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Lagebericht Zentralasien: Pakistan lehnt Stationierung von US-Spezialeinheiten ab

Lesezeit: 4 min
23.06.2021 10:40  Aktualisiert: 23.06.2021 10:40
Der pakistanische Premierminister Imran Khan schließt eine Stationierung von amerikanischen Spezialkräften in Pakistan aus - ein Rückschlag für das Bemühen der US-Regierung, auch nach dem Abzug aus Afghanistan in der Region präsent zu sein.
Lagebericht Zentralasien: Pakistan lehnt Stationierung von US-Spezialeinheiten ab
Aschraf Ghani (l), Präsident von Afghanistan, mit Imran Khan (r), Premierminister von Pakistan. (Foto: dpa)

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Der pakistanische Premierminister Imran Khan hat eine Stationierung von Spezialeinheiten der US-Armee oder des Geheimdienstes CIA in Pakistan für Anti-Terrorismus-Einsätze im Nachbarland Afghanistan kategorisch ausgeschlossen. Pakistan werde dies „auf gar keinen Fall“ erlauben, sagte Khan dem Magazin Axios in einem Interview.

Analysten zufolge steht Khan - welcher sich bereits in der Vergangenheit mehrfach gegen eine Stationierung von US-Truppen ausgesprochen hatte - politisch unter starkem Druck der Mehrheit der Bevölkerung, die eine Präsenz der Amerikaner im Land ablehnt. Im Pentagon hat man die Hoffnungen aber Axios zufolge noch nicht aufgegeben, doch noch eine diskrete Einigung mit den pakistanischen Behörden in der Frage erzielen zu können.

Die USA und Pakistan stehen seit Jahrzehnten mit Blick auf den Einsatz von Isaf-Truppen in Afghanistan in einem sonderbaren Verhältnis zueinander. Einerseits haben US-Kräfte seit Beginn des Afghanistan-Engagements im Jahr 2001 hunderte Drohnenangriffe und Einsätze von Spezialeinheiten gegen die Taliban und andere Terrorgruppen von Pakistan aus lanciert. Andererseits gilt das pakistanische Militär als wichtigster Förderer der Taliban, welche sich organisatorischer, materieller und finanzieller Hilfe aus dem Nachbarland erfreuen können.

US-Präsenz in der Region gefährdet?

Sollte Pakistan die Ankündigung des Premierministers tatsächlich umsetzen, hätte die US-Regierung künftig Schwierigkeiten, ihre Präsenz in der Region zu gewährleisten. US-Präsident Joe Biden hatte mehrfach angekündigt, auch nach dem Abzug der US-Truppen zum 11. September Kräfte in der Region zu unterhalten, um gegen die Taliban und andere Terrorgruppen wie al Kaida und den Islamischen Staat in Afghanistan vorgehen zu können.

Afghanistan wird im Westen vom Iran begrenzt, hier schließt sich eine Stationierung von US-Einheiten von Vorneherein aus. Im Norden liegen die zentralasiatischen Staaten Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan, welche vornehmlich unter einem russischen Einfluss stehen.

Russland verfügt zudem in Tadschikistan über eine Luftwaffenbasis - ebenso wie China. Die USA unterhalten derzeit hingegen keine Station in einem der fünf zentralasiatischen Länder Kasachstan, Krigistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan.

Ein Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre zeigt jedoch, dass die Möglichkeit einer Stationierung von US-Truppen besteht. So berichtet Radio Free Europe, dass die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Anfang des Jahrtausends sowie die Aktivität zentralasiatischer Islamisten in Afghanistan „die Regierungen Kirgistans, Tadschikistans und Usbekistans für die Idee erwärmte, den USA und dessen Verbündeten eine Nutzung ihres Territoriums zu erlauben, inklusive Militärbasen, um einen Feldzug gegen die Taliban und ihre terroristischen Verbündeten zu führen. US-Einheiten wurden daraufhin in die Khanabad-Basis in Usbekistan, den Flughafen von Bischkek in Krigistan und für kurze Zeit zum Luftlandeplatz Kulob in Tadschikistan entsendet. (...) Auch andere Nato-Truppen wurden in Zentralasien stationiert. Deutschland nutzte einen Stützpunkt in der Nähe von Termes in Usbekistan und französische Truppen nutzten den Flughafen nahe der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe.“

Tatsächlich endete das Engagement der meisten Nato-Truppen in Zentralasien aber bereits im Jahr 2014. Zudem versuchen Russland und China, einen Aufbau neuer US-Kapazitäten in Zentralasien weitestgehend zu verhindern.

