Wer sagt uns, wer die Guten und wer die Bösen sind?
Je erbitterter und verbitterter man sich diese Frage in einem Umfeld massiver Denunziationen, Verleumdungen und haltlosen Vorwürfen stellt, desto schwieriger wird es, eine Antwort darauf zu finden. Die Kernlosigkeit und Unzuverlässigkeit, mit der die Corona-Debatte geführt wird, ist unverkennbar – und doch sind es Teile unserer alltäglichen Realitäten.
Die aktuellen Lockerungen im öffentlichen Leben dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamte deutsche Gesellschaft kurz vor einem politischen Nervenzusammenbruch steht. Eine Wohlstandsgesellschaft kann nicht normal bleiben, wenn sie über mindestens sieben Jahre hinweg (seit 2013) permanent unter Hochspannung steht.
Kaum hat das ganze Land ein Gefühl der Erleichterung erfasst, schon wird mit einem Paukenschlag der nächste Streit in die Gesellschaft getragen. Der Klima-Disput, der mit voller Wucht eine neue Stufe der Emotionalisierung herbeiführen wird, wird nicht nur den Wahlkampf, sondern auch die kommende Legislaturperiode dominieren. Dies wird der Vorgang sein, wie er unverkennbar, abgerückt und klar in einer späteren Epoche vor der rückschauenden Betrachtung stehen wird. All jene politischen Begriffe, wie wir sie bisher gekannt haben, haben ihre Bedeutungen verwirkt. Nichts von dem, was wir bisher gekannt haben, konnte seinen Fortbestand bewahren. Und doch versuchen die Menschen, sich eigenständig Orientierungshilfen zu schaffen, die nicht selten ins Irrationale abgleiten.
Doch den Bürgern ist kein Vorwurf zu machen. Denn diese Irrationalität ist das Ergebnis einer Emotionalisierung der gesamten gesellschaftlichen Debatte, die von einigen Politikern jeglicher Couleur nicht in etwa gebremst, sondern sogar vorsätzlich gefördert und befördert wird. Das Gefühl, dass in Deutschland und Europa angesichts der politischen Entwicklungen in Richtung des Radikalismus die nächste und wahrscheinlich finale Zivilisationskatastrophe stattfinden könnte, gewinnt an Stärke. Denn die menschlichen Raubtierinstinkte werden erneut Schritt für Schritt geweckt. Das kann nicht gut ausgehen.
Wer glaubt, dass die Wucht der Corona-Debatte alsbald überwunden sein wird, der täuscht. Die Klima-Debatte wird alle Grenzen des Anstands und der bisher gültigen Konventionen sprengen. Sie wird die radikalen Ränder wachsen lassen. Die Positionierung in die eine oder andere Richtung fällt mir persönlich deshalb so schwer, weil meine Beobachtungen den nachweislichen Schluss zulassen, dass es nicht in etwa um das Wohl der Gesellschaft, sondern um Agenden geht, die von partikularen Interessen geleitet werden.
Ein Gefühl der geistigen Leere überkommt den Menschen, wenn er sich zwischen Lagern entscheiden muss, die jeweils die Gegenseite als „Verschwörungstheoretiker“ oder „Volksverräter“ brandmarken. Ein Prozess der doppelten Inquisition findet statt, bei dem vom normalen Bürger mit einer unglaublichen Radikalität verlangt wird, sich zu positionieren. Es ist völlig egal, wie man persönlich argumentiert. Unterstellt wird dem Zuschauer immer wieder eine vorsätzliche zerstörerische Intention – ausgerechnet von denjenigen, die im Ring stehen.
Wie sinnlos die Erklärungen, wie unendlich töricht die Rechtfertigungsversuche – jedoch auch, wie hoffnungslos und hilflos die rhetorischen Notkonstruktionen, mit denen man versucht, an seiner eigenen Normalität festzuhalten, um nicht in den Strudel dieses ekelhaften Grauens hineingezogen zu werden.
Doch wer sagt uns nun, wer die Guten und wer die Bösen sind?