Technologie

Basiert die EU-Klimapolitik auf einem massiven Rechenfehler?

170 Wissenschaftler haben einen Brandbrief an die EU geschrieben. Ihrer Ansicht nach basiert die Förderung der Elektromobilität auf einem massiven Rechenfehler.
21.06.2021 17:27
Lesezeit: 2 min

Hat sich die Politik beim Beitrag des Elektroautos fürs Klima grundlegend verrechnet? Leider ja, sagen 170 Wissenschaftler aus aller Welt. «Die Zahlen suggerieren ein Einsparpotenzial, das wir nicht haben», sagt Professor Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Denn der Strommix sei schlicht falsch berechnet worden.

«Die Frage ist nicht: Elektroauto oder Verbrenner. Die Frage ist: fossil oder nicht», sagte Koch. In einem offenen Brief an die EU-Kommission äußerten die Wissenschaftler ihre Bedenken. Denn die EU ist gerade dabei, ihre CO2-Vorgaben für die neu zugelassenen Autos in Europa noch einmal zu verschärfen.

Mit 453 000 verkauften Elektro- und Plug-in-Fahrzeugen im ersten Quartal ist Europa China mit 489 000 E-Autos dicht auf den Fersen. Und nach Ländern ist Deutschland heute sogar schon zweitgrößter E-Auto-Markt der Welt, mit fast 250 000 neu zugelassenen Elektroautos bis Ende Mai. VW gehört inzwischen zu den Treibern der Entwicklung. Bis 2030 will Volkswagen nur noch ein Drittel seiner Autos mit Benzin- oder Dieselmotor verkaufen. Mercedes-Benz und BMW peilen einen Anteil von etwa 50 Prozent an.

Aber einen festen Termin für das Ende des Verbrenners wollen die Konzerne nicht festlegen. Zu unterschiedlich sind die Märkte und die Wünsche der Kunden, zu unterschiedlich auch die politischen Vorgaben. Dazu kommt noch die Ladeinfrastruktur, die in vielen Ländern fehlt, auch in Europa. Und weil es letztlich ja um Klimaschutz geht, ist noch viel wichtiger, woher der Strom für die E-Autos eigentlich kommt.

Mit Strom aus Kohle oder Öl sehe er keinen großen Sinn in der Umstellung auf E-Antriebe, sagte VW-Chef Herbert Diess bei der Bilanz-Pk. «Ein moderner Diesel ist klimafreundlicher als ein Elektrofahrzeug, das mit Kohlestrom geladen wird», sagte BMW-Chef Oliver Zipse der «Passauer Neuen Presse/Donaukurier» (Montag). Er habe «große Sorge», ob es genug Ökostrom geben werde.

Die EU-Kommission geht bei ihren Vorgaben davon aus, dass der Strom mit dem Ausbau von Wind- und Solaranlagen sauberer werden wird. Nein, sagen Koch und seine Kollegen. Denn der Strombedarf wird noch mehr steigen - und dann stimmt die ganze Rechnung nicht mehr.

Die Bundesregierung will bis 2030 nicht nur 10 Millionen Elektroautos auf der Straße haben, sondern auch Industrie und Heizung rasch umstellen. Der Strombedarf in Deutschland werde bis 2030 von 56 auf 57 Gigawatt zulegen, sagt Koch. In 6000 von den 8760 Stunden im Jahr werde es neben Ökostrom auch mehr Strom aus fossilen Kraftwerken brauchen. Das habe die Politik in ihren Debatten und Rechnungen aber übersehen, auf jeden Fall nicht mitgerechnet. Dann könnten die realen CO-2-Emmission viel höher sein als von der Politik veranschlagt - in der Summe sogar doppelt so hoch.

Die Wissenschaftler seien sich alle einig, dass das Klima geschützt und der CO-2-Ausstoß gesenkt werden müsse, betonte Koch. «Dafür brauchen wir auch das E-Auto.» Aber die Vorgaben favorisierten das E-Auto auch da, wo es dem Klima gar nichts nütze.

Wenn Ökostrom nicht mit Gas-, Öl- und Kohlestrom, sondern mit Atomstrom ergänzt würde, sähe die Rechnung besser aus. Aber das sei eine politische Entscheidung der Deutschen, sagte Koch. Wenn die heutigen Verbrenner statt Benzin und Diesel CO2-neutral hergestellten synthetischen Kraftstoff tanken würden, ließen sich dagegen 25 Prozent CO2 einsparen. Aber auch da gingen Politik und Industrie heute einen anderen Weg. Im Interesse des Klimas sollte die EU-Kommission ihre Haltung vor dem nächsten Schritt noch einmal bedenken, so der Appell der Wissenschaftler.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin 2026: Droht der nächste Crash oder ein neuer Reifegrad des Marktes?

Wie sich Bitcoin im Jahr 2026 verhalten wird, lässt sich nicht eindeutig voraussagen. Was sich jedoch belastbar analysieren lässt, sind...

DWN
Panorama
Panorama Corona-Impfschäden: Wann haften Hersteller für Gesundheitsfolgen?
16.12.2025

Kopfschmerzen, Fieber oder sogar Hörverlust – treten nach einer Corona-Impfung gesundheitliche Probleme auf, suchen Betroffene häufig...

DWN
Finanzen
Finanzen Neues Silberpreis-Rekordhoch: Warum das Edelmetall vor einer historischen Neubewertung steht
15.12.2025

Die Silber-Rallye ist ungebrochen und die Kurse eilen von einem Allzeithoch zum nächsten. Warum trotz neuem Silberpreis-Rekordhoch zum...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gewinneinbruch bei Autobauern: Deutsche Hersteller besonders unter Druck
15.12.2025

Die weltweite Krise der Autoindustrie macht den deutschen Herstellern stärker zu schaffen als vielen internationalen Wettbewerbern. Eine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vertrauensverlust im Mittelstand: Wirtschaft zweifelt an Merz:
15.12.2025

Das Vertrauen des deutschen Mittelstands in die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) nimmt deutlich ab. Laut einer aktuellen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft 63.000 Jobs bedroht: Ostdeutsche Chemiebranche drängt auf Rettungsplan
15.12.2025

Die Chemieindustrie in Ostdeutschland steht unter Druck: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben der Bundesregierung einen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bahnhofstoiletten bleiben kostenpflichtig: DB sieht keinen Spielraum
15.12.2025

Kostenlose Toiletten an Bahnhöfen sind in Deutschland selten. Laut Bundesregierung sieht die Deutsche Bahn aus Kostengründen keine...

DWN
Finanzen
Finanzen Barzahlen wird zur Ausnahme: Bundesbank sieht Akzeptanzlücken
15.12.2025

Bargeld ist in Deutschland nach wie vor beliebt, doch in Ämtern und Behörden stößt man damit nicht immer auf offene Türen. Die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bauern protestieren gegen niedrige Butterpreise bei Lidl
15.12.2025

Mit Traktoren demonstrieren Landwirte in Baden-Württemberg gegen aus ihrer Sicht ruinöse Milch- und Butterpreise. Im Fokus der Kritik...