China gilt nicht nur als wichtigster Verbündeter Pakistans, sondern verstärkt zudem seinen Einfluss auf die fünf zentralasiatischen Staaten im Rahmen des C+C5-Formats, der Shanghai Cooperation Organization und des Seidenstraßen-Projekts. Angesichts des politischen und wirtschaftlichen US-Feldzuges gegen China kann es nicht im Interesse der Regierung in Peking liegen, dass die US-Armee in Zentralasien neue Stützpunkte eröffnet - zumal die Region an die westchinesische Provinz Xinjiang grenzt, in der es in den vergangenen Jahren mehrfach Probleme mit separatistischen oder terroristischen Aktivitäten gab.

Wie Nikkei Asia berichtet, verstärkt Russland zudem seinen Einfluss auf die Staaten Zentralasiens mit Blick auf den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan beträchtlich - wohl, um diese Länder gegenüber den kommenden Avancen der US-Regierung zu immunisieren. So hielt das russische Militär in den vergangenen Monaten mehrere gemeinsame Übungen mit Ländern der Region ab. Ergänzt wurden die Übungen durch umfangreiche Waffengeschäfte und dem Bestreben, die Luftabwerhrsystem der Staaten mit Russlands Systemen zu integrieren.

„Fast 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfügt Russland noch immer über einen signifikanten militärischen Fußabdruck in Zentralasien. Moskau ist der wichtigste Waffenhändler und unterhält tausende Soldaten in Stützpunkten in Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan. Diese drei Länder sind zudem Mitglieder der Collective Security Treaty Organiszation - einer von Russland angeführten Militärallianz“, schreibt Nikkei Asia.

Den Regierungen in Zentralasien sind jedoch auch die Vorteile einer Stationierung von US-Truppen bewusst - etwa die Schaffung eines diplomatisch nützlichen Gegengewichts zu Russland und China und die militärische Expertise der USA beim Kampf gegen radikalislamische Landsleute in Afghanistan, welche eines Tages in ihre Heimat zurückkehren und die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen könnten.

Nach Taliban-Vormarsch: Parteien schicken Bewaffnete

Nach den Offensiven der militant-islamistischen Taliban im Norden des Landes haben sich Zivilisten und Anhänger verschiedener politischer Parteien bewaffnet und den Sicherheitskräften der Regierung angeschlossen. Das bestätigten lokale Behördenvertreter der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag.

In der Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif etwa hätten politische Parteien oder Figuren insgesamt rund 2000 Männer zum Schutz der Stadt gesandt, sagte die Parlamentarierin Fausia Hamidi. Am Montag waren mehrere Bezirke in der Provinz Balch an die Taliban gefallen und kurzzeitig Taliban-Kämpfer am Westtor von Masar-i-Scharif aufgetaucht. Das Westtor befindet sich rund 15 Kilometer von Camp Marmal, wo noch Soldaten der Bundeswehr stationiert sind. Für das Camp bestehe keine Bedrohung, hieß es weiter.

Lokale Medien berichteten auch aus den Provinzen Tachar und Badghis über Zivilisten, die sich den Sicherheitskräften anschlossen. Am Sonntag hatte der neue amtierende Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi Menschen dazu aufgerufen, die Sicherheitskräfte zu unterstützen. Die Regierung werde sie dafür mit allem Nötigen versorgen.

Der Vormarsch der Taliban dauert an. Binnen 24 Stunden fielen mindestens zehn Bezirke in sieben verschiedenen Provinzen im Norden und Süden an die Islamisten, bestätigten Provinzräte am Dienstag. Seit Beginn des offiziellen Abzugs der US- und Nato-Truppen aus dem Krisenland haben die Taliban somit 60 Bezirke neu erobert. Afghanistan ist in 34 Provinzen und rund 400 Bezirke unterteilt.


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