Immobilien

Mietmarkt: Wie KI Wohnen neu organisiert - und welche Start-ups Vorreiter sind

Mittels KI definieren Proptechs wie Flatfind, Mr. Lodge, Nestermind und Keymatch.ai die Regeln auf dem Mietmarkt neu. Blick auf eine Disruption, die die Vermittlung von Wohnraum grundlegend verändert.
11.08.2025 11:00
Lesezeit: 5 min
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Mietmarkt: Wie KI Wohnen neu organisiert - und welche Start-ups Vorreiter sind
KI kann als wichtiges Tool in der Wohnungssuche fungieren (Foto: iStock/ Visual Generation). Foto: Visual Generation

Mietmarkt: KI-Lösungen als Katalysator für den deutschen Immobilienmarkt

Der deutsche Mietmarkt steckt in der Krise. Laut einer Prognose des Bundesinstituts für Bau‑, Stadt‑ und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) fehlen in den sieben größten Städten Deutschlands über 700.000 bezahlbare Mietwohnungen (Stand April 2025).

Politische Instrumente wie die Mietpreisbremse sollen Entlastung bringen, zeigen in angespannten Märkten wie Berlin, Hamburg oder München jedoch nur begrenzte Wirkung, nicht zuletzt, weil Mietwohnraum schlichtweg fehlt. Wer heute eine Wohnung sucht, muss deshalb nicht nur schnell sein, sondern auch smart. Genau hier setzen neue digitale Lösungen an. Proptechs wie Flatfind, Mr. Lodge, Nestermind und Keymatch.ai bringen Künstliche Intelligenz (KI) in den Vermietungsprozess mit dem Ziel, Suchende und Anbieter effizienter zusammenzuführen, als bisher der Fall war.

Der Trend ist klar: Von der Exposé-Erstellung über die Vorauswahl potenzieller Mieter bis hin zur Marktanalyse übernehmen KI-Systeme schon jetzt Aufgaben, die bislang Maklerinnen und Makler händisch erledigten. Was nach Digitalisierung klingt, ist in vielen Fällen bereits tiefgreifende Automatisierung mit positiven, aber auch ambivalenten Folgen. Ein Blick auf die aktuellen Vorreiter im Markt und ihre spezialisierten KI-Lösungen zeigt, wie konkret der Wandel bereits geworden ist.

Mr. Lodge: Globale Zielgruppen und KI-Übersetzung

Der in München ansässige Anbieter Mr. Lodge zählt zu den etablierten Anbietern im Segment möbliertes Wohnen auf Zeit. Das Unternehmen wurde 1997 gegründet und vermittelt monatlich über 1.300 Objekte, vor allem an internationale Fachkräfte und Projektmitarbeitende. Der Schwerpunkt liegt auf einem B2C-Modell, wobei auch Firmenkunden zur Zielgruppe gehören.

Im Rahmen der digitalen Weiterentwicklung setzt Mr. Lodge auf KI-basierte Übersetzungs- und Filtermechanismen. „Sprache ist mehr als ein Kommunikationsmittel – sie ist ein Ausdruck von Wertschätzung und Vertrauen“, sagt Geschäftsführer Norbert Verbücheln. „Wir erleben jeden Tag, wie wichtig es ist, auf Augenhöhe zu beraten. Mit dem erweiterten Sprachangebot geben wir Menschen aus aller Welt das gute Gefühl, von Anfang an verstanden zu werden.“

Technisch basiert das System auf einem mehrstufigen Ansatz: Zunächst werden Exposés und Inhalte mithilfe neuronaler maschineller Übersetzung automatisiert in die Zielsprache übertragen. Darauf folgt eine semantische Nachbearbeitung, bei der eine sprachsensitive KI kulturelle Kontexte und branchenspezifische Begriffe einordnet.

Ergänzend kommen lernfähige Algorithmen zum Einsatz, die das Nutzerverhalten analysieren und häufig nachgefragte Merkmale priorisieren, beispielsweise die Nähe zu internationalen Schulen oder eine Mindestausstattung. Die daraus entstehenden Trefferlisten werden dynamisch angepasst, ohne dass Nutzer dafür aktiv filtern müssen. „Wir setzen auf technische Innovation, um menschliche Nähe zu schaffen. Sprache ist der Schlüssel und wer in der Sprache des Kunden kommuniziert, zeigt echte Wertschätzung“, so Doris Palmiero, die bei Mr. Lodge den Bereich Real Estate Rental verantwortet.

