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EU bereitet "Grünen Pass" vor: Wer geimpft ist, darf wieder frei reisen

Lesezeit: 5 min
01.05.2021 15:06  Aktualisiert: 01.05.2021 15:06
In seinem meinungsstarken Artikel analysiert DWN-Kolumnist Ronald Barazon die Pläne der EU, einen sogenannten "Grünen Pass" auszustellen, der Geimpften das Reisen ermöglicht.
EU bereitet "Grünen Pass" vor: Wer geimpft ist, darf wieder frei reisen
Ein Mann hält ein Smartphone in der Hand, auf dem der sogenannte "Grüne Pass" abgebildet ist. (Foto: dpa)

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Von Seiten der EU-Kommission, des EU-Parlaments, der europäischen Regierungen tönt die frohe Botschaft: In Kürze gibt es einen sogenannten „Grünen Pass“, mit dem wir Europäer wieder reisen dürfen. Das heißt, wer geimpft ist, wer einen negativen Test vorweist oder wer Covid-19 hatte und genesen ist, soll sich frei bewegen dürfen.

Mit diesen Ankündigungen will man offenbar die Pandemie-müden Bürgerinnen und Bürger beruhigen. Covid-19 lässt sich allerdings nicht durch politische Beschlüsse wegzaubern. Die Voraussetzungen für eine Lockerung sind in der EU nicht gegeben. Der Grund ist das Totalversagen der EU-Kommission und der Regierungen der Mitgliedsländer bei der rechtzeitigen Beschaffung einer ausreichenden Zahl von Impfdosen. Bremsend wirkt auch der Umstand, dass viele Bürger nicht bereit sind, sich impfen zu lassen. Allerdings sind durch die Mutationen des Virus neue Gefahren entstanden, sodass die Lage derzeit besonders kritisch ist.

Die EU ist von einer breitflächigen Immunität weit entfernt

Reisefreiheit kann es nur geben, wenn ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung geimpft ist. Ende April waren das in der EU erst rund ein Fünftel (21 Prozent) aller Bürger, wobei die meisten nur die erste Spritze bekommen hatten. Selbst wenn das Impftempo jetzt erhöht wird, ist man noch weit von der sogenannten Herdenimmunität entfernt. Bei den m-RNA-Vakzinen von Pfizer-BionTech und von Moderna beträgt der Abstand zwischen der ersten und der zweiten Impfung nur drei Wochen, bei den Vektor-Impfstoffen etwa von Astra-Zeneca beträgt die Wartezeit zwölf Wochen. Frühestens im Juni oder Juli, immer unter der Voraussetzung, dass genügend Impfungen durchgeführt werden, kann von einer weit verbreiteten Immunisierung geredet werden. Israel hat bereits 60 Prozent der Bevölkerung geimpft, die USA nähern sich 50 Prozent – ob diese Werte (die ja viel höher liegen als die europäischen) für eine umfassende Immunität ausreichen, ist noch nicht erwiesen.

Durch die Mutationen des Virus bieten die Impfungen nur beschränkten Schutz

Die Impfung selbst ist aber auch kein Garant für Sicherheit. In den vergangenen Wochen sind zahlreiche Mutationen aufgetreten, die Vakzine sind aber auf das ursprüngliche SARS-Cov-II-Virus abgestellt. Die Pharma-Firmen haben bisher noch keine Impfstoffe entwickelt, die gegen die veränderten Viren wirken. Man geht aber grundsätzlich davon aus, dass die Impfungen dennoch schützen, allerdings in geringerem Umfang. Auch betonen die Virologen, dass Personen, die komplett geimpft wurden, bevor die Mutationen aufgetreten sind, einen höheren Schutz haben. Wird man aktuell geimpft, also nachdem die neuen Viren bereits das Infektionsgeschehen bestimmen, ist man weniger sicher.

