Folgt auf die längste Börsen-Hausse der Geschichte eine der kürzesten? Über diese Frage zerbrechen sich die Experten die Köpfe, während Dax, Dow Jones & Co von Rekordhoch zu Rekordhoch eilen. Einige von ihnen trauen dem Braten nicht und warnen vor einem nahenden Kursabschwung. „Wir befürchten zunehmend, dass des kurzfristig zu einem Rückschlag kommt“, sagt etwa Grace Peters, Anlagestrategin bei der Bank JPMorgan. Die Börsen hätten sich ungewöhnlich rasch vom Coronavirus-Schock erholt, berichtet „Hellenic Shipping News“.
So notiert der breit gefasste US-Aktienindex S&P 500 derzeit etwa 24 Prozent über seinem Hoch, das er unmittelbar vor dem von der Pandemie ausgelösten Börsencrash im Februar 2020 erreicht hatte. Im Nachklang der Finanzkrise dauerte es etwa fünf Jahre, bis der Markt sich ähnlich stark erholt hatte. Der europäische breit gefasste Stoxx600 liegt derzeit zwar nur drei Prozent über seinem Rekord vom Februar 2020. Aber auch bei ihm hatte die vergleichbare Erholung nach 2008 ähnlich lang gedauert wie bei seinem US-Pendant. Der Dax brauchte wegen der europäischen Schuldenkrise sogar fast zehn Jahre, bis er genauso viel zugelegt hatte wie in der jüngsten Rally. Die Ausführungen von Peters und weiteren Analysten sind deshalb so interessant, weil die Deutschen Wirtschaftsnachrichten bereits am 10. Dezember 202o für das zweite Quartal 2021 (frühestens im April 2021) einen Börsen-Crash prognostiziert hatten. In der Analyse heißt es: „Es ist immer falsch, den Teufel an die Wand zu malen. Doch zu Beginn oder im Verlauf des zweiten Quartals 2021 könnte es an den US-amerikanischen Börsen gewaltig krachen. Können Sie sich vorstellen, dass der S&P 500, der Dow Jones und der Nasdaq binnen kürzester Zeit um 30, 40 oder sogar 50 Prozent abrutschen? Doch genau das wird meines Erachtens mit einer hohen Wahrscheinlichkeit passieren, denn die Kursgewinne an den Börsen stehen in einem Missverhältnis zur wirtschaftlichen Realität. Die Steigerungen sind schlichtweg disproportional. Wenn dieses Szenario eintreten sollte, würden die europäischen Börsen dies sehr deutlich zu spüren bekommen. Ein Domino-Effekt würde in erster Linie die Börsen in Südeuropa (Italien, Spanien und Griechenland) plus der Türkei hart treffen.“
Der „Bullenmarkt“ zwischen 2009 und 2020 bescherte dem weltweiten Aktienmarkt ein Kursplus von 237 Prozent und war der längste der Geschichte. Der Bulle steht an der Börse für steigende Kurse. Darauf folgte ein Rekord-„Bärenmarkt“, der durch einen Kursrückgang von mindestens 20 Prozent definiert wird. Durch den Ausbruch der Coronavirus-Pandemie und den weltweiten wirtschaftlichen Stillstand stürzten die Börsen vergangenes Jahr weltweit binnen vier Wochen um rund ein Drittel ab. Seither geht es fast ununterbrochen bergauf. Im Schnitt summiert sich das Plus der weltweiten Aktienmärkte im Vergleich zu den Tiefs von 2020 auf 73 Prozent. Die Marktkapitalisierung wuchs um insgesamt 42 Billionen Dollar. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung der USA, Chinas, Japans und Deutschlands zusammengerechnet.
Diese Rally hat auch das sogenannte KGV in die Höhe getrieben. Dieses Verhältnis von Aktienkurs zu Gewinn je Aktie ist für Börsianer ein wichtiger Gradmesser bei der Beurteilung, ob ein Papier überteuert und reif für eine Korrektur ist. Mit etwa 21 liegt das durchschnittliche KGV aller 500 S&P-Werte derzeit knapp unter dem Niveau der Dotcom-Blase vom Jahrtausendwechsel. Stoxx600 und Dax sind davon zwar noch weiter entfernt, aber auch ihre KGVs liegen über dem langjährigen Mittel von jeweils etwa 15.
Ein noch deutlicheres Warnsignal für eine Spekulationsblase liefert einer Studie des Vermögensverwalters Kleinwort Hambros zufolge das um Konjunkturzyklen bereinigte KGV – auf englisch abgekürzt CAPE. Seit 1870 hätten Börsenhaussen im Schnitt mit einem CAPE von 11,5 begonnen und bei etwa 20 geendet. Die aktuelle Rally sei im März 2020 mit einem CAPE-Wert von 24,8 gestartet und liege jetzt bei 37.
Einige Experten widersprechen der Analyse der Deutschen Wirtschaftsnachrichten. Sie bezweifeln die Aussagekraft der aktuellen Zahlen. Schließlich lagen die Zinsen Anfang 2020 bereits nahe ihren aktuellen Rekordtiefs und seitdem wurden billionenschwere Konjunkturprogramme aufgelegt. Deshalb hinkten Vergleiche zu früheren Börsenzyklen. Beziehe man diese Faktoren mit ein, erschienen Aktien selbst bei den aktuellen KGVs kaum überteuert.
Fahad Kamal, Chef-Anleger von Kleinwort Hambros, weist zudem darauf hin, dass sich der Konjunktur- und der Börsenzyklus, die sich üblicherweise im Gleichklang bewegen, voneinander abgekoppelt hätten. Die Aktienkurse seien schon weit gelaufen, während der Wirtschaftsaufschwung noch am Anfang stehe. Eine Straffung der geldpolitischen Zügel durch die Notenbanken sei zwar ein Risiko für den Aktienmarkt. Bei einer kräftigen Konjunkturerholung werde dieser Effekt aber idealerweise ausgeglichen.
Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, bestehe kein Grund zur Besorgnis, wirft Norman Villamin, Chef-Anleger des Vermögensverwalters UBP ein. Die Erfahrung seit der Finanzkrise zeige, dass die Notenbanken rasch mit neuen Geldspritzen auf jede Verlangsamung der Erholung reagierten. „Wir befinden uns noch recht am Anfang des Börsenzyklus.“