Deutschland

Mehr Arbeit, weniger Urlaub: Institut der deutschen Wirtschaft stellt umstrittene Forderung

Das Institut der deutschen Wirtschaft fordert, dass in Deutschland die Arbeitszeit erhöht wird. Doch der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft kritisiert die Forderung scharf: „Das Gebot der Stunde für Wachstum und Beschäftigung sind Investitionen und Innovation, keine Urlaubskürzungen“, so der Verband.
15.06.2021 16:50
Aktualisiert: 15.06.2021 16:50
Lesezeit: 2 min
Mehr Arbeit, weniger Urlaub: Institut der deutschen Wirtschaft stellt umstrittene Forderung
Die Deutschen gehören zu den fleißigsten Arbeitnehmern. (Foto: dpa) Foto: Martin Gerten

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) plädiert für längere Arbeitszeiten in Deutschland. Es führt in einer Mitteilung aus: „Nach einer goldenen Dekade des deutschen Arbeitsmarktes stand der Staatshaushalt dank des gestiegenen Steuer- und Beitragsaufkommens vor der Corona-Pandemie glänzend da. 2020 sank das Bruttoinlandsprodukt jedoch um knapp fünf Prozent, das Arbeitsvolumen brach um 4,7 Prozent ein. Als mittelfristige Herausforderung kommt der demografische Wandel hinzu, weshalb die Hoffnung, ähnlich der Dekaden nach der Finanzkrise Ende der Nullerjahre aus den Corona-Schulden einfach herauswachsen zu können, naiv anmutet. Ein Vergleich insbesondere mit der in ihrer Wirtschafts- und Sozialstruktur der Bundesrepublik ähnlichen Schweiz zeigt jedoch, dass hierzulande noch erhebliche Arbeitsmarktpotenziale brachliegen: Dort liegt die Jahresarbeitszeit je Erwerbstätigen mit elf Prozent deutlich höher als bei uns. Überträgt man die schweizerische Wochenarbeitszeit und die Jahresarbeitswochen auf das deutsche Arbeitsmarktmodell, ergibt sich ein Potenzial von 7,7 Milliarden Stunden oder 4,7 Millionen Vollzeitäquivalenten.“

Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) kritisiert den Vorschlag des IW scharf. BVMW-Chefvolkswirt Dr. Hans-Jürgen Völz teilte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten mit: „Das Gebot der Stunde für Wachstum und Beschäftigung sind Investitionen und Innovation, keine Urlaubskürzungen. Die Herausforderungen in der aktuellen Situation liegen für die Politik darin, Wachstums- und Innovationsbremsen zu lösen. Notwendig sind dafür Steuer- und Abgabensenkungen, Bürokratieabbau und neue Flexibilitätskonsense zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Konkret sollten jährliche Arbeitszeitkonten wöchentliche Höchstarbeitszeiten ablösen. Zudem sollte das Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting umgebaut und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert werden. Es spricht überdies nichts dafür, der durch die Corona-Pandemie besonders gebeutelten heimischen Tourismusbranche ein Sonderopfer abzuverlangen.“

Vollzeitkräfte gingen ihrer Arbeit im Jahr 2019 rund 41 Stunden in der Woche nach. Das waren nur rund 25 Minuten weniger als unmittelbar nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991, wie das Statistische Bundesamt am Freitag aus einer Langzeitbetrachtung zum Tag der Arbeit berichtete.

Ähnlich blieb mit 9,7 Prozent auch der Anteil von Erwerbstätigen, die wöchentlich mehr als 48 Stunden für ihren Job aufwenden. Knapp 30 Jahre zuvor hatten das 10,3 Prozent der Befragten von sich gesagt. Vor allem Führungskräfte und Selbstständige berichten von solch sehr langen Arbeitszeiten.

Wegen der vielen Teilzeitbeschäftigten ist in der betrachteten Zeitspanne allerdings die durchschnittliche Arbeitszeit sämtlicher Erwerbstätigen um fast vier Stunden auf 34,8 Stunden gesunken. Die Teilzeitkräfte waren 2019 durchschnittlich 19,5 Wochenstunden im Einsatz, so die dpa.

Gestiegen sind auch die Arbeitseinsätze außerhalb der klassischen Tageszeiten. So musste 2019 fast ein Fünftel der Beschäftigten regelmäßig auch abends zwischen 18 und 23 Uhr ran, nachts ist es dann nur noch jeder 20. Einer von vier Erwerbstätigen arbeitet regelmäßig samstags, an Sonntagen noch jeder achte.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Niedriglohn in Deutschland: 6,3 Millionen Menschen von Niedriglohnarbeit betroffen
05.12.2025

Millionen Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor. Neue Zahlen zeigen, wo Niedriglohnarbeit besonders konzentriert ist – und warum der...

DWN
Politik
Politik Rentenpaket im Bundestag: Folgen für Rentner und Beitragszahler
05.12.2025

Die Koalition bringt ihr Rentenpaket ins Finale – mit Folgen für Millionen Rentner, Beitragszahler und Familien: vieles klingt gut. Doch...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie leichter: Analystenkommentar von Bank of America bewegt Rüstungsaktien
05.12.2025

Zur Börseneröffnung am Freitag geraten deutsche Rüstungsaktien in Bewegung: Ein US-Großbank-Analyst sortiert seine Favoriten neu....

DWN
Politik
Politik Neuer Wehrdienst: So soll das Modell ab 2026 greifen
05.12.2025

Deutschland steht vor einem Neustart des Wehrdienstes: Fragebögen, Musterung und ambitionierte Zielzahlen sollen die Truppe rasch...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Auftragseingang in der deutschen Industrie steigt unerwartet kräftig
05.12.2025

Unerwartet starke Impulse aus der deutschen Industrie: Die Bestellungen im Verarbeitenden Gewerbe ziehen an und übertreffen Prognosen...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs aktuell: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der DAX geht mit Rückenwind in den Freitag: Vor wichtigen charttechnischen Marken fehlt ein US-Jobbericht, während am europäischen...

DWN
Politik
Politik Kurzarbeitergeld 2026: Warum die Bezugsdauer weiter verlängert werden soll
05.12.2025

Die derzeitige Sonderregelung, die eine Verlängerung der maximalen Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld auf bis zu 24 Monate ermöglicht,...

DWN
Politik
Politik EU-Finanzierungsplan: EU prüft Kreditmodell mit eingefrorenem Russland-Vermögen
05.12.2025

Die EU sucht nach einem Weg, die Ukraine trotz politischer Blockaden weiter zu unterstützen. Kann ein neues Finanzinstrument auf Basis...