegt, dann fehlen derzeit oft die erforderlichen Chips und anderen Elemente für die Umsetzung. Nicht selten reagieren die ungeduldigen Kunden mit Tobsuchtsanfällen.

Die Lockdowns haben den Durchbruch der Digitalisierung bewirkt

Werden in den Unternehmen die Abläufe, die Prozesse überprüft, so bleibt dieser Vorgang nicht bei der Büroorganisation stehen. Alle Bereiche kommen auf den Prüfstand, unter anderem Beschaffung, Controlling, Vertrieb, Produktion. Die Digitalisierung setzt sich in einem bisher ungeahnten Ausmaß durch. Was allen wirtschaftspolitischen Initiativen zur Verbreitung der Digitalisierung nicht gelungen ist: die Corona-bedingten Lockdowns haben es geschafft.

Es ist unmöglich, einen kompletten Katalog der Maßnahmen zu formulieren, doch sei zur Illustration auf einige Elemente verwiesen.

  • In der Industrie hat das Zeitalter der Vernetzung von Anlagen, die sich in hohem Maße selbst steuern können, längst begonnen. Diese unter dem Sammelbegriff „Industrie 4.0“ bezeichneten Systeme wirken in den Unternehmen und darüber hinaus in allen Betrieben, die an einer Lieferkette teilnehmen. Diese Entwicklung hat nun auch die mittelständische Wirtschaft voll erfasst. Herausforderung: Der negative Nebeneffekt ist, dass wegen der explosionsartig gestiegenen Nachfrage die Lieferketten nicht immer funktionieren. Dieses Problem wird sich aber nach einer Übergangsphase lösen.
  • In der Bauwirtschaft wird schon lange über mehr Automatisierung geredet. Die moderne Technologie ermöglicht sogar, im Gegensatz zur Vergangenheit, individuell auf Kundenwünsche abgestellte Bauelemente industriell herzustellen. Das heißt, der Gegensatz zwischen dem traditionell arbeitenden Baumeister und der Industrie, die ganze Häuser vorfabriziert, wird geringer. Herausforderung: Im Moment leiden allerdings alle Baufirmen unter dem Mangel und der Verteuerung der Rohstoffe. Insbesondere Holz ist schwer zu bekommen. Im Lock-Down hat das Bauen und Renovieren Hochsaison.
  • Der Handel wird nach Corona nicht mehr wiederzuerkennen sein: Sowohl die Konsumenten als auch die Produzenten haben sich an den Versandhandel gewöhnt. Dieser Effekt ist Amazon geschuldet: Die Plattform bietet erstmals in der Geschichte des Versandhandels ein umfassendes Angebot, das heißt, der Kunde fragt nach einem Artikel und erhält zahllose Angebote. Der Versuch einzelner Unternehmer, im Internet nur ihr eigenes Sortiment zu präsentieren, ist zum Scheitern verurteilt. Die Zukunft gehört Amazon und den neuen Plattformen, die sich nach Amazons Vorbild aufstellen – im stationären Einzelhandel werden langfristig nur einige wenige besonders attraktive Spezialgeschäfte überleben. Herausforderung: Dies wird kurz-, vielleicht sogar mittelfristig zum Veröden der Innenstädte führen. Langfristig gesehen werden sich diese jedoch zum Positiven hin verändern – sie werden wieder stärker Wohn- und Flanierbereich sein.
  • In der Finanzbranche ist die Digitalisierung schon jetzt sehr weit fortgeschritten und erhält derzeit durch die Start-Ups, den so genannten FinTechs, im Banken- und Versicherungswesen neue Impulse. Die geschlossene Kette von Transaktionen im Rahmen der Blockchain wird sich durchsetzen, auch wenn diese Technik zuerst im Zusammenhang mit der Spekulationswährung Bitcoin angewendet wurde, deren Zukunft in den Sternen steht. Herausforderung: Während die Digitalisierung das Geschäft von Banken und Versicherungen revolutioniert, bremsen immer neue EU-Vorschriften die Geschäftsentwicklung, insbesondere die Kreditvergabe, und lösen gigantische Kosten aus.

Fest steht, dass diese für die Zukunft so entscheidenden Entwicklungen in der breiten Öffentlichkeit relativ wenig Beachtung finden. Nicht zur Kenntnis genommen wird von manchen Verantwortlichen, beispielsweise den Politikern, dass alle hier angesprochenen Digitalisierungsprojekte einen ungeheuren Einsatz erfordern und erst nach vielen Rückschlägen und Korrekturen die Unternehmen auf eine neue, zukunftsträchtige Basis stellen. In der öffentlichen Diskussion verschieben sich häufig auch die Prioritäten: Wichtig, in ökonomischer, ökologischer und stadtplanerischer Hinsicht ist vor allem die Frage, ob das (selbstfahrende) Elektro-Auto sich durchsetzen wird (wobei jedes neue Fahrzeug zu einer elektronischen Großanlage mit Millionen von Halbleitern wird). Die öffentliche Diskussion dreht sich allerdings eher um die Frage, was das nächste Smart- oder I-Phone können wird – davon hängt unsere Zukunft nun wirklich nicht ab.

