Unternehmen

Lieferketten-Gesetz: "Die Belastungen für die Unternehmer stehen in keinem Verhältnis zum Ergebnis"

Lesezeit: 4 min
16.05.2021 10:57
Das Parlament diskutiert gerade das neue Lieferketten-Gesetz der Bundesregierung: Unternehmen sollen künftig dafür Sorge tragen, dass ihre Vertragspartner in ihren globalen Lieferketten Menschenrechte einhalten. Rechtsanwalt Olaf Hiebert erklärt im Interview mit den DWN, welche politischen Hintergründe das Gesetz hat, welche Verpflichtungen auf die Firmen zukommen und wie sie sich darauf vorbereiten können.
Lieferketten-Gesetz: "Die Belastungen für die Unternehmer stehen in keinem Verhältnis zum Ergebnis"
Entwicklungsminister Müller und Landwirtschaftsministerin Klöckner wollen künftig die Firmen für die Einhaltung von Menschenrechten in ihren Lieferketten verantwortlich machen. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: „Wir setzen mit dem Lieferkettengesetz ein starkes Zeichen in der EU. Wir setzen sozusagen den Standard für eine gerechte Globalisierung und für eine europäische Regelung“, hat Entwicklungsminister Gerd Müller bei der Vorstellung des Entwurfes gesagt.

Inwieweit ist das Gesetz im europäischen Vergleich einzigartig?

Olaf Hiebert: Das Ziel und die Regelungen zur Erreichung des Ziels sind weder in Europa noch weltweit einzigartig. Die Republik Frankreich hat bereits Anfang des Jahres 2017 mit dem "Loi de vigilance" ein Gesetz zum Schutz von Menschenrechten geschaffen, das ebenfalls nicht den Staat, sondern Unternehmen verpflichtet. Auch hier werden konkrete Sorgfaltspflichten auferlegt. Teilaspekte des deutschen Entwurfs des Lieferkettengesetzes werden beispielsweise auch durch den britischen "Modern Slavery Act" von 2015 umgesetzt. Moderne Formen der Sklaverei sollen durch ein System von Berichtspflichten und Maßnahmen ebenso verhindert werden wie Zwangsarbeit. Die Niederlande haben ein ähnliches Gesetz bezüglich des Problems der Kinderarbeit erlassen. Das sogenannte Child Labour Due Diligence Law enthält Beschwerdemöglichkeiten und Sanktionen bei Sorgfaltsverstößen. Auf europäischer Ebene sind die Akteure ebenfalls nicht untätig. Von seinem Umfang her ist die geplante deutsche Regelung allerdings insoweit einzigartig, als dass sie sehr weit geht – zu weit wie Kritiker sagen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: „Das Gesetz ist mit Augenmaß und wird Wirkung zeigen“, hat Müller hinzugefügt. Das wirkt sehr selbstsicher. Könnten Sie einen kurzen Überblick geben, was das Gesetz vorsieht, und eine Einschätzung geben, ob die Aussage von Müller stimmt.

Olaf Hiebert: Die Politik leidet hier an Selbstüberschätzung. Ähnlich wie bei den Themen Datenschutz und Compliance glaubt man offenbar, mit

Berichtspflichten und Sanktionen für Unternehmer die Welt verbessern zu können. Die Belastungen für die Unternehmer stehen in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Deutschland und die anderen europäischen Staaten können juristisch selbst die Verhältnisse in Drittländern nicht regeln. Wenn dort Kinderarbeit, Sklaverei und niedrigste Löhne dem Gesetz entsprechen oder die Regierungen dies dulden, kann der deutsche Staat nicht ersatzweise handeln. Existiert in einem Drittland kein Sozialstaat, zum Beispiel keine Krankenversicherungen, kein Arbeitsschutz oder auch keine Umweltstandards, dann kann Deutschland dies nicht gesetzlich regeln. Daher folgt man hier internationalen Bestrebungen diverser Vereinigungen und geht das Problem anders an. Kritiker sagen, die Verantwortung wird abgeschoben. Unternehmen müssen dafür Sorge tragen, dass Ihre Vertragspartner in der Lieferkette Menschenrechte einhalten. Was das für Rechte sind, muss im Einzelnen betrachtet werden. Die Unternehmen sind hierzu aber nicht nur verpflichtet. Sie müssen auch Beschwerdemöglichkeiten einrichten und über ihre Aktivitäten berichten.

