Politik

Orbán droht mit Veto gegen umstrittenen Green New Deal der EU

Lesezeit: 5 min
16.07.2021 12:14  Aktualisiert: 16.07.2021 12:14
Ungarns Premier Viktor Orbán hält nicht viel von dem jüngsten EU-Klimapaket. Das Paket werde dazu führen, dass die Steuern für die Bürger erhöht werden, ohne die wirklichen Umweltverschmutzer zur Kasse zu bitten. Er droht mit einem Veto.

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Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat angekündigt, das Klimapaket der EU blockieren zu wollen.

„Die Wahl der Instrumente der Europäischen Kommission ist unhaltbar und inakzeptabel, weil sie zu Steuern auf Immobilien und Autos führen würde, anstatt die Umweltverschmutzer bezahlen zu lassen. Dies würde auch die Ergebnisse von Preissenkungen bei den Versorgungsunternehmen (in Ungarn) zerstören. Daher ist dieser Vorschlag für Ungarn in der gegenwärtigen Form inakzeptabel und da Einstimmigkeit erforderlich ist, kann die EU diesen Vorschlag nicht umsetzen“, zitiert „Bloomberg“ Orbán.

Im Klimapaket sehen Experten einen Versuch der EU, die europäischen Bürger und Unternehmen zum Wandel zu zwingen.

„Die Implementierung könnte sich als logistischer Albtraum erweisen“, sagte James Whiteside, globaler Leiter der Multi-Commodity-Forschung bei Wood Mackenzie.

Die CO2-Preise am Mittwoch zunächst in die Höhe, als die Maßnahmen eingeführt wurden. Die rasanten Preissteigerungen im aktuellen Emissionshandel haben bereits zu Klagen – vor allem aus osteuropäischen Ländern – geführt. Die Preissteigerungen führen dazu, dass die Kosten für Investitionen in saubere Technologien nicht mehr möglich werden. Simone Tagliapetra von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel sagte, dass das aktuelle Klimapaket der EU nur „das erste Kapitel der Geschichte“ darstelle. „Wir werden in den nächsten zwei bis drei Jahren viele Reibungen und Spannungen erleben. Europa wird zu einem globalen Labor für eine tiefgreifende Dekarbonisierung und die Welt wird die Möglichkeit haben, zu lernen, wie man Klimaziele erreicht“, so Tagliapietra.

Ein Überblick über das Klimapaket der EU

Strengere Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos

Der Stand der Dinge:

Der Verkehr ist der einzige wichtige Sektor in der EU, in dem in den vergangenen Jahrzehnten kein signifikanter Rückgang der Treibhausgasemissionen verzeichnet wurde. Laut Umweltbundesamt stiegen zum Beispiel in Deutschland die gesamten Kohlendioxid-Emissionen des Pkw-Verkehrs zwischen 1995 und 2019 um 5,1 Prozent an, im Straßengüterverkehr waren sie 2019 sogar um 21 Prozent höher als 1995. Grund ist die deutliche Zunahme an gefahrenen Kilometern - dass Autos und Laster heute im Durchschnitt weniger Treibhausgase emittieren als noch 1995, linderte die Entwicklung lediglich ab.

Bisher gilt, dass der CO2-Ausstoß bei Neuwagen 2030 im Schnitt um 37,5 Prozent niedriger sein muss als 2021. Hersteller, deren Flottenemissionen die Grenzwerte überschreiten, sollen dann eine Abgabe für alle zusätzlichen CO2-Emissionen zahlen.

Was sich ändern soll:

Die EU-Kommission schlägt vor, die Zielvorgabe auf einen Wert von 55 Prozent anzuheben. Zudem sollen alle Neuwagen ab 2035 emissionsfrei sein. Dabei soll es jedoch eine Überprüfungsklausel geben. Demnach soll alle zwei Jahre analysiert werden, wie weit die Hersteller sind; 2028 soll ein großer Prüfbericht folgen. Theoretisch könne das Datum 2035 dann noch verschoben werden.

Mögliche Probleme:

Die Autoindustrie warnt vor einseitigen Auflagen. Der europäische Herstellerverband Acea machte zuletzt deutlich, dass er eine deutliche Verschärfung von CO2-Grenzwerten nur dann für machbar hält, wenn es gleichzeitig verbindliche Vorgaben für mehr Infrastruktur für Elektrofahrzeuge gibt.

Weniger Verschmutzungsrechte für die Industrie

Der Stand der Dinge:

Um den Treibhausgasausstoß der EU zu senken, wurde bereits 2005 das sogenannte Emissionshandelssystem (EU-ETS) eingerichtet. Es sieht vor, dass bestimmte Unternehmen für den Ausstoß von Kohlendioxid, Lachgas und perfluorierten Kohlenwasserstoffen Verschmutzungszertifikate brauchen, die sie entweder ersteigern müssen oder kostenlos zugeteilt bekommen. Da die Menge der zur Verfügung stehenden Zertifikate kontinuierlich sinkt und sie auch im Nachhinein gehandelt werden können, gibt es für Unternehmen einen großen Anreiz, ihre Emissionen soweit wie möglich zu reduzieren.

Derzeit gilt das Emissionshandelssystem für mehr als 10 000 Anlagen im Stromsektor und in der verarbeitenden Industrie sowie die Emissionen durch den innereuropäischen Luftverkehr. Insgesamt deckt es rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU ab. Derzeit wird die Obergrenze für die Zahl der Zertifikate jährlich um 2,2 Prozent verringert.

Bei den übrigen großen Treibhausgas-Verursachern wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Müll wird auf Lastenteilung gesetzt. Das bedeutet, die nötige Reduzierung der Klimagase in diesen Sektoren wird mit nationalen Zielen unter den 27 EU-Staaten aufgeteilt.