Die Rationalisierung vernichtet Arbeitsplätze: Jetzt ist eine kluge Wirtschaftspolitik gefordert

So begrüßenswert viele Entwicklungen sind und wie erfreulich, dass die wirtschaftliche Lähmung durch die Lockdowns vorüber ist, so muss man doch auch darauf verweisen, dass die geschilderten Neuerungen vielerlei Rationalisierungseffekte mit sich bringen, die zwar die Unternehmen fit für den Aufschwung nach Corona machen, aber eben auch massenweise Arbeitsplätze vernichten. Um die sich abzeichnenden Effekte auf dem Arbeitsmarkt abzufangen, bedarf es einer wirksamen Wachstumspolitik. Davon ist zwar viel die Rede, doch sind leider in Europa im Gegensatz zu den USA keine überzeugenden Maßnahmen absehbar.

Mühsam und holprig läuft seit einigen Wochen das EU-Programm über 750 Milliarden Euro an, das in erster Linie der Digitalisierung und der Umstellung der Unternehmen auf eine nachhaltige, grüne Wirtschaftsweise dienen soll.

  • Die Digitalisierung ist in vollem Gange. Was fehlt, ist ein dichtes und leistungsfähiges Netz an Leitungen. Bislang ist 5G nur ein Flickwerk, das die Anforderungen nicht erfüllen kann.
  • Man ist versucht – angesichts der Aktivitäten in den einzelnen Mitgliedstaaten – eine koordinierte EU-Politik einzufordern. Nach dem totalen Versagen der EU-Kommission bei der gemeinsamen Beschaffung von Impfstoff gegen Covid-19 ist jedoch kaum erwartbar, dass eine EU-weite Kooperation bei 5G gelingen würde.
  • Die Umstellung auf eine grüne Wirtschaft ist außerordentlich problematisch, weil sie mit Eingriffen von Beamten in das Management der Unternehmen verbunden werden soll. Man nimmt in Brüssel nicht zur Kenntnis, dass grüne Ziele nur zu erreichen sind mit klaren, umsetzbaren Vorgaben und Grenzwerten, die die erlaubte Belastung der Luft, des Wassers und des Bodens eindeutig bestimmen, und dass bei Einhaltung dieser Grenzwerte die Bürokratie den Unternehmen nicht hineinpfuschen darf.
  • Seit Monaten werden die Finanzinstitute durch die Brüsseler Bürokratie paradoxerweise dazu angehalten, bestimmte Investitionen nicht mehr zu finanzieren. Das heißt, statt selbst als Behörde nachvollziehbare Regeln aufzustellen, will man einige Branchen finanziell aushungern lassen.

Das Konzept der US-Regierung ist überzeugender als das Vorgehen der EU

Der Ansatz der US-Regierung unter Joe Biden ist da überzeugender. Vorgesehen ist eine gewaltige Investitionssumme von 1,9 Billionen US-Dollar, die in die zum Teil sehr mangelhafte Infrastruktur der USA fließen sollen. Wenn das Parlament dem Plan zustimmt, dann werden Milliarden in Straßen, Bahnen, Krankenhäuser und nicht zuletzt in die digitale Infrastruktur fließen. Dieses Paket bedeutet die Schaffung von Arbeitsplätzen. Ein ähnliches Programm würde der EU guttun. Vor allem aber sorgt die Installierung von Daten-Highways für die Grundlage einer umfassend digitalen Wirtschaft. Durch den Erfolg der Giganten Google, Apple, Microsoft und Amazon entsteht der Eindruck, die USA wären weit voran in der Digitalisierung. Das stimmt nur bedingt – die Masse der mittelständischen Unternehmen setzt jetzt erst zum Sprung in die umfassende Automatisierung der Betriebe an. Um diese Neuerung erfolgreich zu bewältigen, braucht es ein leistungsfähiges Internet, kurzum ein 5G-Netz, das jede Region versorgt. Das werden wohl die USA früher haben als Europa. Zur Orientierung: Die fünf großen Netzbetreiber haben bei der Vergabe von 5G-Frequenzen im Mittelbandspektrum im Januar 81 Milliarden Dollar gezahlt. Das sogenannte C-Band ist entscheidend, um einen schnellen und überall verfügbaren Internet-Anschluss sicherzustellen.

Das Internet und alle mit ihm verbundenen Neuerungen sind die Basis des künftigen Wirtschaftswachstums, das die sich abzeichnenden Ausfälle ausgleichen und Arbeitsplätze schaffen wird. Voraussetzung dafür ist, dass – vom kleinen Spezialitäten-Händler in einem entlegenen Tal über den mittelständischen Betrieb mit 500 Mitarbeitern bis hin zum internationalen Großbetrieb – alle die erforderlichen Leitungen bekommen, um ihre Kreativität entfalten und die sich bietenden Möglichkeiten auf den globalen Märkten nutzen zu können. Dafür braucht es leistungsfähige Netze. Welche Ideen, welche Produkte, welche Dienstleistungen, welche Unternehmen sich letztendlich durchsetzen werden, ist nicht vorhersehbar – und somit ist jede Wirtschaftslenkung sinnlos. Der Markt der Ideen wird entscheiden.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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