Flatfind: Mietvorauswahl durch intelligente Systeme

In eine andere Richtung geht Flatfind. 2023 gegründet, versteht sich das Berliner Proptech als digitale Schnittstelle zwischen Mietinteressenten und Vermietern. Die Plattform richtet sich sowohl an private Anbieter als auch an professionelle Hausverwaltungen und operiert damit im B2B2C-Modell. Ziel ist es, den Vorfilterungsprozess im stark fragmentierten Mietmarkt durch KI-gestützte Systeme zu automatisieren. Im Frühjahr 2024 gab das Unternehmen eine Seed-Finanzierung in mittlerer sechsstelliger Höhe bekannt. Das Kapital soll insbesondere in den Ausbau der KI-Entwicklung und die Skalierung der Plattform fließen.

Im Zentrum des Systems steht ein eigenes Scoring-Modell, das Informationen zur Bonität, zum Kommunikationsverhalten und zu mietrelevanten Präferenzen verarbeitet. Das System erstellt darauf basierend automatisch Vorschläge für passende Mietparteien. Die Analyse erfolgt DSGVO-konform und berücksichtigt neben aktuellen Angaben auch historische Mietdaten, um Risiken wie Mietbetrug oder Zahlungsausfälle im Vorfeld zu identifizieren.

„Wir nutzen Künstliche Intelligenz, um den Bewerbungsprozess nicht nur effizienter, sondern auch fairer zu machen, für beide Seiten“, sagt Julian Urban, Gründer von Flatfind. Die Plattform positioniert sich damit als technischer Vorfilter, der den Aufwand auf Seiten der Vermieter reduzieren und gleichzeitig die Transparenz für Suchende erhöhen will.

Nestermind: Agentic AI für automatisierte Maklerprozesse

Während Flatfind vor allem auf die digitale Vorqualifikation von Mietinteressenten zielt, adressiert das Zürcher Start-up Nestermind die andere Seite des Marktes: Immobilienmakler und Hausverwaltungen, die interne Abläufe automatisieren und digital skalieren wollen. Gegründet im Jahr 2022 von ehemaligen Fachleuten aus der Automatisierungs- und Immobilienbranche, verfolgt Nestermind einen B2B-Ansatz und richtet sich an mittlere bis große Marktteilnehmer im deutschsprachigen Raum. Im Jahr 2023 erhielt das Unternehmen eine Seed-Finanzierung in Höhe von 1,8 Millionen Schweizer Franken.

Technisch setzt Nestermind auf sogenannte Agentic AI, also KI-Systeme, die nicht nur auswerten, sondern auf Basis definierter Ziele eigenständig Entscheidungen treffen und Handlungen auslösen. Zum Einsatz kommen automatisierte Prozesse wie die Erstellung individualisierter Exposés, Follow-up-Kommunikation mit Leads oder das Ausspielen dynamischer Inserate auf Plattformen wie Google, Facebook oder Instagram. Diese sogenannten „Smart Listing Pages“ werden auf Zielgruppen und Marktbewegungen in Echtzeit angepasst. Darüber hinaus priorisiert das System eingehende Kontakte nach Abschlusswahrscheinlichkeit und berechnet optimale Zeitpunkte für Angebotsanpassungen oder Interaktionen. Ziel ist es, den Vertriebsprozess im Maklergeschäft weitgehend zu entlasten, ohne dabei an Reaktionsfähigkeit oder Marktnähe einzubüßen.

Keymatch.ai: Echtzeit-Matching statt Wohnungsroulette

Anders als Nestermind, das auf Anbieter fokussiert ist, richtet sich das Berliner Start-up Keymatch.ai direkt an Wohnungssuchende. Das Unternehmen wurde 2021 von David Gramzow gegründet und verfolgt ein B2C-Modell mit dem Ziel, Mietinteressenten auf angespannten Märkten einen systematischen Vorteil zu verschaffen.

Die Plattform durchsucht täglich rund 1,5 Millionen Wohnungsinserate aus mehr als 2.000 Quellen, filtert Dubletten, bewertet Relevanz und spielt passende Ergebnisse in Echtzeit aus. Nutzerinnen und Nutzer können individuelle Präferenzen hinterlegen, beispielsweise zur Pendeldistanz, Haustierhaltung oder Möblierung, die kontinuierlich mit neuen Angeboten abgeglichen werden. Bei einem Monatsbudget ab 2.000 Euro zeigt das System optional auch Kaufangebote samt Finanzierungsvorschlägen an.

„Wir wollen die Wohnungssuche so weit automatisieren, dass relevante Angebote in Echtzeit beim Suchenden landen, noch bevor andere sie überhaupt gesehen haben“, sagt David Gramzow. Ziel sei es, das klassische Such- und Anfrageverfahren durch algorithmisches Matching zu ersetzen. Je nach Nutzerverhalten lernt das System mit und gewichtet Faktoren wie Lage, Ausstattung oder Preisflexibilität zunehmend differenzierter.

