Politik

Rassismus und Randale: Englands Fußball-Märchen verwandelt sich in einen Alptraum

Schwere Ausschreitungen und rassistische Beleidigungen gegen die eigenen Spieler folgen der Finalniederlage gegen Italien. Inzwischen liegen die Nerven auch in der Politik blank, das Thema hat tiefe Gräben aufgerissen.
13.07.2021 15:15
Aktualisiert: 13.07.2021 15:15
Lesezeit: 5 min
Rassismus und Randale: Englands Fußball-Märchen verwandelt sich in einen Alptraum
Menschen platzieren Unterstützungsbotschaften auf Müllsäcken, die über den beleidigenden Schriftzug auf dem Wandbild von Manchester United-Stürmer und England-Spieler Marcus Rashford an der Wand des Coffee House Cafe in der Copson Street, Withington, befestigt wurden. (Foto: dpa) Foto: Martin Rickett

Nach der Niederlage der englischen Nationalmannschaft im EM-Finale gegen Italien wird in Großbritannien heftig über Rassismus debattiert. Im Zentrum stehen mehrere prominente Fußball-Profis, die der Regierung teils schwere Vorwürfe machen. Hintergrund sind rassistische Anfeindungen im Internet gegen die Nationalspieler Marcus Rashford, Bukayo Saka und Jadon Sancho, die bei der 2:3-Niederlage im Elfmeterschießen am Sonntagabend nicht getroffen hatten. In Manchester wurde auch ein Wandgemälde mit dem Porträt Rashfords mit rassistischen Parolen beschmiert.

Verteidiger Tyrone Mings machte die britische Innenministerin Priti Patel indirekt für die aufgeheizte Stimmung gegen die Spieler verantwortlich. «Man kann nicht zu Beginn des Turniers das Feuer schüren, in dem man unsere Anti-Rassismus-Botschaft als "Symbolpolitik" bezeichnet & dann vorgeben, angeekelt zu sein, wenn genau das passiert, gegen das wir uns einsetzen», schrieb der 28 Jahre alte Mings auf Twitter.

Patel hatte wie auch Premierminister Boris Johnson den Rassismus deutlich verurteilt und sich «angeekelt» gezeigt. Doch das nahmen ihr Mings und andere Kritiker nicht ab. Hintergrund ist, dass die konservative Politikerin in der Vergangenheit immer wieder Verständnis für Fans erkennen ließ, die ihre Mannschaft für das Niederknien vor Spielen ausbuhten.

Mit der Geste wollten die Fußballer ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Sie stammt aus der «Black Lives Matter»-Bewegung. Die haben Johnson und sein Kabinett aber als ideologischen Feind ausgemacht. Das Stichwort heißt «war on woke» - es geht darum, die Empörung in Teilen der Bevölkerung über die angeblich übertriebene Rücksichtnahme auf ethnische und andere Minderheiten politisch auszuschlachten.

Nach Ansicht von Politik-Experten will die Regierung damit ihre wackelige Wählerkoalition aus Brexit-Befürwortern vom rechten und linken politischen Spektrum zusammenhalten, wenn der EU-Austritt an Zugkraft verliert. Auch der Premier hatte es sorgsam vermieden, die Geste gutzuheißen. Er glaube nicht an Symbolpolitik, sagte er dem konservativen Radiosender LBC Anfang des Monats.

Patel äußerte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen. Überhaupt war die Zurückhaltung in der Downing Street am Dienstag auffällig. Von politischer Seite stellte sich lediglich Finanzstaatssekretär Steve Barclay hinter die Innenministerin. «Sie hat rassistische Beleidigungen im Internet durchgehend verurteilt», sagte Barclay dem Nachrichtensender Sky News. Außerdem sei sie selbst bereits Opfer rassistischer Anfeindungen geworden. Patel hat indisch-ugandische Wurzeln, gründete ihre politische Karriere aber auf dem Ruf, eine harte Linie gegen illegale Einwanderung zu verfolgen.

Womöglich ahnt die Regierung, dass sie in der Auseinandersetzung mit den populären Fußballstars den Kürzeren ziehen könnte. Rashford hatte die Johnson-Regierung bereits im vergangenen Jahr mit seiner Kampagne für kostenlose Schulmahlzeiten für finanziell schwache Familien während des Schul-Lockdowns und der Ferien vor sich hergetrieben.

In einer emotionalen Botschaft meldete er sich zu der Beschmutzung seines Porträts zu Wort. «Ich kann mir Kritik an meiner Leistung den ganzen Tag lang anhören, mein Elfmeter war nicht gut genug, er hätte reingehen sollen, aber ich werde mich niemals dafür entschuldigen, wer ich bin und wo ich herkomme», schrieb der 23-Jährige.

Er bedankte sich aber auch für große Unterstützung. Die Schmierereien waren am Dienstag rasch mit Hunderten positiven Botschaften überklebt worden. «Die Botschaften, die ich heute erhalten habe, waren geradezu überwältigend, die Antwort in Withington hat mich den Tränen nahe gebracht», schrieb Rashford weiter. Wegen seines Fehlschusses fühle er sich, als habe er seine Teamkollegen im Stich gelassen und frage sich seitdem immer wieder, warum er nicht getroffen habe.