Was sich ändern soll:

Das System soll überarbeitet werden, um es noch effizienter zu machen. Die EU-Kommission schlägt vor, Teile des Seeverkehrs mit einzubeziehen. Zudem soll ein eigenes Emissionshandelssystem für die im Straßenverkehr und zum Heizen von Gebäuden genutzten Brennstoffe geschaffen werden. Darüber hinaus will die Kommission die Menge der verfügbaren Verschmutzungszertifikate schneller verkleinern als geplant. Dadurch soll der Treibhausgasausstoß der vom ETS-Handel erfassten Sektoren um 61 Prozent bis 2030 verglichen mit 2005 sinken. Also 18 Prozentpunkte mehr als zuvor.

Auswirkungen für ärmere Menschen sollen über einen Sozialfonds angegangen werden. Dieser könnte einen Umfang von 144,4 Milliarden Euro haben, so könnten EU-Länder Kommissionsangaben zufolge ihren Bürgerinnen und Bürgern Geld für Investitionen in Energieeffizienz, neue Heiz- und Kühlsysteme und sauberere Mobilität zur Verfügung stellen.

Mögliche Probleme:

Der Druck auf energieintensive Branchen steigt nochmals, wenn die Vorschläge so angenommen werden. Dann wäre fraglich, was dies für Auswirkungen auf deren internationale Wettbewerbsfähigkeit hat. Wenn auch Verkehr und Gebäude von einem Emissionshandelssystem erfasst werden, kann das zu sozialen Ungerechtigkeiten führen. Es gibt EU-weit große Kaufkraft-Unterschiede, die dazu führen würden, dass Verbraucher in Ländern mit niedrigerem Einkommen überdurchschnittlich belastet würden. Das soll zwar durch den Sozialfonds ausgeglichen werden - aber ob das funktioniert, muss sich zeigen. In Ländern wie Frankreich haben etwa die Gelbwestenproteste gezeigt, was eine mögliche Steigerung von Benzin- und Dieselpreisen auslösen kann.

CO2-Grenzausgleichsmechanismus

Der Stand der Dinge:

Schon jetzt beklagen Unternehmen, dass sie wegen hoher Kosten für den Klimaschutz auf dem Weltmarkt benachteiligt sind - vor allem dann, wenn sie in direkter Konkurrenz zu Firmen stehen, die keine oder nur vergleichsweise geringe Klimaschutzkosten haben. Durch die neuen EU-Klimagesetze könnte sich die Situation noch einmal verschärfen. Zudem besteht die Gefahr, dass Unternehmen ihre Produktion aus Kostengründen in andere Länder mit weniger strengen Emissionsauflagen verlagern. Dies könnte zu einem Verlust von Arbeitsplätzen und einem Anstieg der weltweiten Emissionen führen.

Was sich ändern soll:

Die EU-Kommission will dafür sorgen, dass vergleichsweise klimaschädlich produzierte Produkte aus Drittstaaten in der EU künftig keine Wettbewerbsvorteile mehr haben. Dazu soll für bestimmte Produkte eine sogenannte CO2-Grenzabgabe eingeführt werden, die sich danach richtet, wie viele Treibhausgase bei der Produktion der Produkte entstehen und ob dafür im Ausland bereits gezahlt wurde. So könnten Waren aus Nicht-EU-Ländern mit weniger strengen Klimaschutzauflagen deutlich teurer werden. Konkret soll ab 2026 CO2 zuerst bei Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium und der Stromerzeugung eingepreist werden.

Mögliche Probleme:

Die Einführung eines sogenannten Grenzausgleichsmechanismus gilt als extrem heikel. Das liegt daran, dass er eventuell nur dann mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbar ist, wenn Unternehmen in der EU keine kostenlosen Verschmutzungszertifikate mehr bekommen. Dies wiederum bedeutet, dass energieintensive Branchen zwar auf dem heimischen Markt gegen unfaire Konkurrenz geschützt sind, nicht aber auf dem Weltmarkt. Grundsätzlich könnten zudem mit Ländern wie den USA, China und Indien neue Handelskonflikte drohen.

Und sonst noch:

Mehr erneuerbare Energien

Derzeit gilt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien spätestens im Jahr 2030 einen Anteil von 32 Prozent erreichen soll. Diese EU-weite verbindliche Zielvorgabe soll auf 40 Prozent angehoben werden.

Mehr Steuern auf Energie

Künftig sollen auch auf im Luftverkehr und in der Schifffahrt genutzte Treibstoffe Energiesteuern fällig werden. Grundsätzlich sollen Energiesteuern zudem auf Basis des Energiegehalts und der Umweltverträglichkeit der Kraft- und Brennstoffe und des elektrischen Stroms erhoben werden. Bislang ging es um das Volumen.

Emissionskompensation

Künftig sollen mehr Emissionen etwa durch Aufforstung kompensiert werden. Geplant ist beispielsweise, drei Milliarden Bäume bis 2030 zu pflanzen. Dadurch soll der Treibhausgasausstoß etwa in der Landwirtschaft ausgeglichen werden. Solange Menschen etwa Käse und Fleisch essen wollen, fallen bei der Produktion Treibhausgase wie Methan durch die Verdauung von Kühen an.

Wie es weitergeht

Jetzt fangen die eigentlichen Verhandlungen an, vor allem zwischen den Mitgliedstaaten im Rat der EU und dem Europäischen Parlament. Wie lange die Gespräche dauern, ist unklar. Grundsätzlich ist aber Eile geboten, um Industrie und Verbrauchern möglichst viel Zeit für die Umstellungen und notwendigen Einsparungen zu geben.


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