Paragraf 3 Absatz 1 des Gesetzentwurfs definiert die Sorgfaltspflichten im Einzelnen und lässt erkennen, dass ein hoher Verwaltungsaufwand auf Unternehmer zukommt:

(1) Unternehmen sind dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten die in diesem Abschnitt festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Die Sorgfaltspflichten enthalten:

1. die Einrichtung eines Risikomanagements (Paragraf 4 Absatz 1),

2. die Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit (Paragraf 4 Absatz 3),

3. die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (Paragraf 5),

4. die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung (Paragraf 6 Absatz 2),

5. die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (Paragraf 6 Absatz 1 und 3) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (Paragraf 6 Absatz 4),

6. das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen (Paragraf 7 Absätze 1 bis 3),

7. die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (Paragraf 8),

8. die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern (Paragraf 9) und

9. die Dokumentation (Paragraf 10 Absatz 1) und die Berichterstattung (Paragraf 10 Absatz 2).

Das gewünschte Ziel soll also durch Sorgfaltspflichten erreicht werden, die den Unternehmen auferlegt werden. Folgerichtig heißt das Lieferkettengesetz tatsächlich auch Sorgfaltspflichtengesetz. Da ist der Name Programm.

Alle Pflichten und Maßnahmen im Einzelnen zu erläutern, würde hier den Rahmen sprengen. Beispielhaft sei die Dokumentations- und Berichtspflicht aus Paragraf 10 Absatz 4 des Gesetzentwurfs herausgenommen. Der von dem Unternehmen zu erstellende Bericht ist spätestens vier Monate nach Schluss des Geschäftsjahres für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen.

Ein Verletzter aus einem Drittland soll überdies eine inländische Gewerkschaft oder eine Nichtregierungsorganisation mit der Prozessführung beauftragen können. Diese tritt dann im Wege der sogenannten Prozessstandschaft als Kläger auf. Fast von selbst versteht sich, dass das Gesetz auch Regelungen zu einer behördlichen Kontrolle und zur Durchsetzung der vorgenannten Sorgfaltspflichten enthält. Ein weiteres scharfen Schwert ist der vorgesehene Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren im Fall eines rechtskräftig festgestellten, mit einer Mindestgeldbuße geahndeten Verstoßes. Und selbstverständlich sind umfangreiche Regelungen zu Zwangs- und Bußgeldern vorgesehen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Unternehmen sind davon überhaupt in der Praxis betroffen? Wie groß ist deren Zahl?

Olaf Hiebert: Die Pflichten gelten für alle Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben, soweit sie in der Regel mindestens 3.000 Mitarbeiter beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 soll ein Schwellenwert von 1.000 Mitarbeitern geltend. Davon betroffen sind nach Angabe des Gesetzentwurfs selbst unter Bezugnahme auf das Unternehmensregister (Destatis) in der Bundesrepublik Deutschland 2 891 Unternehmen mit 1 000 oder mehr Beschäftigten. Es sollen also danach rund 3.000 Unternehmen betroffen sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie soll ein Unternehmen, das davon tangiert wird, sich jetzt im Vorfeld auf die Einführung des Gesetzes vorbereiten?

