Im Mai haben die US-Behörden binnen eines Monats an der Südgrenze so viele Migranten aufgegriffen wie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht. Genau wurden 180 034 illegale Übertritte an der Grenze zu Mexiko registriert, wie der Grenzschutz CBP in Washington am Mittwoch (Ortszeit) mitteilte. Zuletzt war diese Marke im April 2000 mit 180 050 illegalen Grenzübertritten erreicht worden, wie aus Daten der Behörde hervorging.
Seit dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden sind die Zahlen rasant gestiegen. Wurden im Januar noch 78 442 Fälle verzeichnet, waren es im Folgemonat bereits 101 117. Im Vergleich zum Vormonat stieg die Zahl im Mai jedoch lediglich geringfügig um ein Prozent an. Bei 38 Prozent der Fälle handele es sich allerdings um Personen, die bereits mindestens ein Mal binnen eines Jahres aufgegriffen worden waren. Die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen aus Zentralamerika sank um 23 Prozent auf 10 765. Dafür wurden mehr erwachsene Migranten aufgegriffen, insgesamt 121 082.
Finanzielle Unterstützung für Mittelamerika
Die US-Regierung steht wegen der vielen ankommenden Migranten an der Südgrenze unter Druck. Biden hat Vizepräsidentin Kamala Harris mit dem Thema betraut. Bei ihrer ersten Auslandsreise in diesem Amt forderte Harris am Montag in Guatemala Menschen aus der Region auf, die gefährliche Reise zur US-Grenze nicht auf sich zu nehmen. Harris betonte den Kampf gegen Korruption und Menschenschmuggel zur Eindämmung illegaler Migration. Sie kündigte am Montag in Guatemala-Stadt die Schaffung von Arbeitsgruppen der US-Regierung zu beiden Themen an. Denjenigen, die überlegten, die gefährliche Reise zur US-Grenze auf sich zu nehmen, sage sie: «Kommen Sie nicht.» Wer an die Grenze komme, werde zurückgewiesen, erklärte Harris.
Auch werde die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID) bis zu 88 Millionen Dollar für Programme in Guatemala zur Verfügung stellen - um jungen, indigenen Frauen zu helfen und wirtschaftliche Chancen zu erhöhen. Bei dem gemeinsamen Auftritt mit dem guatemaltekischen Präsidenten Alejandro Giammattei nach einem - nach ihrer Darstellung «sehr offenen» - bilateralen Gespräch betonte Harris, es sei im Interesse der USA zu helfen, solche Chancen zu schaffen und Wohlstand zu teilen. Sie spreche auch mit Unternehmensvorsitzenden, damit diese in Guatemala investierten.
Giammattei sprach außerdem vom Kampf gegen den Drogenhandel als wichtige gemeinsame Aufgabe. Von US-Journalisten darauf angesprochen, dass seine Kritiker ihn als Teil des Korruptionsproblems sähen, verwies der seit 2020 regierende konservative Politiker auf Unwahrheiten, die in sozialen Medien verbreitet würden.
Im April hatte Harris bereits die Zahlung zusätzlicher Hilfsgelder von 310 Millionen Dollar (rund 255 Millionen Euro) an die mittelamerikanischen Länder Guatemala, Honduras und El Salvador angekündigt. Aus den drei Ländern sowie aus Mexiko kommen die meisten der Zehntausenden Menschen, die jeden Monat versuchen, über die Grenze mit Mexiko illegal in die USA zu gelangen.
Die Republikaner beschuldigen den demokratischen Präsidenten Biden, mit seiner liberaleren Migrationspolitik eine Krise an der Grenze ausgelöst zu haben.
Biden besänftigt linken Flügel der Demokraten
Die USA wollen bis Oktober zusätzlich Zehntausende Flüchtlinge aufnehmen. Die Regierung hob Anfang Mai die Obergrenze zur Aufnahme von Flüchtlingen im laufenden Haushaltsjahr deutlich an, die Vorgänger Donald Trump auf einen historisch niedrigen Wert von maximal 15 000 gesetzt hatte. Bis Ende September sollen nun maximal 62 500 Flüchtlinge aufgenommen werden, wie Biden erklärte. Damit solle Flüchtlingen weltweit geholfen werden, «die schon so viel erlitten haben» und nun «angstvoll darauf warten, ihr neues Leben zu beginnen». Im nächsten Jahr soll die Obergrenze auf 125 000 angehoben werden.
Biden nahm mit der Anhebung der Grenze für das laufende Jahr beißender Kritik des linken Flügels seiner Partei den Wind aus den Segeln. Mehrere Abgeordnete hatten ihm vorgeworfen, die «rassistische und fremdenfeindliche» Politik seines Vorgängers fortzusetzen. Auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen hatten Biden kritisiert.
Auslöser der Kritik war gewesen, dass die Regierung Mitte April lediglich eine Änderung der Herkunftskriterien für die bestehende Obergrenze von 15 000 ankündigte - nicht aber eine Erhöhung auf 62 500, wie zuvor von Biden versprochen. Nach einem Sturm der Kritik erklärte das Weiße Haus daraufhin, es habe «Verwirrung» gegeben und kündigte an, bis Mitte Mai eine neue Obergrenze festzulegen.
Biden räumte am Montag aber ein, dass es bis Ende September vermutlich nicht gelingen werde, die Grenze von 62 500 tatsächlich auszuschöpfen. Dies sei die «traurige Wahrheit», sagte er. «Wir arbeiten daran, die Schäden der vergangenen vier Jahre zu beheben», sagte er mit Blick auf Trumps Regierung. Das Programm zur Aufnahme von Flüchtlingen werde nun wieder hochgefahren.
Trumps Limit von 15 000 Menschen war das niedrigste seit Einführung des Flüchtlingsprogramms im Jahr 1980. Unter Trumps Vorgänger Barack Obama hatte die Grenze zuletzt bei 85 000 Flüchtlingen gelegen. Die Flüchtlinge werden meist schon in ihren Herkunftsländern oder Regionen überprüft und im Erfolgsfall per Flugzeug in die USA gebracht.
Der Streit um die Obergrenze und Bidens nun vollzogene Wende ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die der Demokrat bei der Neugestaltung der amerikanischen Flüchtlings- und Migrationspolitik hat. Bidens anfängliche Zurückhaltung, die Flüchtlingsobergrenze anzuheben, ließ sich auch als Zeichen dafür werten, dass er die Kritik am Umgang mit der Migration an der US-Südgrenze zu Mexiko anerkennt. Angesichts der Vielzahl ankommender Migranten werfen insbesondere die Republikaner der Biden-Regierung vor, mit ihrem liberaleren Kurs an der Grenze eine Krise ausgelöst zu haben.