Wo KI in der Branche schon heute wirkt

Die vier Fallbeispiele zeigen, dass KI in der Vermittlung von Immobilien im Segment Wohnen auf Zeit längst über experimentelle Ansätze hinausgeht. In mehreren Prozessschritten übernimmt sie bereits Aufgaben, die bislang manuell erledigt wurden, mit dem Ziel, Geschwindigkeit, Passgenauigkeit und Skalierbarkeit zu erhöhen. Ein Überblick.

  • Matching und Scoring: Bei Plattformen wie Keymatch.ai und Flatfind führt KI Angebots- und Nachfrageseite algorithmisch zusammen. Die Systeme werten Nutzerpräferenzen, Bonitätsmerkmale und Marktdaten aus, um möglichst präzise Vorschläge zu generieren.
  • Content-Automatisierung: Nestermind automatisiert Inhalte wie Exposés und Inserate. Die KI erstellt auf Basis vorhandener Objektdaten marktspezifische Listings und analysiert gleichzeitig, über welche digitalen Kanäle sich die jeweilige Zielgruppe am besten erreichen lässt.
  • Sprachverarbeitung: Mr. Lodge setzt KI-basierte Übersetzungsmechanismen ein, um internationale Mietinteressenten sprachlich barrierefrei anzusprechen. Die Plattform erkennt dabei auch kulturelle Unterschiede in der Darstellung und Gewichtung von Ausstattungsmerkmalen.
  • Verhaltensanalyse: Flatfind und Nestermind nutzen historische Interaktionsdaten, um Bewerberprofile einzuschätzen und Prozessschritte zu priorisieren – etwa bei der Reihenfolge von Rückmeldungen oder Angebotsanpassungen. Das Ziel: effizientere Abläufe bei gleichzeitig höherer Qualität der Vermittlung.

Diskriminierung durch Algorithmen?

Die zunehmende Automatisierung verspricht mehr Effizienz, bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. Wenn Algorithmen auf verzerrten oder unvollständigen Trainingsdaten beruhen, können sie unbewusst diskriminierende Ergebnisse liefern – mit potenziell benachteiligenden Auswirkungen für bestimmte Gruppen von Wohnungssuchenden. Auch der Datenschutz bleibt ein sensibles Feld, insbesondere bei der Verarbeitung bonitätsbezogener oder verhaltensbasierter Daten.

Auf europäischer Ebene wird derzeit über eine strengere Regulierung automatisierter Entscheidungsprozesse im Wohnungswesen diskutiert. Vorgesehen sind unter anderem Transparenzpflichten, Erklärbarkeit von KI-Entscheidungen sowie menschliche Kontrollinstanzen.

Ethische Bedenken zu solchen Systemen formulierte der Deutsche Ethikrat bereits 2023 in einer Stellungnahme zur Rolle von KI in sensiblen gesellschaftlichen Bereichen. Darin verweist der Osnabrücker KI-Ethiker Rainer Mühlhoff auf die Risiken sogenannter prädiktiver Systeme, die personenbezogene Daten nutzen, um Entscheidungen über Menschen zu treffen, bevor diese überhaupt gehandelt haben: „Im Zentrum der Verletzung prädiktiver Privatheit steht die automatisierte und serienmäßige Ungleichbehandlung von Menschen in der Breite der Gesellschaft.“

Solche Mechanismen, so Mühlhoff, könnten soziale Ungleichheit technokratisch verfestigen, weil sie Risikoprofile algorithmisch erzeugen, die bestimmte Gruppen systematisch benachteiligen, etwa durch geringere Sichtbarkeit in Suchprozessen oder reduzierte Zugänge zu Dienstleistungen.

KI wird zur Standardtechnologie im Mietmarkt

Trotz berechtigter Kritik ist die Richtung klar: Wer KI im Mietmarkt verantwortlich einsetzt, kann Prozesse beschleunigen und den Zugang zum Markt verbessern, für Anbieter und Suchende gleichermaßen.

Ob Exposé-Erstellung, Matching oder Sprachfilterung, KI avanciert im Mietmarkt zur Schlüsseltechnologie. Die Beispiele Mr. Lodge, Flatfind, Nestermind und Keymatch.ai zeigen, dass der Wandel nicht mehr abstrakt, sondern gelebte Realität ist. „Wir glauben, dass KI das zentrale Werkzeug sein wird, um den Wohnungsmarkt transparenter, zugänglicher und fairer zu machen“, prognostiziert denn auch Keymatch.ai-Gründer David Gramzow.

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