Sein Statement schloss er mit den Worten: «Ich bin Marcus Rashford, 23 Jahre alt, schwarzer Mann aus Withington und Wythenshawe, South Manchester. Wenn ich nichts anderes habe, habe ich dies. Für alle freundlichen Nachrichten, danke. Ich werde stärker zurückkommen. Wir werden stärker zurückkommen. MR10.»

Für Johnson sind die jungen Fußballer womöglich gefährlicher als die Opposition im Parlament. Der Premier inszenierte sich während des Turniers als Fußball-Fan, ließ sich bei Luftsprüngen vor dem Fernseher filmen und posierte auf einer gigantischen England-Fahne in der Downing Street. Die Begeisterung nahm ihm zwar nicht einmal die erzkonservative Zeitschrift «The Spectator» so richtig ab, doch zeitweise sah es so aus, als könne er von dem Fußball-Märchen der englischen Mannschaft profitieren. Doch damit ist es nun vorbei.

Wann der Premier die Mannschaft zu einer Ehrung für ihre Leistung bei der EM im Regierungssitz empfangen werde, konnte ein Sprecher am Dienstag nicht beantworten.

Englands Unterschicht verliert die Nerven

Die Spuren des Chaos einer unrühmlichen englischen Fußball-Nacht waren nicht zu übersehen. Vor dem Wembley-Stadion bot sich den letzten Enttäuschten auf dem Weg nach Hause ein Meer aus kaputten Bierdosen und sonstigem Abfall, auch um den Trafalgar Square und Piccadilly Circus türmte sich in der Nacht der Müll. Die Londoner Polizei meldete am Montag knapp zwei Dutzend verletze Beamte, der englische Verband FA verurteilte, dass Fans versucht hatten, das Finalstadion zu stürmen - und die niedergeschlagenen Spieler in den Sozialen Medien rassistisch beleidigt wurden.

Prinz William sprach am Montag von inakzeptablem und «abscheulichem Verhalten». «Es muss jetzt aufhören, und alle Beteiligten sollten zur Rechenschaft gezogen werden», twitterte der Queen-Enkel. Die rassistischen Kommentare würden ihn «krank» machen. «Wir könnten nicht deutlicher machen, dass jeder, der hinter solch widerlichem Verhalten steckt, als Anhänger unseres Teams nicht willkommen ist», teilte die FA mit, der Prinz William vorsteht. «Wir werden tun, was wir können, um die betroffenen Spieler zu unterstützen und drängen zugleich auf die härtest möglichen Strafen für jeden, der verantwortlich ist.» Die Londoner Polizei kündigte Ermittlungen an.

Rashford, der bei Manchester United spielt, hatte in der abgelaufenen Saison mehrfach rassistische Beleidigungen gegen ihn öffentlich gemacht. «Was zur Hölle denken sich diese Menschen?!», sagte am Montag Ex-Nationalspieler Alan Shearer bei der BBC. «Was stimmt mit ihnen nicht?! Das ist so lächerlich, absolut ekelhaft.» Die Diskussion wird hängen bleiben von diesem EM-Finale - ebenso die Bilder stark betrunkener und ausfällig gewordener Fans.

Zwar hatten rund um das Finale Zehntausende friedlich gefeiert. In den Straßen rund um das von Neubauten umgebene Wembley-Stadion wurden immer wieder die Turnierhits «Football's coming home» und «Southgate You're The One» gesungen. Einigen Engländern stieg der Finaleinzug der Three Lions aber sichtbar zu Kopf. Abgesehen von der fast zu erwartenden Randale auch in der Innenstadt war es an den Sicherheitszäunen des Stadions zu hässlichen Szenen gekommen.

Dutzende hatten versucht, ohne Tickets Zutritt zu erlangen. Die FA schrieb von «einer Gruppe von Menschen», Videos in den Sozialen Medien zeigten teils chaotische Szenen im dichten Gedränge. Berichten aus dem Stadion zufolge besetzten etliche Menschen ohne Tickets Plätze der eigentlichen Karteninhaber. Mehrere Hundert Fans waren ohne Aussicht auf den Zutritt zum Stadion gefahren, die Polizei sperrte im Laufe des Spiels ab.

«Das ist völlig inakzeptabel», teilte der Verband mit, der ankündigte, gemeinsam mit den Behörden gegen jeden vorzugehen, «der illegal in das Stadion eingedrungen ist». Die Polizei teilte mit, dass in London 86 Menschen wegen einer Vielzahl von Straftaten festgenommen worden seien, davon 53 in Wembley. Corona-Verstöße gehörten wohl kaum dazu. 19 Londoner Polizisten wurden demnach verletzt. Landesweit wurden Hunderte Randalierer festgenommen.

Die Beamten dankten zugleich den friedlichen Fans. Unmittelbar nach dem Spiel hatte die Polizei versucht, Menschenansammlungen vor dem Stadion aufzulösen. Es flogen Bierflaschen. «Diese Leute sind eine Peinlichkeit für die englische Mannschaft und alle wahren Fans, die eines der wichtigsten Spiele unserer Geschichte genießen wollten», twitterte die FA, die sich gemeinsam mit den weiteren britischen sowie dem irischen Verband um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2030 bewerben will. Gute Werbung waren die Videos und Bilder von Sonntagabend nicht.

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