Berücksichtigt man die geringe Durchimpfungsquote in der EU und die aktuell dominierenden Mutationen, so zeigt sich die Problematik eines weiteren Diskussionspunkts: Zur Debatte steht, dass bereits nach der ersten Spritze und einigen Tagen danach von einer Immunisierung ausgegangen werden kann. Das war schon vor den Mutationen von den Pharmakologen als unrealistisch bezeichnet worden – ihren Aussagen nach ist man nur nach beiden Spritzen und einer anschließenden längeren Wartezeit immun. Durch die Mutationen läuft man nach der ersten Spritze Gefahr, zu erkranken, wenn man sich ansteckt, wenn auch vermutlich weniger schwer als ohne Impfung.

Genesen bedeutet noch nicht immun. Nur ein Anti-Körper-Test schafft Gewissheit

Problematisch ist auch der Plan, Personen, die bereits Covid-19 hatten und genesen sind, generell für immun zu erklären. Das ist keineswegs bei allen der Fall, wie auch die nochmaligen Erkrankungen zeigen. Für Klarheit sorgt nur ein Antikörper-Test, der zeigen muss, ob tatsächlich ausreichend Antikörper gebildet wurden. Die Bestätigung eines Arztes oder eines Spitals, dass ein Patient genesen ist, dürfte für den angestrebten „Grünen Pass“ nicht genügen.

Sollen die nur kurzfristig geltenden Anti-Gen- und PCR-Tests in den „Grünen Pass“?

Die Anti-Gen-Tests, die in der Regel nur für eine Dauer von 48 Stunden anerkannt sind, gelten als nicht sehr verlässlich. Solider sind die PCR-Tests, die aber auch nur 72 Stunden als Ausweis für eine Infektionsfreiheit gelten. Es ist also fraglich, ob es Sinn macht, diese Ergebnisse in einem „Grünen Pass“ zu berücksichtigen, der grundsätzlich eine längere Gültigkeitsdauer haben soll.

Ohne elektronische Gesundheitsakte gibt es keinen elektronischen Gesundheitspass

Dieses Thema stellt sich – wie viele andere – deshalb nicht, weil die Umsetzung als „Pass“ derzeit nicht möglich ist. Man stelle sich einen Ausweis im Kreditkartenformat vor, der als „elektronischer Impfpass“, als „elektronischer Gesundheitspass“ funktioniert. Voraussetzung für eine derartige Karte ist das Bestehen einer elektronischen Gesundheitsakte, die für jede Person in Europa laufend alle Behandlungen, Befunde, kurzum, alle medizinischen Leistungen registriert. Würde es die elektronische Gesundheitsakte, kurz ELGA, geben, dann müsste man nur die eigene Karte über einen Terminal mit der zentralen Datenerfassung verbinden und hätte prompt alle Ergebnisse parat, im aktuellen Covid-Fall ­ Impfungen, Gesundschreibungen, Tests.

Von einer derartigen Einrichtung wird seit langem geredet, ohne dass sie je zustande gekommen wäre. In Deutschland wurde die Einführung erst vor wenigen Monaten gestartet. In Österreich läuft das Projekt schon länger, bietet aber noch keine umfassenden Informationen. Weltweit Vorreiter ist Israel. In den USA existieren nur verschiedene, miteinander nicht verbundene Datenzentren bei einzelnen Versicherungen. Die Realisierung einer ELGA stößt in allen Ländern auch immer wieder auf den Protest von Datenschützern, die einen Missbrauch befürchten. In Österreich beispielsweise nehmen 300.000 Personen am ELGA-System gar nicht erst teil. Der große Vorteil, dass bei einer plötzlichen Erkrankung oder einem Unfall dem behandelnden Arzt alle Daten zur Verfügung stehen, wird negiert. Und daher gibt es, weil eben von Seiten der Datenschützer und vieler Bürger so heftige Kritik erfolgt, keine elektronische Gesundheitskarte.