Olaf Hiebert: Diverse Dienstleister bieten im Internet bereits Papiere zur Umsetzung und Unterstützung an - sogenannte Whitepaper. Ähnlich wie beim Datenschutz und der Compliance entwickelt sich hier ein neues Geschäftsfeld für Berater und Rechtsanwälte. Entweder man nimmt entsprechende Beratungsleistungen in Anspruch oder man nutzt die von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Verfügung gestellten Informationen auf der Seite CSR – Menschenrechte in globalen Lieferketten, die zu einer umfassenden Informationsseite ausgebaut werden soll. Grundsätzlich würde ich erst einmal abwarten, ob und in welcher Form das Gesetz überhaupt durch den Bundestag beschlossen wird. Das Gesetz ist hoch umstritten, weil es den einen zu weit und den anderen nicht weit genug geht. Ein Inkrafttreten der Pflichten für die Unternehmen ist gemäß dem Entwurf für den 1. Januar 2023 vorgesehen. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs ist für den 20. Mai im Bundestag vorgesehen. Eine Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses ist digital noch nicht abrufbar, aber angekündigt. Die Beschlussempfehlungen zu zwei Änderungsanträgen, die abgelehnt werden sollen, liegen vor. Ich rechne daher mit Zustimmung der Mehrheitsfraktionen zu dem Gesetz, gegebenenfalls in leicht abgeänderter Form.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was soll eine Firma tun, wenn sie gegen das Gesetz bereits verstoßen hat? Gibt es Möglichkeiten, die Sanktionen, die das Recht vorsieht, zu vermeiden?

Olaf Hiebert: In der Vergangenheit begangene Verstöße werden meiner Meinung nach nicht sanktioniert. Das wäre rechtsstaatlich auch bedenklich und vor den Gerichten kaum zu halten. Falls das neue Gesetz beschlossen wird, sollte zügig mit der Vorbereitung für die Erfüllung der neuen Pflichten begonnen werden. Soweit aktuelle Verstöße bereits bekannt sind oder ermittelt werden, sollten unverzüglich die in Paragraf 7 des Gesetzes vorgesehenen Abhilfemaßnahmen ergriffen werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Dr. Hiebert, herzlichen Dank für das Gespräch.

Dr. Hiebert, herzlichen Dank für das Gespräch.

Der Düsseldorfer Jurist Dr. Olaf Hiebert ist seit 2008 Rechtsanwalt und hat einen Lehrauftrag für Staats- und Europarecht. Der Fachanwalt für Insolvenzrecht ist Partner der Wirtschaftskanzlei Buchalik Brömmekamp.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Europaparlament billigt neue EU-Schuldenregeln nach langwierigen Debatten
23.04.2024

Monatelang wurde über Europas neue Regen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert. Die EU-Abgeordneten sprechen sich nun für...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauministerin: Innenstädte brauchen vielfältigere Angebote
23.04.2024

Klara Geywitz wirbt für mehr Vielfalt in den deutschen Innenstädten, um damit stabilere Immobilienmärkte zu unterstützen. Ein Mix von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Palantir: Wie Vorurteile die sinnvolle Anwendung von Polizei-Software behindern
23.04.2024

Palantir Technologies ist ein Software-Anbieter aus den USA, der entweder Gruseln und Unbehagen auslöst oder Begeisterung unter seinen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 20 Jahre EU-Osterweiterung: Wie osteuropäische Arbeitskräfte Deutschland unterstützen
23.04.2024

Zwei Jahrzehnte nach der EU-Osterweiterung haben osteuropäische Arbeitskräfte wesentlich dazu beigetragen, Engpässe im deutschen...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Spannung und Entspannung – Geopolitik sorgt für Bewegung bei Aktien und Rohstoffen
23.04.2024

Die hochexplosive Lage im Nahen Osten sorgte für reichlich Volatilität an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten. Nun scheint...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
23.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter - Verband alamiert
23.04.2024

Laut neuen Zahlen gibt es immer weniger Apotheken-Standorte. Der Apothekerverband spricht von „alarmierenden Zeichen“ und erklärt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
23.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...