Finanzen

Letzter Verzweiflungsakt? IWF pumpt größte Geldsumme seiner Geschichte ins Finanzsystem

Lesezeit: 5 min
29.08.2021 08:06  Aktualisiert: 29.08.2021 08:06
Die Verantwortlichen wissen, dass es zu spät ist. Doch sie wollen ihrem Herrn ein letztes Mal dienen.
Letzter Verzweiflungsakt? IWF pumpt größte Geldsumme seiner Geschichte ins Finanzsystem
Pumpt eine riesige Summe ins Finanzsystem: Der IWF. Ernst Wolff analysiert den einzigartigen Vorgang. (Foto: dpa)

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Die Welt erlebt zurzeit eine historisch nie dagewesene Geldschwemme. Regierungen und Zentralbanken haben seit März 2020 bereits mehr als zwanzig Billionen Dollar ins globale Finanzsystem eingespeist, um dessen Zusammenbruch zu verhindern.

Am Montag dieser Woche hat der Internationale Währungsfonds (IWF) ebenfalls eingegriffen und 456 Milliarden Sonderziehungsrechte (SZR) an seine 190 Mitglieder vergeben. Die Summe entspricht einem Wert von 650 Milliarden US-Dollar oder 548 Milliarden Euro und ist die höchste, die der IWF je ausgezahlt hat.

Kristalina Georgiewa, geschäftsführende Direktorin des IWF, sprach von einer „historischen Entscheidung.“ Die SZR-Zuteilung werde „Vertrauen schaffen und die Widerstandsfähigkeit und Stabilität der Weltwirtschaft fördern" und darüber hinaus „insbesondere unseren schwächsten Ländern helfen, die mit den Auswirkungen der COVID-19-Krise zu kämpfen haben."

Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz lobte das Eingreifen des IWF als eine „richtige und angemessene Reaktion auf die Corona-Pandemie“ und hob hervor, dass insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländern „ein neuer Schub bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie gegeben“ werde.

Beide Äußerungen erweisen sich bei näherer Betrachtung allerdings als politisch motivierte Falschaussagen. Tatsächlich bewirkt das Vorgehen des IWF nämlich keine Verbesserung, sondern eine Verschärfung der überaus angespannten Weltlage.

Der Run aufs Gold in den 1960ern: die Geburtsstunde der SZR

Um die Bedeutung der SZR zu verstehen, muss man sich daran erinnern, dass unser gegenwärtiges, 1944 in Bretton Woods geschaffenes globales Finanzsystem rund um den US-Dollar herum aufgebaut ist und dass der IWF 1945 von den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen wurde, um das System in Krisenzeiten zu ihren Gunsten „stabilisieren“ zu können.

Die Entstehungsgeschichte der SZR geht auf die Ereignisse Mitte der 1960er Jahre zurück, als das weltweite Ausufern der Dollarmenge ein immer größeres Missverhältnis zur global vorhandenen Goldmenge erzeugte.

Da sowohl US-Dollars als auch Gold als bevorzugte Währungsreserven genutzt wurden und es zu einem immer stärkeren Run auf den Dollar kam, wurden 1969 die SZR geschaffen und als Äquivalent zu circa 0,9 Gramm Feingold definiert, was damals einem US-Dollar entsprach. Der Eingriff brachte jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Die Nachfrage nach Gold nahm weiter zu, so dass sich die USA im August 1971 gezwungen sahen, den Dollar vom Gold zu entkoppeln.

Die SZR wurden trotzdem als Krisenwährung beibehalten. Um sie nach der Freigabe der Wechselkurse im Jahr 1973 an die neue Situation anzupassen, wurde ihr Wert ab 1974 an den eines Währungskorbes mit den sechzehn weltweit wichtigsten Währungen gekoppelt. Von 2001 bis 2016 enthielt dieser Währungskorb dann allerdings nur noch den US-Dollar, den Euro, das britische Pfund und den japanischen Yen. Seit 2016 ist der chinesische Renminbi (Yuan) ebenfalls im Währungskorb enthalten.

Die SZR kamen bisher nur einmal in großem Maßstab zum Einsatz

Zwischen 1969 und 2020 hat der IWF seinen Mitgliedstaaten insgesamt 204,2 Milliarden SZR zugewiesen, was einem Wert von etwa 290 Milliarden US-Dollar (rund 244 Milliarden Euro) entspricht.

Nach einigen geringeren Vergaben zwischen 1970 und 1972 kam es erst mehr als drei Jahrzehnte später zu einem ersten Großeinsatz: Im Rahmen der Weltfinanzkrise wurden 2009 182,6 Milliarden SZR an die 190 Mitgliedsstaaten vergeben, um das damals taumelnde globale Finanzsystem vor dem Einsturz zu bewahren. Dass es bei dieser einmaligen Finanzspritze blieb, lag daran, dass anschließend die Zentralbanken in nie dagewesener Weise ins Geschehen eingriffen, immer größere Geldmengen aus dem Nichts erzeugten und diese zu immer niedrigeren Zinsen vergaben.

Diese Politik überdauerte sowohl die Eurokrise als auch den Absturz der globalen Finanzmärkte zu Weihnachten 2018, der auf den Versuch der US-Zentralbank Federal Reserve (FED) zurückging, die lockere Geldpolitik zu beenden und die Zinsen wieder anzuheben. Sie überstand auch die Probleme, die sich ab September 2019 am US-Repomarkt bemerkbar machten.