Man wird QR-Codes sammeln müssen, die die notwendigen Immunitäts-Daten enthalten

In den Mittelpunkt rückt daher der Einsatz von QR-Codes. Alle medizinischen Dienstleister sollen ihre Befunde mit einem QR-Code ausstatten, sodass – beispielsweise nach einer Impfung – ein Impfzeugnis mit einem QR-Code ausgegeben wird, der auf einem Papierausdruck ersichtlich ist oder auf das Handy geladen wird. Diesen Code würde man dann an der Grenze, bei einem Eintritt in ein Restaurant oder ein Theater vorweisen, der jeweilige Kontrolleur hätte ein entsprechendes Lesegerat – etwa so, wie das in der Bahn für die Überprüfung der Fahrscheine bereits weit verbreitet ist. Nachdem Impfungen, Gesundschreibungen, Anti-Körper-Tests und sonstige Tests berücksichtigt werden sollen, wird man voraussichtlich mehrere QR-Codes brauchen, die dann insgesamt den „Grünen Pass“ ergeben. Die Bündelung in einem einzigen QR-Code ist wohl derzeit nicht möglich. In Österreich, wo man auf die europäische Vorreiterrolle bei der elektronischen Gesundheitsakte pocht, wird es den „Grünen Pass“ vermutlich auch nur über die Sammlung von QR-Codes geben.

Gestritten wird eifrig über Nebenthemen

Dem Projekt „Grüner Pass“ fehlen elementare Voraussetzungen, vor allem ist von einer breitflächigen Immunisierung nicht die Rede. Aber im Mittelpunkt der Diskussion stehen Nebensächlichkeiten. In Brüssel möchte man natürlich einen europäischen Gesundheitspass für alle 480 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Union sehen. Dies wird aber aufgrund des Fehlens einer europäischen Datenbank nicht möglich sein, sodass mühsam um die Abgrenzung zwischen einem europäischen Einheitsmuster und den unvermeidlichen länderspezifischen Besonderheiten gerungen wird. Wenn schon die elektronische Gesundheitskarte auf Schwierigkeiten stößt, und nicht jede und jeder die QR-Codes auf das Handy laden wird, wie wird dann die Gesundheitskarte aussehen? Kehrt man zurück zur alten Kartenform auf gelbem Kartonpapier und klebt die QR-Codes dort ein? Nachdem die Covid-Aktion als eigenes Projekt verstanden wird, ist wohl mit einer gesonderten gelben Karte zu rechnen, wie auch jetzt schon die Impfungen nicht in den üblichen Impfpass eingetragen werden, sondern in eine gesonderte neue Karte. Nicht zuletzt wird über die Dauer der Gültigkeit gestritten – das EU-Parlament will eine Limitierung auf zwölf Monate, in der EU-Kommission wird eher von der „Zeit bis zum Ende der Pandemie“ geredet.

Bei Sputnik-V ist der Rechtsstreit schon absehbar

Der nächste Streitpunkt ergibt sich aus der Frage, ob ausschließlich Impfungen anerkennt werden sollen, die die „Europäische Arzneimittelagentur“ (EMA) zulässt. Dieses Problem stellt sich insbesondere in Ungarn, wo der russische Impfstoff Sputnik-V verwendet wird. Dieses Vakzin ist zwar von der EMA nicht genehmigt, allerdings hat sie per Bescheid Ungarn die Entscheidung über die Verwendung überlassen. Der Rechtsstreit ist bereits absehbar.

Von einer einheitlichen europäischen Praxis ist nicht die Rede

Ebenfalls heftig diskutiert wird die Frage, wer die Kosten der Tests und der Impfungen trägt. Grundsätzlich war zu verstehen, dass die EU in ihrer Gesamtheit sowie die Mitgliedstaaten die Kosten übernehmen und die Bürgerinnen und Bürger gratis in den Genuss der Leistungen kommen. Dieses Prinzip wird jedoch immer wieder in Teilbereichen in Frage gestellt.

Gekoppelt mit der Absicht, dass alle Bürger gratis getestet und geimpft werden, gab es ursprünglich ein das Bekenntnis zu einem leichten, niederschwelligen Zugang für alle. Diese Vorgabe ist bei den Impfungen angesichts des Mangels an Impfstoff eine Illusion. Aber auch bei den Tests stellt sich heraus, dass in jedem Land der EU andere Bedingungen herrschen und der Appell der EU-Parlamentarier nach einer einheitlichen und entgeltfreien Regelung absolut berechtigt ist.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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