Selbst der erneute Beinahe-Crash im März 2020 führte nicht dazu, dass der IWF größere Mengen an SZR vergab. Weshalb also kommt es gerade jetzt zu dieser gewaltigen Injektion?

Das globale Währungssystem ist nicht mehr zu retten

Der Schachzug des IWF muss vor dem Hintergrund der im März 2020 entstandenen völlig neuen und geschichtlich einmaligen Situation im globalen Finanzsystem gesehen werden.

Die wegen der Lockdowns im Gefolge der globalen Gesundheitskrise erfolgte Rettung ganzer Wirtschaftsbereiche hat einen hohen Preis gefordert. Die Staaten mussten bei stark verringertem Steuereinkommen Unsummen mobilisieren, um Großkonzerne zu stützen und soziale Unruhen durch Zahlung von Ausfall- und Kurzarbeitergeldern zu vermeiden. Zudem stehen sie wegen der aktuellen Unsicherheit und der nur schleppenden Erholung der Wirtschaft nach wie vor unter hohem Druck.

Hinzu kommen zwei weitere Faktoren, die die Situation erheblich erschweren: Zum einen haben wir es weltweit mit einer schnell zunehmenden Geldentwertung zu tun, zum anderen haben die Zentralbanken ihr Pulver weitgehend verschossen: Die Zinsen sind bei null angekommen, so dass nur noch weiteres Geld geschöpft und in den globalen Kreislauf eingespeist werden kann – mit der unvermeidbaren Folge, dass die Inflation weiter angeheizt wird.

Die nüchterne Betrachtung dieser Umstände führt zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass das System mit herkömmlichen Mitteln und Methoden nicht zu retten ist. Dass der IWF in genau dieser Situation mit der höchsten Menge an SZR aufwartet, kann daher nur einen Grund haben: Man will den unvermeidlichen Zusammenbruch noch einmal eine Weile hinausschieben und dabei gleichzeitig das tun, was man seit der Gründung des IWF tut: die USA begünstigen.

Es geht nicht um Zukunftspolitik, sondern um Plünderung und Unterwerfung

Vergisst man die beschönigenden Reden von Kristalina Georgiewa und Olaf Scholz und betrachtet einfach die Art und Weise, wie das IWF-Geld verteilt wird, so öffnen einem die Zahlen schnell die Augen. Die Zuteilung erfolgt nach der Höhe der Stimmanteile der einzelnen Nationen, und die sehen folgendermaßen aus: USA 16,51 Prozent, Japan 6,15 Prozent, China 6,08 Prozent, Deutschland 5,32 Prozent, Frankreich 4,03 Prozent, Vereinigtes Königreich 4,03 Prozent und Italien 3,02 Prozent.

Während der Löwenanteil des Geldes also in die USA fließt und auch einige Industrienationen in Europa und Asien (allerdings in wesentlich bescheidenerem Ausmaß) von der Auszahlung profitieren, sieht es für Entwicklungs- und Schwellenländer ganz anders aus. So erhalten sämtliche afrikanische Länder zusammengenommen gerade einmal 6,4 Prozent der neu geschaffenen SZR.

Die Folge liegt auf der Hand: Das Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft wird vergrößert, der Graben zwischen reichen und armen Ländern vertieft.

Da die SZR auch zur Rückzahlung von Schulden verwendet werden können, werden die bereits hoffnungslos verschuldeten kleineren Länder höchstwahrscheinlich umgehend von ihren Gläubigern zur Kasse gebeten werden. Auch die Tatsache, dass die SZR zwischen den IWF-Mitgliedsstaaten ge- und verkauft werden können, dürfte kaum weiterhelfen, denn bei diesen Deals diktieren die wirtschaftlich stärkeren Staaten die Bedingungen.

Schöne Worte, um die wahre Agenda zu kaschieren

Die Politik bemüht sich zurzeit nach Kräften, der internationalen Öffentlichkeit diese weitere Umverteilung von unten nach oben als positive Entwicklung und Chance für mehr Gerechtigkeit in der Welt zu verkaufen. So hat sich der französische Präsident Macron auf einem Corona-Hilfsgipfel für Afrika im Mai in Paris dafür stark gemacht, dass die reichsten Länder zumindest einen Teil ihrer SZR an die ärmsten Länder, insbesondere in Afrika, umverteilen.

Was nach außen wie ein humanitäres Hilfsangebot wirkt, ist in Wahrheit das exakte Gegenteil: Auf diese Weise geht das Geld nämlich an genau diejenigen afrikanischen Kräfte, die den westlichen Regierungen und Konzernen zuarbeiten und den neokolonialistischen Kreislauf in Gang halten.

Aber es geht noch schlimmer: So werden die 665 Millionen SZR, die an die - vom Westen unterstützte – Regierung im Jemen ausgezahlt wurden, mit Sicherheit nicht dazu genutzt werden, um den im Lande wütenden Hunger einzudämmen. Stattdessen werden die Herrschenden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür verwenden, Schulden bei westlichen Rüstungskonzernen zu begleichen und/oder umgehend neue Waffen zu bestellen.

77 Jahre nach seiner Gründung zeigt der IWF ein weiteres Mal, wem er dient: Nicht etwa der Mehrheit der Menschen, sondern der winzigen Minderheit, die die Mehrheit in ihre aktuelle Misere geführt hat.

                                                                            ***

Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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